Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Kein Befreiungsschlag
sind. „Wir brauchen nicht zu erröten angesichts unserer Bilanz“, sagte er in entschlossenem Tonfall. „Zigtausende Leben wurden gerettet und wir können stolz auf unser Land sein.“Der Kampf gegen die Epidemie sei nicht beendet, aber er freue sich „über diesen ersten Sieg über das Virus“, so Macron, der zu Beginn martialisch von einem „Krieg“gesprochen hatte.
Seit der allmählichen Lockerung der Ausgangsbeschränkungen am 11. Mai konnte das Virus in Frankreich kontinuierlich zurückgedrängt werden. Außer in den Übersee-Départements Französisch-Guyana und Mayotte dürfen daher ab dem heutigen Montag auch im Großraum Paris wieder die Restaurants und Cafés öffnen und ab 22. Juni müssen alle Schüler außer an Gymnasien wieder obligatorisch in die Schule. Besuche in Alten- und Pflegeheimen werden wieder erlaubt. Größere Menschen-Ansammlungen seien weiterhin noch zu vermeiden, sagte Macron.
Insgesamt fast 500 Milliarden Euro habe der Staat ausgegeben, um besonders betroffene Wirtschaftsbranchen zu stärken, Kurzarbeit zu fördern und die Ärmsten zu unterstützen. Diese Ausgaben werde man nicht durch Steuererhöhungen finanzieren, so der Präsident – vielmehr sei ein „nachhaltiges Wirt
Es ist nicht das erste Mal, dass sich Emmanuel Macron direkt an das Volk wendet, um verlorenen Boden bei potenziellen Wählern zurückzugewinnen. Doch es wirkt immer zweifelhafter, ob es der französische Präsident noch schafft, sein Image als kühler Politiker abzustreifen, dem der direkte Kontakt zur Bevölkerung abhandengekommen ist. Dabei hatte Macron ja grundsätzlich eine positive Botschaft zu verkündigen. Er skizzierte die schrittweise Rückkehr zu einem normaleren Leben, nachdem das Corona-Virus das Land so hart im Griff hatte wie kaum einen anderen Staat in Europa. In Frankreich wütete nicht nur die Pandemie stärker als in Deutschland, ungleich einschneidender waren auch die Beschränkungen für die Bevölkerung. Fast schon demütig bedankte sich der Präsident bei seinen Landsleuten für ihre Disziplin – ja, er räumte sogar Fehler ein.
Und dennoch, irgendetwas fehlt. Macron liebt große Worte und Gesten, doch liest man den Text der Rede ein zweites Mal, bleibt sie am Ende seltsam unkonkret. Ganz konkret sind hingegen die gewaltigen Probleme, vor denen Frankreich steht. Anders als das ebenfalls ökonomisch stark getroffene Nachbarland Deutschland hat Paris deutlich weniger Möglichkeiten, die Folgen der Krise für die Bürger finanziell abzufedern. Eine Konstellation, die eigentlich der radikalen Rechten um Marine Le Pen zugutekommen müsste. Da ist es beruhigend, dass Ministerpräsident Édouard Philippe, der das Land mit Ruhe und Empathie durch die Krise manövrierte, als Mann der Stunde gilt. Viele trauen ihm zu, Macron eines Tages zu beerben.
Christophe Castaner den Ton ihnen gegenüber verschärft hatte.
Nicht zuletzt kündigte Macron an, den Staat dezentraler zu organisieren, denn es könne „nicht immer alles in Paris entschieden werden“. Details hierzu werde er im Juli geben. Dass sich der Präsident erneut ans Volk wendet, möglicherweise auch mit der Ankündigung personeller Veränderungen, wird für den Zeitraum zwischen der zweiten Runde der Kommunalwahlen am 28. Juni und dem französischen Nationalfeiertag am 14. Juli erwartet. Bei der zweiten Wahlrunde, die eigentlich Ende März stattfinden sollte und aufgrund des Coronavirus verschoben wurde, droht Macrons Partei „La République en marche“(LREM) ein Debakel. Voraussichtlich dürfte sie kein einziges Rathaus einer mittleren oder größeren Stadt und nur eine geringe Zahl von Stadt- und Gemeinderäten erobern. Gerade hat LREM durch die Abspaltung mehrerer Abgeordneter die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung verloren. Gestern appellierte Macron zwar an das Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen, ja an ihren „republikanischen Patriotismus“, um gemeinsam die Krise zu überwinden. Dass sie ihm wieder vertrauen, erscheint jedoch ungewiss.