Augsburger Allgemeine (Land Nord)
In diesen Boxen stecken spannende Geschichten
Mobile und flexible Lagermöglichkeiten, das Selfstorage, erfreuen sich immer größerer Beliebtheit. Doch Kunden lagern nicht nur Möbel, Fahrräder oder Akten ein, sondern manchmal auch persönliche Schicksale
Paul Brucklachner steht lächelnd vor einer Lagerhalle in Lechhausen und blinzelt in die Sonne. Er will uns durch seine Selfstorage-Anlage führen. Solche Angebote gibt es mehrere in Augsburg. Hier können Kunden vorübergehend Teile ihres Hab und Guts wie Möbel, eine Werkbank oder Fahrräder zwischenlagern, wenn zu Hause der Platz fehlt. Klingt zunächst reichlich unspektakulär, doch schon kurz nachdem sich das Rolltor zu Paul Brucklachners Halle öffnet und den Blick auf die meterhoch gestapelten Boxen freigibt, wird klar: Hinter den Türen der Lagercontainer solcher Selfstorage-Anlagen verbergen sich oft nicht nur Gegenstände, sondern auch viele persönliche Geschichten.
Paul Brucklachner von easyboxit berichtet zu Beginn des Rundgangs von einem Kunden, der einen der Holzcontainer als Depot für Kleidung nutzt. Er lagert dort Klamotten, die er auf Wunsch seiner Frau hätte aussortieren sollen. Weil er sich aber von manchem Stück einfach nicht trennen konnte, ist er Mieter bei easyboxit. „Der Kunde kommt alle sechs bis acht Wochen und tauscht einzelne Stücke aus“, erzählt Brucklachner. Ob der Mann dies mit seiner Frau so besprochen hat oder heimlich agiert, weiß er nicht. „Das ist seine Privatangelegenheit. Da fragen wir nicht nach.“
Diskretion ist in Brucklachners Geschäft wichtig. Deshalb führt er uns nach einer kleinen Runde durch die Halle für das weitere Gespräch in sein gläsernes Büro. Einen Blick in die Boxen gibt es nicht. Verschiedene Beispiel machen schnell klar, warum die Privatsphäre der Kunden oberste Priorität hat: Immer wieder komme es vor, erzählt der Geschäftsmann, dass sich vor allem Frauen melden und um sofortige Hilfe bitten. Sie wollen sich noch am selben Tag und am besten heimlich von ihrem Partner trennen. Um wenigstens das Nötigste aus der Wohnung mitnehmen zu können, brauchen sie eine von Brucklachners Boxen. „Da kann es schon mal sein, dass wir auch am Sonntag ausrücken und beim Einpacken helfen.“Dann dient die Selfstorage-Anlage für den Kunden nicht nur als Lagerraum, sondern auch als geschützter und sicherer Rückzugsort.
Auch andere Schicksale erleben Brucklachner und sein Team oft hautnah mit. Beispielsweise jene von vorübergehend wohnungslosen Hartz-IV-Empfängern, die den mobilen Lagerraum nutzen, um wenigstens Dinge mit Erinnerungswert wie Fotoalben oder Erbstücke hier einlagern zu können. „Da steckt dann in einer unserer Boxen das halbe Leben dieser Menschen“, erzählt Brucklachner bewegt. Manchmal begleitet er diese Kunden auch zum Amt, um die Finanzierung der Lagermiete zu sichern. Das sei menschlich gesehen nicht immer einfach.
Selfstorage ist also nicht nur ein reines Geschäftsmodell, sondern konfrontiert einen auch mit Schicksalen. So erzählt Paul Brucklachner von einer weiteren Kundin, die insolvenzbedingt ihren Arbeitsplatz verlor. Kurz danach wurde sie zum Auszug aus ihrer Wohnung aufgefordert – wegen Komplettrenovierung der Anlage. Weil die Frau als Arbeitslose auf die Schnelle keine neue Wohnung fand, lagerte sie ihren Hausstand notgedrungen in Brucklachners Halle ein und zog zu
Bekannten. „Das bewegt einen dann schon, weil man sieht, wie schnell es gehen kann.“
Einige der Boxen in der Lechhauser Halle werden für Notfälle gebucht. Gut die Hälfte wird gemietet, weil für einen kurzen Zeitraum Möbel und Hausrat zwischengelagert werden müssen. Beispielsweise bei einem Umzug oder weil Studenten ihr Apartment während eines Auslandssemesters zwischenvermieten. Auch Büros mieten Lagerflächen, um Akten oder Pläne zu deponieren. Der Kunde bekommt dabei eine der Holzboxen geliefert und kann sie befüllen. Im Anschluss kommt sie dann in die Lagerhalle. Dort hat der Mieter jederzeit Zugriff. In den allermeisten Fällen laufen die Geschäftsbeziehungen reibungslos, erzählt Brucklachner. Es gebe aber auch Ausnahmen. Wie im
Fall eines Kunden, der plötzlich nicht mehr zahlte und wie vom Erdboden verschluckt war. „Selbst Polizei und Behörden konnten ihn nicht ermitteln. Er war samt seiner Familie einfach verschwunden.“Der Fall beschäftige Brucklachner noch heute. Er frage sich nach wie vor: „Wie kann eine ganze Familie einfach weg sein und warum?“
Eine Antwort darauf hat Paul Brucklachner nie bekommen, aber die Erlaubnis, den Inhalt der Box zu versteigern. „Manchmal ist bei solchen Aktionen ein richtiger Schatz dabei, von dem keiner wusste.“Apropos: Damit keine Gegenstände oder Lebewesen gelagert werden, die ein Risiko darstellen oder illegal sind, gibt es im Mietvertrag entsprechende Regelungen. Dazu beraten Paul Brucklachner oder Mitarbeiter ihre Kunden beim Packen der Boxen und verschaffen sich so einen Überblick, was eingelagert werden soll. Das soll unangenehme Überraschungen verhindern.
So wie im Jahr 2016, als die Polizei in einer anderen Selfstorage-Anlage in Augsburg die zerstückelte Leiche einer Frau fand. So etwas sei der Albtraum für jeden Betreiber von Lagerkonzepten, sagt Brucklachner. Der betreffende Kollege habe es damals nicht leicht gehabt, weiß der Unternehmer. Aber: „Durch die Berichterstattung in den Medien ist das Thema Selfstorage bekannter geworden. Das hat auch uns neue Kunden beschert“, gibt Paul Brucklachner zu.
Manchmal helfen sie auch an Sonntagen beim Einpacken