Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Kein Befreiungs­schlag

- VON SIMON KAMINSKI ska@augsburger-allgemeine.de

sind. „Wir brauchen nicht zu erröten angesichts unserer Bilanz“, sagte er in entschloss­enem Tonfall. „Zigtausend­e Leben wurden gerettet und wir können stolz auf unser Land sein.“Der Kampf gegen die Epidemie sei nicht beendet, aber er freue sich „über diesen ersten Sieg über das Virus“, so Macron, der zu Beginn martialisc­h von einem „Krieg“gesprochen hatte.

Seit der allmählich­en Lockerung der Ausgangsbe­schränkung­en am 11. Mai konnte das Virus in Frankreich kontinuier­lich zurückgedr­ängt werden. Außer in den Übersee-Départemen­ts Französisc­h-Guyana und Mayotte dürfen daher ab dem heutigen Montag auch im Großraum Paris wieder die Restaurant­s und Cafés öffnen und ab 22. Juni müssen alle Schüler außer an Gymnasien wieder obligatori­sch in die Schule. Besuche in Alten- und Pflegeheim­en werden wieder erlaubt. Größere Menschen-Ansammlung­en seien weiterhin noch zu vermeiden, sagte Macron.

Insgesamt fast 500 Milliarden Euro habe der Staat ausgegeben, um besonders betroffene Wirtschaft­sbranchen zu stärken, Kurzarbeit zu fördern und die Ärmsten zu unterstütz­en. Diese Ausgaben werde man nicht durch Steuererhö­hungen finanziere­n, so der Präsident – vielmehr sei ein „nachhaltig­es Wirt

Es ist nicht das erste Mal, dass sich Emmanuel Macron direkt an das Volk wendet, um verlorenen Boden bei potenziell­en Wählern zurückzuge­winnen. Doch es wirkt immer zweifelhaf­ter, ob es der französisc­he Präsident noch schafft, sein Image als kühler Politiker abzustreif­en, dem der direkte Kontakt zur Bevölkerun­g abhandenge­kommen ist. Dabei hatte Macron ja grundsätzl­ich eine positive Botschaft zu verkündige­n. Er skizzierte die schrittwei­se Rückkehr zu einem normaleren Leben, nachdem das Corona-Virus das Land so hart im Griff hatte wie kaum einen anderen Staat in Europa. In Frankreich wütete nicht nur die Pandemie stärker als in Deutschlan­d, ungleich einschneid­ender waren auch die Beschränku­ngen für die Bevölkerun­g. Fast schon demütig bedankte sich der Präsident bei seinen Landsleute­n für ihre Disziplin – ja, er räumte sogar Fehler ein.

Und dennoch, irgendetwa­s fehlt. Macron liebt große Worte und Gesten, doch liest man den Text der Rede ein zweites Mal, bleibt sie am Ende seltsam unkonkret. Ganz konkret sind hingegen die gewaltigen Probleme, vor denen Frankreich steht. Anders als das ebenfalls ökonomisch stark getroffene Nachbarlan­d Deutschlan­d hat Paris deutlich weniger Möglichkei­ten, die Folgen der Krise für die Bürger finanziell abzufedern. Eine Konstellat­ion, die eigentlich der radikalen Rechten um Marine Le Pen zugutekomm­en müsste. Da ist es beruhigend, dass Ministerpr­äsident Édouard Philippe, der das Land mit Ruhe und Empathie durch die Krise manövriert­e, als Mann der Stunde gilt. Viele trauen ihm zu, Macron eines Tages zu beerben.

Christophe Castaner den Ton ihnen gegenüber verschärft hatte.

Nicht zuletzt kündigte Macron an, den Staat dezentrale­r zu organisier­en, denn es könne „nicht immer alles in Paris entschiede­n werden“. Details hierzu werde er im Juli geben. Dass sich der Präsident erneut ans Volk wendet, möglicherw­eise auch mit der Ankündigun­g personelle­r Veränderun­gen, wird für den Zeitraum zwischen der zweiten Runde der Kommunalwa­hlen am 28. Juni und dem französisc­hen Nationalfe­iertag am 14. Juli erwartet. Bei der zweiten Wahlrunde, die eigentlich Ende März stattfinde­n sollte und aufgrund des Coronaviru­s verschoben wurde, droht Macrons Partei „La République en marche“(LREM) ein Debakel. Voraussich­tlich dürfte sie kein einziges Rathaus einer mittleren oder größeren Stadt und nur eine geringe Zahl von Stadt- und Gemeinderä­ten erobern. Gerade hat LREM durch die Abspaltung mehrerer Abgeordnet­er die absolute Mehrheit in der Nationalve­rsammlung verloren. Gestern appelliert­e Macron zwar an das Zusammenge­hörigkeits­gefühl der Menschen, ja an ihren „republikan­ischen Patriotism­us“, um gemeinsam die Krise zu überwinden. Dass sie ihm wieder vertrauen, erscheint jedoch ungewiss.

Newspapers in German

Newspapers from Germany