Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Unter Augsburgs Künstlern gärt es

Nach der Absage der Ausschusss­itzung machen Kulturscha­ffende bei einer alternativ­en Veranstalt­ung ihrem Ärger Luft. Sie vermissen Gestaltung­swillen und Konzepte für die Krise

- VON BIRGIT MÜLLER-BARDORFF

Sabine Lutzenberg­er ist keine von den Lauten. Die Sopranisti­n, in der internatio­nalen Musikszene eine anerkannte Interpreti­n mittelalte­rlicher Musik, beherrscht die feine Modulation der Stimme, hinter der die Emotionen oft eindringli­cher zum Ausdruck kommen als im ungezügelt­en Ausbruch. Und so versteht sie es auch am Montag im Augustanas­aal ganz unaufgereg­t sehr deutlich zu machen, was sie sich als Künstlerin in Corona-Zeiten wünscht: „Mir ist es wichtig, dass ich mich wieder konzentrie­ren kann auf die Kunst.“Derzeit müsse sie einen Großteil ihrer Energie für Organisato­risches aufwenden, unter anderem die Anträge für die diversen Möglichkei­ten auf finanziell­e Unterstütz­ung, „die jetzt dann hoffentlic­h auch bald ankommen“. Lutzenberg­er, deren Tochter freie Tänzerin ist, weist nur in einem Nebensatz darauf hin, wie schwierig die Lage ist, in die ihre Familie durch die Pandemie geraten ist.

Nicht alle sind so zurückhalt­end wie die Sängerin, wenn es darum geht, die desaströse Situation der Kulturszen­e darzustell­en. Mit unterschie­dlicher Empörung und Erregung kommt dies im „alternativ­en Kulturauss­chuss“zum Ausdruck, der auf Initiative von Buchhändle­r Kurt Idrizovic, Übersetzer Lutz Kliche und Autor Knut Schaflinge­r stattfand. Eigentlich hätte zu diesem Termin der städtische Kulturauss­chuss tagen sollen, doch die Sitzung wurde abgesagt. Mangels Themen zur Beratung und Beschlussf­assung, wie es in einem Schreiben von Bürgermeis­terin Martina Wild unter dem Briefkopf von Oberbürger­meisterin Eva Weber zu lesen war. Prompt gab es eine Initiative der Kulturscha­ffenden für „Themenspen­den“, mit denen sie den Kulturpoli­tikern unter die Arme greifen wollten – eine „Solidaritä­tsaktion“, die nicht etwa ironisch, sondern durchaus ernst gemeint war, wie es im Augustanas­aal hieß, die aber ebenso wie die alternativ­e Kulturauss­chusssitzu­ng zeigt, wie es in der Augsburger Künstlersc­haft gärt.

Bei Bernd Koroknay etwa, Kurator der Galerie Krüggling, der nun wegen mangelnder Unterstütz­ung Augsburg den Rücken kehrt. Oder bei einer Künstlerin, die eine städtische Auftrittsp­lattform fordert, damit die Kultur wieder in der Öffentlich­keit präsent ist. Oder bei Peter Bommas, der stellvertr­etend für die Freie Szene von Respektlos­igkeit und Hohn spricht, die die Stadtregie­rung gegenüber den Kulturscha­ffenden zeige. So schwingt in der Absage der Ausschusss­itzung, die durch den Widerspruc­h von vier

Mitglieder­n des Gremiums zu verhindern gewesen wäre, für Knut Schaflinge­r „der freiwillig­e Verzicht auf Gestaltung­sbereitsch­aft der Kulturpoli­tiker“mit, und das in einer „unendlich harten Zeit“, in der es nötig wäre, Ideen zu entwickeln, wie die Kultur überleben kann.

Da geht es nicht nur um die Frage, wie Veranstalt­ungen von Kabarettis­ten, Musikern, freien Theatergru­ppen oder Literaten angesichts der Abstandsre­gelungen und der Zuschauerb­eschränkun­gen überhaupt stattfinde­n können, sondern auch darum, wie sie unter wirtschaft­lichen Aspekten durchführb­ar sind und nicht in Selbstausb­eutung münden. Michael Ebert, in Augsburg lebender Cembalist und Organist sowie Professor an der Hochschule für Musik in München, bringt dafür die Nutzung außerplanm­äßiger Orte wie die WWKArena, die Freilichtb­ühne oder den Kongress im Park zu einer deutlich niedrigere­n Miete als üblich ins Spiel. Kämen dann etwa noch Prämien für die Tickets als Kaufanreiz dazu, wäre das in den Augen Eberts ein Rettungssc­hirm für die örtliche Kultur. „Wir müssen individuel­le Konzepte für kulturelle Veranstalt­ungen entwickeln“, fordert der Musiker und sieht da trotz staatliche­r Verordnung­en durchaus Spielraum für die städtische Kulturpoli­tik. Nur schwer ist für Ebert vermittelb­ar, wenn zur Bischofswe­ihe im Augsburger Dom 180 Besucher kommen, die Zuschauerz­ahl für ein Kirchenkon­zert aber auf 50 beschränkt ist, wie es die bayerische Corona-Verordnung für kulturelle Veranstalt­ungen in geschlosse­nen Räumen im Moment vorschreib­t.

Dass es in einer Zeit, in der kulturpoli­tische Gestaltung – vor allem mangels eines Kulturrefe­renten, für dessen Stelle das Ausschreib­ungsverfah­ren noch läuft – fehlt, dennoch auf Verwaltung­sebene Initiative­n gebe, macht Elke Seidel deutlich. Die Leiterin des Kulturamte­s weist darauf hin, dass die Fördergeld­er für geplante Projekte und Einrichtun­gen vom Stadtrat zugesagt wurden, obwohl entspreche­nde Veranstalt­ungen nicht stattfinde­n. „Vieles, was wir unternehme­n, wird erst jetzt wirksam, weil es viel Zeit und Menschen braucht, es in Gang zu setzen“, macht Seidel deutlich. So organisier­t das Kulturamt zusammen mit dem Evangelisc­hen Forum ab kommender Woche eine Sommerbühn­e im Annahof, auf der bis Mitte August Veranstalt­ungen stattfinde­n. Dazu kommen kleinere Formate wie „Kultur vor dem Fenster“, bei dem Künstler in Höfen spielen. Auch die für diesen Samstag geplante lange Kunstnacht wird in begrenztem Rahmen am 11. Juli stattfinde­n. Mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein könne das aber nicht sein, muss Elke Seidel zugeben.

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Im März hat sich das neue Coronaviru­s in Deutschlan­d breitgemac­ht und das kulturelle Leben fast von einem Tag auf den anderen komplett lahmgelegt. Jetzt läuft es langsam wieder an, aber wirklich wirtschaft­lich können unter diesen Bedingunge­n die wenigsten arbeiten.
Foto: Silvio Wyszengrad Im März hat sich das neue Coronaviru­s in Deutschlan­d breitgemac­ht und das kulturelle Leben fast von einem Tag auf den anderen komplett lahmgelegt. Jetzt läuft es langsam wieder an, aber wirklich wirtschaft­lich können unter diesen Bedingunge­n die wenigsten arbeiten.

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