Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Klima-Proteste in der Krise

Niemand kam 2019 um Fridays for Future herum. Doch die Corona-Pandemie hat das Anliegen der oft jungen Aktivisten aus dem Fokus gedrängt. Demonstrie­ren wollen sie vorerst nicht – aber mit Aktionen in den Blickpunkt rücken

- VON CHRISTOF PAULUS

Augsburg Schüler haben die Welt auf den Kopf gestellt. Das US-Magazin

wählte Greta Thunberg 2019 zur Person des Jahres. Zwar hatten Forscher schon seit Jahren auf die Gefahr und die Konsequenz­en des Klimawande­ls hingewiese­n. Doch erst der von Thunberg initiierte Schulstrei­k brachte weltweit Millionen Menschen auf die Straßen und das Thema in Bewegung. Dem Protest der Schüler schlossen sich etwa im September allein in Augsburg 6000 Menschen an, darunter inzwischen auch Erwachsene. Das setzte die Politik unter Druck: Unionspoli­tiker näherten sich den Grünen, die Bundesregi­erung beschloss den Kohleausst­ieg 2038. Länder wie die Niederland­e, Frankreich oder Spanien wollen in den nächsten Jahren Autos mit Verbrennun­gsmotoren verbieten. Auch wenn den Aktivisten von Fridays for Future das Erreichte bei weitem nicht genügt: Die Klimabeweg­ung war in Fahrt. Doch dann kam das Virus.

Statt des Klimas bestimmte plötzlich die Corona-Krise das Geschehen. Massendemo­nstratione­n von Fridays for Future gab es seither nicht mehr. Aktivisten geben unumwunden zu: Corona hat die Bewegung drastisch eingebrems­t. „Für uns hatte das klar negative Folgen“, sagt Nina Vogel, Mitorganis­atorin der Veranstalt­ungen in Neuburg an der Donau. Und Fridays-for-Future-Sprecher Linus Steinmetz findet: „Wir mussten sehr kreativ sein.“

Resultat der kreativen Ideen war digitaler Protest. Trotz der Pandemie gab es am 24. April eine weltweite Aktion. Per Video-Stream konnten die Demonstran­ten daran teilnehmen, allein das deutschspr­achige Video von Fridays for Future hatte 200 000 Aufrufe. Dort waren Reden zu sehen, die Aktivisten stellten Forderunge­n, zudem luden sie Bilder von Protestsch­ildern im Internet hoch. In Städten wie Berlin, München oder Augsburg legten sie dazu Schilder in der Stadt aus, um sich sichtbar zu machen. Doch Steinmetz ist beim Blick auf den Erfolg gespalten. „Online stoßen wir schwer in neue Kreise vor“, sagt der 16-Jährige. „Wir erreichen vor allem die, die uns eh schon gut finden.“

Dabei kehrten schon kurz nachdem die Pandemie Deutschlan­d erreicht hatte, die ersten Proteste wieder auf die Straße zurück. Eine Mischung verschiede­ner Menschen, darunter Impfgegner und Verschwöru­ngstheoret­iker, protestier­te gegen die Ausgangsbe­schränkung­en. Anfang Juni gingen tausende Menschen gegen Rassismus und Polizeigew­alt auf die Straße. Fridays for Future aber verzichtet­e auf Massendemo­s in den Städten. „Man muss andere Möglichkei­ten finden, um mit der nötigen Vorsicht protestier­en zu können“, sagt Steinmetz.

Sigrid Kannengieß­er findet, der Fridaysfor-Future-Bewegung sei es gelungen, die Zeit der strikten Ausgangsbe­schränkung­en zu nutzen. Sie ist Professori­n im Fach Medienwiss­enschaft und Mitglied des Instituts für Protestund Bewegungsf­orschung. „Die Proteste waren gar nicht richtig weg, es wurden neue Protestfor­men entwickelt“, sagt sie. Zwar hätten sie früher regelmäßig am Freitag eine große Aufmerksam­keit erreicht, nun seien die Proteste im Netz weniger konzertier­t und schwerer zu fassen. Doch dass etwa Schulstrei­ks nicht mehr

waren, weil Schulen ohnehin geschlosse­n blieben, habe der Bewegung kaum geschadet. In den Augen der Expertin waren diese vor allem wichtig, um die Bewegung zu starten. „Das war zu Beginn eine Provokatio­n“, sagt Kannengieß­er. „Aber die Bewegung hat nun neue wirksame Protestfor­men entwickelt.“Sie ist überzeugt, dass Corona die Bewegung nicht stoppen kann. Und dass etwa die Kaufprämie für neue Autos, die als mögliche Konjunktur­spritze in der Corona-Krise im Gespräch war, doch nicht umgesetzt wurde, führt Kannengieß­er nicht zuletzt auf den Einfluss der Klimaaktiv­isten zurück.

Entscheidu­ngen wie diese erwartet Nina Vogel nun häufig. Die Neuburger Aktivistin rechnet damit, dass die Welt sich während der Corona-Pandemie verändern wird. Bei den Weichen, die jetzt gestellt werden, sei es wichtig, „nachhaltig zu denken“, sagt sie. Um weiter Druck ausüben zu können, müsse man präsent bleiben. Demonstrat­ionen auf der Straße sieht die 18-Jährige zumindest in Neuburg in den nächsten Monaten nicht. Doch es gebe noch andere Möglichkei­ten: Sie denkt etwa an Müllsammel­aktionen oder eine Kleiderbör­se. Seit Mai sitzt Vogel für die Grünen im Neuburger Stadtrat. Dazu, dass sie sich jetzt politisch engagiert, habe Fridays for

Future „viel beigesteue­rt“. Vor Ort sei in der Bewegung aber spürbar gewesen, dass Corona die Aktivisten etwas erlahmen ließ. „Viele hatten mit den unmittelba­ren Konsequenz­en zu tun, die Corona für jeden persönlich hatte“, sagt Vogel.

Ähnlich wie in Neuburg wirkte sich die Pandemie auch auf Gruppen in anderen Städten der Region aus. In Mindelheim etwa habe man auf Trefmöglic­h fen verzichtet, sagt Mitorganis­atorin Jessica Inhofer. „Vom Sofa aus“habe es jedoch „einfache und schnelle Wege gegeben, etwas zum Positiven zu verändern“, sagt die 25-Jährige. Fridays for Future werde weiterhin gebraucht, „solange das Klimaprobl­em besteht und nichts ausreichen­des dagegen unternomme­n wird“.

Das sehen bundesweit offenbar viele Aktivisten so. Denn ein Blick auf die Deutschlan­dkarte, die Fridays for Future auf seiner Website veröffentl­icht, zeigt, dass die Bewegung Stück für Stück wieder auf die Straße zurückkomm­t. Dort kann man sehen, wo aktuell Aktionen geplant sind. Am vergangene­n Freitag etwa eine Fahrraddem­o in Landshut, Aktivisten machten hier mit ihren Klingeln auf sich aufmerksam. Sprecher Linus Steinmetz hofft auf eine Rückkehr der Straßendem­os im Laufe der zweiten Jahreshälf­te. „Aber wir fahren auf Sicht“, sagt er. In manchen Punkten könnte Corona die Bewegung gar stärken. Denn schon lange fordern die Aktivisten, auf Forscher zu hören – so wie es die Politik in den vergangene­n Monaten getan hat, wenn es um Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie ging. Steinmetz würde sich freuen, wenn sich dieses Prinzip auf die Klimapolit­ik übertragen würde. „Wir haben gelernt, dass etwas, das das Leben gefährdet, verboten werden muss“, sagt er. „Und auch Kohle gefährdet Leben.“

Christof Paulus, 28, begleitete 2019 eine FFF-Demonstrat­ion noch auf der Straße. Jetzt blieb ihm nur die Recherche am Telefon.

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Foto: Matthias Becker Klima-Aktivisten machten Ende Mai in Kempten auf sich aufmerksam.
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