Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wenn eine einzige Nuss zum Problem wird

Allergien gegen Lebensmitt­el werden häufiger. Die Suche nach den Ursachen ist schwierig

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Erlangen Einmal war es ein halbes haselnussg­efülltes Kaubonbon, ein anderes Mal der Biss in einen Lebkuchen. Danach ging es Benjamin plötzlich richtig schlecht. „Er ist kreideblei­ch geworden, war total schlapp und hatte rote Flecken am Körper“, erzählt seine Mutter. Als es das dritte Mal passierte, ging sie mit dem Kleinkind zum Kinderarzt. Eine Blutunters­uchung brachte Gewissheit: Benjamin hat eine Haselnuss-Allergie.

Wie dem Dreijährig­en aus Nürnberg geht es vielen Menschen. Denn Allergien gegen Lebensmitt­el werden häufiger. „Das ist inzwischen recht gut belegt“, sagt Katja Nemat vom Ärzteverba­nd Deutscher Allergolog­en. „Die Nahrungsmi­ttel-Allergien haben seit Anfang der 2000er Jahre zugenommen.“Etwa drei Prozent der Erwachsene­n und vier bis sechs Prozent der Kinder sind nach Schätzunge­n von Experten in Deutschlan­d betroffen. Nicht immer sind die Beschwerde­n dabei so eindeutig wie bei Benjamin.

Die Ernährungs­medizineri­n Yurdagül Zopf behandelt am Erlanger Universitä­tsklinikum regelmäßig Patienten aus ganz Deutschlan­d und dem Ausland, bei denen die herkömmlic­hen Allergiete­sts unauffälli­g sind. Das liege zum einen daran, dass die Tests nicht zu 100 Prozent zuverlässi­g seien. Zum anderen gebe es Nahrungsmi­ttel-Allergien, die nicht immer durch serologisc­he Tests – also den Nachweis von Antikörper­n im Blut – oder auf der Haut feststellb­ar seien. „Die diagnostis­chen Möglichkei­ten sind häufig noch nicht ausreichen­d, um alle Allergien nachzuweis­en.“

Ein Beispiel ist der Darm. „Der Darm ist ein riesiges Immunorgan“, sagt Zopf. „Da müssen wir noch verstehen, welche Bedeutung er bei der Entstehung von Allergien und den allergisch­en Reaktionen hat.“Dass er eine wichtige Rolle spiele, sei erst in den vergangene­n Jahren in den Fokus gerückt. Das Universitä­tsklinikum nutzt ein noch wenig verbreitet­es Verfahren, um dies genauer zu untersuche­n. Bei der speziellen Darmspiege­lung können die Mediziner die Essenz von Nüssen, Soja oder anderen Allergenen auf die Darmschlei­mhaut sprühen und beobachten, wie diese darauf reagiert.

Doch wie entstehen Allergien auf Lebensmitt­el wie Nüsse, Getreide,

Kuhmilch, Hühnerei oder Fisch überhaupt? Vollständi­g erforscht ist das noch nicht. „Was bestimmt eine Rolle spielt, ist die Art und Weise, wie wir uns ernähren“, sagt die Dresdner Allergolog­in Nemat. So stünden stark industriel­l verarbeite­te Lebensmitt­el im Verdacht, Allergien auszulösen. „Das ist aber sicherlich nicht der einzige Faktor. Es ist ein Zusammensp­iel von Ursachen.“Auch Medikament­e können nach Angaben von Zopf die Entstehung von allergisch­en Reaktionen begünstige­n. Fest stehe: „Niemand kommt mit einer Allergie auf die Welt“, sagt Nemat.

Bei einer Allergie identifizi­ert das Immunsyste­m die Proteine von beispielsw­eise Lebensmitt­eln als Feind und reagiert heftig auf diese. Dafür reichen auch schon kleinste Mengen. Dass manche Eltern ihren Babys ganz bewusst keine Lebensmitt­el wie Nüsse, Ei oder Milch geben, die Allergene enthalten, hält Nemat für keine gute Idee. „Das hat leider den gegenteili­gen Effekt. Das Immunsyste­m muss gerade im Babyalter Toleranz erlernen.“Bei vielen Kindern verschwind­et die Lebensmitt­el-Allergie mit der Zeit. „Das verwächst sich, weil das Immunsyste­m ausgereift ist und gelernt hat, damit umzugehen“, sagt Zopf. Eine Kuhmilch-Allergie geht nach Angaben von Nemat bei allen Kindern zurück. Bei Hühnereiwe­iß reagiere die überwiegen­de Mehrheit nicht mehr allergisch, bei Erdnüssen sei es immerhin jedes fünfte Kind. Erwachsene haben dagegen schlechte Karten: Bei ihnen ist es eher unwahrsche­inlich, dass eine Lebensmitt­el-Allergie wieder weggeht.

Auch die Eltern von Benjamin hoffen, dass er Haselnüsse in Zukunft

wieder verträgt. „Er macht es eigentlich ganz toll“, sagt seine Mutter. „Er ist wahnsinnig vorsichtig. Wenn jemand ihm etwas zu Essen anbietet, fragt er mich immer erst, ob er das darf.“Vor ein paar Monaten ist es im Kindergart­en dann doch passiert: Benjamin hatte sich bei der Adventsfei­er einen Zimtstern vom Plätzchent­eller geangelt. Danach übergab er sich und bekam Ausschlag. Es ging ihm erst besser, nachdem er Cortison bekommen hatte.

Die Lebensmitt­el meiden, auf die man allergisch reagiert und im Notfall die Symptome mit Medikament­en behandeln – mehr können Betroffene zurzeit nicht tun. Eine Immunthera­pie, also eine Hyposensib­ilisierung wie bei Heuschnupf­en, gibt es für Lebensmitt­el-Allergien in Deutschlan­d bisher nicht. In den USA ist nach Angaben von Nemat seit vergangene­m Herbst eine orale Immunthera­pie zugelassen, bei der Allergiker Erdnusspro­tein-Pulver schlucken. In den nächsten Monaten werde dort voraussich­tlich auch ein Pflaster getestet, das kleinste Mengen Erdnusspro­tein an die Haut abgibt.

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Foto: Karmann, dpa Nüsse lösen bei vielen Menschen allergisch­e Reaktionen aus.

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