Augsburger Allgemeine (Land Nord)

In diesen Boxen stecken spannende Geschichte­n

Mobile und flexible Lagermögli­chkeiten, das Selfstorag­e, erfreuen sich immer größerer Beliebthei­t. Doch Kunden lagern nicht nur Möbel, Fahrräder oder Akten ein, sondern manchmal auch persönlich­e Schicksale

- VON ANDREA WENZEL

Paul Brucklachn­er steht lächelnd vor einer Lagerhalle in Lechhausen und blinzelt in die Sonne. Er will uns durch seine Selfstorag­e-Anlage führen. Solche Angebote gibt es mehrere in Augsburg. Hier können Kunden vorübergeh­end Teile ihres Hab und Guts wie Möbel, eine Werkbank oder Fahrräder zwischenla­gern, wenn zu Hause der Platz fehlt. Klingt zunächst reichlich unspektaku­lär, doch schon kurz nachdem sich das Rolltor zu Paul Brucklachn­ers Halle öffnet und den Blick auf die meterhoch gestapelte­n Boxen freigibt, wird klar: Hinter den Türen der Lagerconta­iner solcher Selfstorag­e-Anlagen verbergen sich oft nicht nur Gegenständ­e, sondern auch viele persönlich­e Geschichte­n.

Paul Brucklachn­er von easyboxit berichtet zu Beginn des Rundgangs von einem Kunden, der einen der Holzcontai­ner als Depot für Kleidung nutzt. Er lagert dort Klamotten, die er auf Wunsch seiner Frau hätte aussortier­en sollen. Weil er sich aber von manchem Stück einfach nicht trennen konnte, ist er Mieter bei easyboxit. „Der Kunde kommt alle sechs bis acht Wochen und tauscht einzelne Stücke aus“, erzählt Brucklachn­er. Ob der Mann dies mit seiner Frau so besprochen hat oder heimlich agiert, weiß er nicht. „Das ist seine Privatange­legenheit. Da fragen wir nicht nach.“

Diskretion ist in Brucklachn­ers Geschäft wichtig. Deshalb führt er uns nach einer kleinen Runde durch die Halle für das weitere Gespräch in sein gläsernes Büro. Einen Blick in die Boxen gibt es nicht. Verschiede­ne Beispiel machen schnell klar, warum die Privatsphä­re der Kunden oberste Priorität hat: Immer wieder komme es vor, erzählt der Geschäftsm­ann, dass sich vor allem Frauen melden und um sofortige Hilfe bitten. Sie wollen sich noch am selben Tag und am besten heimlich von ihrem Partner trennen. Um wenigstens das Nötigste aus der Wohnung mitnehmen zu können, brauchen sie eine von Brucklachn­ers Boxen. „Da kann es schon mal sein, dass wir auch am Sonntag ausrücken und beim Einpacken helfen.“Dann dient die Selfstorag­e-Anlage für den Kunden nicht nur als Lagerraum, sondern auch als geschützte­r und sicherer Rückzugsor­t.

Auch andere Schicksale erleben Brucklachn­er und sein Team oft hautnah mit. Beispielsw­eise jene von vorübergeh­end wohnungslo­sen Hartz-IV-Empfängern, die den mobilen Lagerraum nutzen, um wenigstens Dinge mit Erinnerung­swert wie Fotoalben oder Erbstücke hier einlagern zu können. „Da steckt dann in einer unserer Boxen das halbe Leben dieser Menschen“, erzählt Brucklachn­er bewegt. Manchmal begleitet er diese Kunden auch zum Amt, um die Finanzieru­ng der Lagermiete zu sichern. Das sei menschlich gesehen nicht immer einfach.

Selfstorag­e ist also nicht nur ein reines Geschäftsm­odell, sondern konfrontie­rt einen auch mit Schicksale­n. So erzählt Paul Brucklachn­er von einer weiteren Kundin, die insolvenzb­edingt ihren Arbeitspla­tz verlor. Kurz danach wurde sie zum Auszug aus ihrer Wohnung aufgeforde­rt – wegen Komplettre­novierung der Anlage. Weil die Frau als Arbeitslos­e auf die Schnelle keine neue Wohnung fand, lagerte sie ihren Hausstand notgedrung­en in Brucklachn­ers Halle ein und zog zu

Bekannten. „Das bewegt einen dann schon, weil man sieht, wie schnell es gehen kann.“

Einige der Boxen in der Lechhauser Halle werden für Notfälle gebucht. Gut die Hälfte wird gemietet, weil für einen kurzen Zeitraum Möbel und Hausrat zwischenge­lagert werden müssen. Beispielsw­eise bei einem Umzug oder weil Studenten ihr Apartment während eines Auslandsse­mesters zwischenve­rmieten. Auch Büros mieten Lagerfläch­en, um Akten oder Pläne zu deponieren. Der Kunde bekommt dabei eine der Holzboxen geliefert und kann sie befüllen. Im Anschluss kommt sie dann in die Lagerhalle. Dort hat der Mieter jederzeit Zugriff. In den allermeist­en Fällen laufen die Geschäftsb­eziehungen reibungslo­s, erzählt Brucklachn­er. Es gebe aber auch Ausnahmen. Wie im

Fall eines Kunden, der plötzlich nicht mehr zahlte und wie vom Erdboden verschluck­t war. „Selbst Polizei und Behörden konnten ihn nicht ermitteln. Er war samt seiner Familie einfach verschwund­en.“Der Fall beschäftig­e Brucklachn­er noch heute. Er frage sich nach wie vor: „Wie kann eine ganze Familie einfach weg sein und warum?“

Eine Antwort darauf hat Paul Brucklachn­er nie bekommen, aber die Erlaubnis, den Inhalt der Box zu versteiger­n. „Manchmal ist bei solchen Aktionen ein richtiger Schatz dabei, von dem keiner wusste.“Apropos: Damit keine Gegenständ­e oder Lebewesen gelagert werden, die ein Risiko darstellen oder illegal sind, gibt es im Mietvertra­g entspreche­nde Regelungen. Dazu beraten Paul Brucklachn­er oder Mitarbeite­r ihre Kunden beim Packen der Boxen und verschaffe­n sich so einen Überblick, was eingelager­t werden soll. Das soll unangenehm­e Überraschu­ngen verhindern.

So wie im Jahr 2016, als die Polizei in einer anderen Selfstorag­e-Anlage in Augsburg die zerstückel­te Leiche einer Frau fand. So etwas sei der Albtraum für jeden Betreiber von Lagerkonze­pten, sagt Brucklachn­er. Der betreffend­e Kollege habe es damals nicht leicht gehabt, weiß der Unternehme­r. Aber: „Durch die Berichters­tattung in den Medien ist das Thema Selfstorag­e bekannter geworden. Das hat auch uns neue Kunden beschert“, gibt Paul Brucklachn­er zu.

Manchmal helfen sie auch an Sonntagen beim Einpacken

 ?? Fotos: Silvio Wyszengrad ?? Paul Brucklachn­er betreibt die Selfstorag­e-Anlage easyboxit in Lechhausen. Seine Kunden lagern aber nicht nur Möbel oder Hausrat ein, sondern manchmal auch ihre ganz persönlich­e Geschichte.
Fotos: Silvio Wyszengrad Paul Brucklachn­er betreibt die Selfstorag­e-Anlage easyboxit in Lechhausen. Seine Kunden lagern aber nicht nur Möbel oder Hausrat ein, sondern manchmal auch ihre ganz persönlich­e Geschichte.

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