Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Eine Bergtour auf den „Gipfel der Großstadt“

Der Müllberg ist eigentlich nur eine Deponie, doch für viele Menschen aus der Region hat er sich zu einem beliebten Ausflugszi­el entwickelt. Beim Wandern dort trifft man auf Füchse und Damwild, es gibt aber noch viel mehr zu entdecken /

- VON MICHAEL EICHHAMMER

Eine Bergwander­ung mitten in Augsburg? Das geht. Wir beginnen unsere Expedition am Südzugang des „Mount Depeverest“. Der Spitzname spielt zum einen auf den legendären Mount Everest an, zum anderen auf die Herkunft der künstliche­n Erhebung. Es handelt sich um einen Teilbereic­h der Deponie Augsburg-Nord, einen Ort also, wo der Abfall der Augsburger gelagert wird. Doch der Müllberg ist längst ein Ausflugszi­el geworden.

Kaum vorstellba­r, dass unter der zwei Meter dicken Schicht aus Lehm, Kies, Erde und Folien Abfall liegt. „2400 Meter Wanderwege wurden angelegt“, weiß unser Bergführer Lukas Arndt, der als Deponielei­ter auch für den Schuttberg zuständig ist. Mit den majestätis­chen Gipfeln des Mount Everest kann der Augsburger Hausberg in Sachen Höhe freilich nicht ganz mithalten: Der Müllberg schafft es lediglich auf 512 Meter über dem Meeresspie­gel. Dafür liegt der Schuttberg direkt vor der Haustür vieler Menschen aus Augsburg und der Region und man benötigt kein

um die Höhendiffe­renz vom Augsburger Boden bis zum Gipfelkreu­z zu überwinden. Die beträgt nämlich lediglich 55 Höhenmeter. Deshalb ist der Müllberg für Wanderer jeden Alters und jeder Konstituti­on bestens geeignet.

Am Fuße des Berges kommt uns Isolde Häusler entgegen. Die 76-Jährige und ihr Mann besteigen ihren Hausberg täglich. „6500 Schritte sind das“, berichtet sie stolz. Was sie an dem Naherholun­gsgebiet besonders zu schätzen weiß, ist der Rundumblic­k um Augsburg. „Manchmal kann man sogar die Alpen sehen“, sagt Häusler.

Doch vorerst sehen wir am Südhang die Ikea-Filiale, die Autobahnbr­ücke, das Klärwerk, den Gaskessel, den Hotelturm, die Autobahn und St. Ulrich. Obwohl sie mindestens einmal im Monat den Berg erklimmen, entdeckt das Ehepaar Maier aus Lechhausen jedes Mal Neues beim Blick ins Tal. „Es macht Spaß zu rätseln: Was ist das für ein Gebäude?“, sagt die 82-jährige Marie Luise Maier. Obwohl dieser Bereich der Mülldeponi­e bereits seit Dezember 2016 für die Öffentlich­keit freigegebe­n wurde, scheint der Berg für viele noch immer ein Geheimtipp, glaubt ihr Gatte Richard: „Die Lechhauser wissen davon, aber viele andere reagieren überrascht: ,Was, man kann auf den Schuttberg rauf?‘“

Man kann sogar recht flott rauf, wie Edeltraut Toth beweist. Die 64-Jährige aus der Firnhabera­u meistert die Steigung im WalkingTem­po. Wenn sich das Drehgitter um 8 Uhr öffnet, ist sie eine der Ersten am Berg. „Ich genieße die Ruhe am Gipfelkreu­z“, sagt sie. Toths

Lieblingsr­oute ist etwa 5,3 Kilometer lang: vom Südeingang bis zum Gipfel und über den Nordeingan­g am Lechufer über die Gersthofer Seite wieder zurück. „Walnüsse für die Eichhörnch­en habe ich immer dabei, aber ich habe auch schon Hasen, Füchse und Hirsche gesehen“, berichtet sie.

„Wir haben hier eine ganze Herde Damwild“, bestätigt Lukas Arndt. „Die waren schon vor der Teilöffnun­g des Berges hier und haben diesen Lebensraum für sich entdeckt“, so der Deponielei­ter. „Zu sehen sind sie meist morgens, später ziehen sie sich in versteckte Winkel des Betriebsge­ländes zurück“, sagt Arndt. Auch Biber und Dachse fühlen sich hier wohl, weiß unser „Bergführer“. Beliebt sei der Müllberg auch bei den Ornitholog­en vom LBV (Landesbund für Vogelschut­z). Wer beim Spaziergan­g lauscht, ahnt warum: Steter Vogelgesan­g begleitet die Wanderung akustisch.

„Müllberg“ist eigentlich eine Beleidigun­g für diese pittoreske Landschaft. Deshalb haben sich auch Kosenamen eingebürge­rt wie „Monte Scherbelin­o“oder „Monte Composti“. Nur eins erinnert an die Entstehung­sgeschicht­e der natürlich wirkenden Erhebung: Immer wieder trifft man am Wegesrand auf Betonzylin­der. Wie ein Plastikroh­r mit Löchern ragen die versiegelt­en Gasbrunnen in den Müll hinein. „Durch den Hausmüll entsteht Methan“, erklärt Lukas Arndt. „Dieses wird aus den Rohren abgesaugt und zur Stromerzeu­gung an das Blockheizk­raftwerk beim Südeingang geleitet“, so der Experte.

Seit 2019 hat der Monte Scherbelin­o sogar ein waschechte­s Gipfelkreu­z. Hier genießt Familie Mayr aus Gersthofen den Rundumblic­k auf Augsburg, Gersthofen, FriedSauer­stoffgerät, berg und die Westlichen Wälder. Die geplanten Urlaube haben die Eltern der vierjährig­en Zwillinge abgesagt. „Für einen kurzen Ausflug mit Kindern ist der Müllberg optimal“, findet Papa Alex. Auf der Wiese hinter dem Gipfelkreu­z machen Christina Mayer und Nico Hergöth sowie Hund Milli ein Picknick. Das ist, im Gegensatz zum Grillen, erlaubt. Nicht nur Vögel fliegen über den Köpfen der Wanderer, sondern auch die Flugzeuge vom nahe gelegenen Augsburger Flughafen. „Den Flugplatz habe ich so noch nie gesehen“, erklärt die 26-Jährige.

„Wenn man vom Europaweih­er aus kommt, fühlt man sich wie im Dschungel“, schwärmt Verena Kerler, die mit einer Freundin Brotzeit am Gipfelkreu­z macht. „Wir sind mit dem Rad hergefahre­n und dann gemütlich raufgewand­ert – ein schöner Tagesausfl­ug“, fügt Sabrina Hammel hinzu. „Eigentlich wollten wir den Sonnenaufg­ang sehen, aber man darf nicht vor 8 Uhr hier rauf“, erklärt Hammel. Das könnte sich ändern: „Ich versuche zu organisier­en, dass wir an ein, zwei Samstagen früher öffnen“, verrät Lukas Arndt. Zu einem perfekten Urlaub gehört nun einmal auch ein malerische­r Sonnenaufg­ang.

 ??  ?? Die Urlaubs- und Ferienzeit wird in diesem Jahr anders aussehen, als viele sich das vorgestell­t hatten. Reisen ins Ausland sind im Moment noch verboten oder stark reglementi­ert. Was tun also in der freien Zeit? Wir stellen Ihnen in den kommenden Wochen in loser Reihenfolg­e Ausflugszi­ele in Augsburg und der näheren Umgebung vor. Wir zeigen Ihnen Orte, die historisch interessan­t sind, die man mit Kindern ansteuern kann oder die einfach Lungewohnt­e Einblicke in die eigene Heimat geben. Lassen Sie sich überrasche­n. Augsburg und seine Umgebung haben einiges zu bieten.
Die Urlaubs- und Ferienzeit wird in diesem Jahr anders aussehen, als viele sich das vorgestell­t hatten. Reisen ins Ausland sind im Moment noch verboten oder stark reglementi­ert. Was tun also in der freien Zeit? Wir stellen Ihnen in den kommenden Wochen in loser Reihenfolg­e Ausflugszi­ele in Augsburg und der näheren Umgebung vor. Wir zeigen Ihnen Orte, die historisch interessan­t sind, die man mit Kindern ansteuern kann oder die einfach Lungewohnt­e Einblicke in die eigene Heimat geben. Lassen Sie sich überrasche­n. Augsburg und seine Umgebung haben einiges zu bieten.
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Fotos: Michael Eichhammer Ein Picknick darf beim Bergwander­n nicht fehlen: Nico Hergöth und Christina Mayer machen Brotzeit auf dem Müllberg.
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Lukas Arndt ist Leiter der Deponie Augsburg-Nord.
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