Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Eine Bergtour auf den „Gipfel der Großstadt“
Der Müllberg ist eigentlich nur eine Deponie, doch für viele Menschen aus der Region hat er sich zu einem beliebten Ausflugsziel entwickelt. Beim Wandern dort trifft man auf Füchse und Damwild, es gibt aber noch viel mehr zu entdecken /
Eine Bergwanderung mitten in Augsburg? Das geht. Wir beginnen unsere Expedition am Südzugang des „Mount Depeverest“. Der Spitzname spielt zum einen auf den legendären Mount Everest an, zum anderen auf die Herkunft der künstlichen Erhebung. Es handelt sich um einen Teilbereich der Deponie Augsburg-Nord, einen Ort also, wo der Abfall der Augsburger gelagert wird. Doch der Müllberg ist längst ein Ausflugsziel geworden.
Kaum vorstellbar, dass unter der zwei Meter dicken Schicht aus Lehm, Kies, Erde und Folien Abfall liegt. „2400 Meter Wanderwege wurden angelegt“, weiß unser Bergführer Lukas Arndt, der als Deponieleiter auch für den Schuttberg zuständig ist. Mit den majestätischen Gipfeln des Mount Everest kann der Augsburger Hausberg in Sachen Höhe freilich nicht ganz mithalten: Der Müllberg schafft es lediglich auf 512 Meter über dem Meeresspiegel. Dafür liegt der Schuttberg direkt vor der Haustür vieler Menschen aus Augsburg und der Region und man benötigt kein
um die Höhendifferenz vom Augsburger Boden bis zum Gipfelkreuz zu überwinden. Die beträgt nämlich lediglich 55 Höhenmeter. Deshalb ist der Müllberg für Wanderer jeden Alters und jeder Konstitution bestens geeignet.
Am Fuße des Berges kommt uns Isolde Häusler entgegen. Die 76-Jährige und ihr Mann besteigen ihren Hausberg täglich. „6500 Schritte sind das“, berichtet sie stolz. Was sie an dem Naherholungsgebiet besonders zu schätzen weiß, ist der Rundumblick um Augsburg. „Manchmal kann man sogar die Alpen sehen“, sagt Häusler.
Doch vorerst sehen wir am Südhang die Ikea-Filiale, die Autobahnbrücke, das Klärwerk, den Gaskessel, den Hotelturm, die Autobahn und St. Ulrich. Obwohl sie mindestens einmal im Monat den Berg erklimmen, entdeckt das Ehepaar Maier aus Lechhausen jedes Mal Neues beim Blick ins Tal. „Es macht Spaß zu rätseln: Was ist das für ein Gebäude?“, sagt die 82-jährige Marie Luise Maier. Obwohl dieser Bereich der Mülldeponie bereits seit Dezember 2016 für die Öffentlichkeit freigegeben wurde, scheint der Berg für viele noch immer ein Geheimtipp, glaubt ihr Gatte Richard: „Die Lechhauser wissen davon, aber viele andere reagieren überrascht: ,Was, man kann auf den Schuttberg rauf?‘“
Man kann sogar recht flott rauf, wie Edeltraut Toth beweist. Die 64-Jährige aus der Firnhaberau meistert die Steigung im WalkingTempo. Wenn sich das Drehgitter um 8 Uhr öffnet, ist sie eine der Ersten am Berg. „Ich genieße die Ruhe am Gipfelkreuz“, sagt sie. Toths
Lieblingsroute ist etwa 5,3 Kilometer lang: vom Südeingang bis zum Gipfel und über den Nordeingang am Lechufer über die Gersthofer Seite wieder zurück. „Walnüsse für die Eichhörnchen habe ich immer dabei, aber ich habe auch schon Hasen, Füchse und Hirsche gesehen“, berichtet sie.
„Wir haben hier eine ganze Herde Damwild“, bestätigt Lukas Arndt. „Die waren schon vor der Teilöffnung des Berges hier und haben diesen Lebensraum für sich entdeckt“, so der Deponieleiter. „Zu sehen sind sie meist morgens, später ziehen sie sich in versteckte Winkel des Betriebsgeländes zurück“, sagt Arndt. Auch Biber und Dachse fühlen sich hier wohl, weiß unser „Bergführer“. Beliebt sei der Müllberg auch bei den Ornithologen vom LBV (Landesbund für Vogelschutz). Wer beim Spaziergang lauscht, ahnt warum: Steter Vogelgesang begleitet die Wanderung akustisch.
„Müllberg“ist eigentlich eine Beleidigung für diese pittoreske Landschaft. Deshalb haben sich auch Kosenamen eingebürgert wie „Monte Scherbelino“oder „Monte Composti“. Nur eins erinnert an die Entstehungsgeschichte der natürlich wirkenden Erhebung: Immer wieder trifft man am Wegesrand auf Betonzylinder. Wie ein Plastikrohr mit Löchern ragen die versiegelten Gasbrunnen in den Müll hinein. „Durch den Hausmüll entsteht Methan“, erklärt Lukas Arndt. „Dieses wird aus den Rohren abgesaugt und zur Stromerzeugung an das Blockheizkraftwerk beim Südeingang geleitet“, so der Experte.
Seit 2019 hat der Monte Scherbelino sogar ein waschechtes Gipfelkreuz. Hier genießt Familie Mayr aus Gersthofen den Rundumblick auf Augsburg, Gersthofen, FriedSauerstoffgerät, berg und die Westlichen Wälder. Die geplanten Urlaube haben die Eltern der vierjährigen Zwillinge abgesagt. „Für einen kurzen Ausflug mit Kindern ist der Müllberg optimal“, findet Papa Alex. Auf der Wiese hinter dem Gipfelkreuz machen Christina Mayer und Nico Hergöth sowie Hund Milli ein Picknick. Das ist, im Gegensatz zum Grillen, erlaubt. Nicht nur Vögel fliegen über den Köpfen der Wanderer, sondern auch die Flugzeuge vom nahe gelegenen Augsburger Flughafen. „Den Flugplatz habe ich so noch nie gesehen“, erklärt die 26-Jährige.
„Wenn man vom Europaweiher aus kommt, fühlt man sich wie im Dschungel“, schwärmt Verena Kerler, die mit einer Freundin Brotzeit am Gipfelkreuz macht. „Wir sind mit dem Rad hergefahren und dann gemütlich raufgewandert – ein schöner Tagesausflug“, fügt Sabrina Hammel hinzu. „Eigentlich wollten wir den Sonnenaufgang sehen, aber man darf nicht vor 8 Uhr hier rauf“, erklärt Hammel. Das könnte sich ändern: „Ich versuche zu organisieren, dass wir an ein, zwei Samstagen früher öffnen“, verrät Lukas Arndt. Zu einem perfekten Urlaub gehört nun einmal auch ein malerischer Sonnenaufgang.