Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Sozialkauf­häuser „ertrinken“fast in Spenden

Gerade bringen so viele Menschen wie nie Ungenutzte­s zu den sozialen Einrichtun­gen. Für die Kunden bedeutet das eine riesige Auswahl – für die Mitarbeite­r viel Arbeit. Was man nicht abgeben sollte

- VON FRIDTJOF ATTERDAL

Roswita Kugelmann, Chefin des Sozialkauf­hauses „Contact“, befindet sich in einem Dilemma. Gespendete Möbel, Bücher und Kleidungss­tücke sind die Lebensgrun­dlage des Sozialkauf­hauses in Haunstette­n. Doch seit drei Wochen bricht geradezu eine Flut von Spenden über die Einrichtun­g herein – mehr als das durch Krankheits­fälle und Kurzarbeit noch geschmäler­te Team abarbeiten kann. Offenbar haben viele Menschen die Corona-Zeit genutzt, um zuhause zu entrümpeln.

Die Spenden seien natürlich immer noch hoch willkommen, betont Kugelmann zu Beginn des Gesprächs. Denn das Sozialkauf­haus musste durch die Corona-Einschränk­ungen große finanziell­e Einbußen hinnehmen, die jetzt dringend ausgeglich­en werden müssen. Doch obwohl die meisten der 120 festangest­ellten Mitarbeite­r mittlerwei­le wieder aus der Kurzarbeit zurück sind, arbeite das Team gerade am Rand seiner Kapazitäte­n. „Viele unserer freiwillig­en Helfer gehören der Corona-Risikogrup­pe an und trauen sich deshalb noch nicht wieder her“, berichtet Kugelmann. Dabei werde jetzt jede Hand gebraucht. An einem normalen Tag vor Corona gingen rund sechs Tonnen an gespendete­n Gegenständ­en ein, so die Kaufhausch­efin. Wie viel es jetzt sind, kann sie nicht beziffern – aber es sei erheblich mehr.

Das liege wohl auch daran, dass sich über die sieben Wochen, in denen das Kaufhaus ganz geschlosse­n war, bei den Spendern eine Menge Dinge gestapelt hätten. „Momentan sind unsere Fahrer dabei, die Spender abzuarbeit­en, die wir wegen Corona kurzfristi­g versetzen mussten“, so Kugelmann. Die drei weißen Transporte­r mit der „Contact“-Aufschrift seien den ganzen Tag unterwegs, um Möbel und andere Dinge einzusamme­ln.

Wer jetzt als Kunde ins Kaufhaus in Haunstette­n kommt, hat eine riesige Auswahl. Kleiderstä­nder biegen sich unter der Last teilweise hochwertig­er Textilien, in der Bücherabte­ilung gelingt es den Mitarbeite­rn nur mit Mühe, die vorgeschri­ebenen Rettungsga­ssen frei zu halten. Möbel, Unterhaltu­ngselektro­nik – alles ist in großer Menge vorhanden.

„Meine Damen sind total unglücklic­h, dass es teilweise chaotisch aussieht – aber wir kommen nicht mehr hinterher“, schildert Kugelmann die Situation. Dabei hatte man es vor Corona geschafft, das Sozialkauf­haus, das mit 2500 Quadratmet­ern Verkaufsfl­äche zu den größten in Bayern zählt, ordentlich und aufgeräumt in Schuss zu halten.

Das Sozialkauf­haus dient eigentlich als Zweckbetri­eb dazu, die vielfältig­en sozialen Unternehmu­ngen des Trägervere­ins „Contact in Augsburg e.V.“zu finanziere­n. Doch durch Corona sei man jetzt gezwungen, auch die Rücklagen anzugreife­n. Aufgrund der besonderen rechtliche­n Struktur sei das Kaufhaus bei den Hilfszahlu­ngen durch alle Raster gefallen und musste ohne Soforthilf­e überleben. Kugelmann ist fest entschloss­en, das Haus auch weiterhin für Spender offen zu halten und nicht wie viele andere Einrichtun­gen in Bayern einen Lieferstop­p zu verhängen. Dazu trägt sie gerne auch ihren Teil bei – seit drei Wochen hat sie ihren Büroarbeit­splatz verlassen und hilft bei der Warenannah­me mit.

Auch im Sozialkauf­haus Augsburg in der Hirblinger Straße, einer Einrichtun­g des Vereins „Arbeitshil­fe 2000“, werden die Mitarbeite­r von der Spendenber­eitschaft überrollt. „Es geht unheimlich viel rein – aber zum Glück geht auch viel wieder raus“, sagt die Leiterin des Kaufhauses, Marion Losert. Ihrer Beobachtun­g nach haben die Menschen richtig tief in Kellern und Speichern gestöbert und dabei viele Schätze zu Tage gefördert. „Da kommt jetzt das Kinderspie­lzeug aus den 80er Jahren“, sagt sie lachend.

Warum mit einem Mal so viel mehr Kunden die gebrauchte­n Artikel haben wollten, kann sie sich allerdings auch nicht erklären. Zum großen Teil seien es junge Leute, die „Fridays-for Future-Fraktion“, wie sie es nennt. „Bei denen ist Nachhaltig­keit und Umweltschu­tz ein großes Thema“, glaubt die Kaufhausch­efin. Aber auch die Flohmarktg­änger, die coronabedi­ngt ihrer Leidenscha­ft nicht nachgehen konnten, stöberten gerade gerne in den Artikeln des Sozialkauf­hauses.

Nicht alles, was gebracht wird, kann im Sozialkauf­haus allerdings auch verkauft werden. „Manche Menschen bringen Müll vorbei und sind dann verärgert, wenn wir die Spende nicht haben wollen“, wundert sich Losert. Um unnütze Arbeit und Ärger zu vermeiden bittet sie die Bürger, nur ordentlich­e Waren zu spenden.

 ?? Foto: Fridtjof Atterdal ?? Omar Hassan sortiert im Sozialkauf­haus „Contact“die eingehende­n Spenden. Während der Corona-Krise haben viele Menschen zuhause ausgemiste­t. Wer jetzt ins Sozialkauf­haus kommt, kann dort gute Schnäppche­n machen.
Foto: Fridtjof Atterdal Omar Hassan sortiert im Sozialkauf­haus „Contact“die eingehende­n Spenden. Während der Corona-Krise haben viele Menschen zuhause ausgemiste­t. Wer jetzt ins Sozialkauf­haus kommt, kann dort gute Schnäppche­n machen.
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R. Kugelmann

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