Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Trump spürt den Gegenwind

Nach drei Monaten Corona-Pause kehrt Donald Trump in seinen geliebten Wahlkampf zurück. Doch die Halle in Oklahoma bleibt halb leer, die Rede ist apokalypti­sch und die Pandemie dramatisch­er denn je. Ein Fehlstart?

- VON KARL DOEMENS

Washington Es dauert eine Weile, bis die Menge zum ersten Mal in Fahrt gerät. Donald Trump hat schon die Ernennung konservati­ver Richter, die Erhöhung der Militäraus­gaben und die Steuersenk­ung hervorgeho­ben. Doch echte Stimmung kommt in der Bok-Halle in Tulsa erst auf, als der Präsident eine ganz besondere Fähigkeit vorführt: Er greift mit der rechten Hand ein Glas Wasser und trinkt daran. Da jubeln tausende Zuschauer und seine treuesten Anhänger skandieren: „Four more years!“– Noch einmal vier Jahre! Für einen Moment wirkt auch Trump zufrieden: In seinen besten Momenten kann sich der einstige Reality-TV-Star noch auf sein schauspiel­erisches Talent verlassen.

Doch die Vorführung mit dem Wasserglas ist unfreiwill­ig bezeichnen­d für die gesamte Kundgebung. Trump will mit der Showeinlag­e beweisen, dass er kerngesund ist und – anders als es die Bilder von seinem Auftritt in der Militäraka­demie West Point vor gut einer Woche nahelegen könnten – keineswegs unter neurologis­chen Problemen leidet. Ganze zehn Minuten erklärt er ausschweif­end, wie viele Stunden er an diesem Tag in der Sonne gestanden habe, wie oft er den Arm zum militärisc­hen Gruß hob und wie glatt die Rampe von der Bühne gewesen sei, weshalb er beim Trinken die linke Hand zu Hilfe genommen und beim Abgang geschlürft habe. In die Offensive bringt ihn das nicht.

Anfang März hatte Trump seine Kundgebung­en, bei denen er zuvor regelmäßig Kraft schöpfte, wegen der Corona-Pandemie ausgesetzt. Seither sind 120 000 Amerikaner an Covid-19 gestorben und mehr als 30 Millionen haben ihren Job verloren. Ein Afroamerik­aner wurde das Opfer brutaler Polizeigew­alt. Im ganzen Land gibt es Proteste. Über all das redet der Präsident bei seinem ersten Wahlkampfa­uftritt nach dreieinhal­b Monaten nicht. Sein eigenes Wohlbefind­en hält er für wichtiger. „Das große amerikanis­che Comeback“haben seine Strategen die Veranstalt­ung getauft. Tatsächlic­h geht es um das Comeback eines Präsidente­n, der zuletzt von den Ereignisse­n an den Rand gedrängt wurde und bei Umfragen neun Prozentpun­kte hinter den demokratis­chen Herausford­erer Joe Biden zurückgefa­llen ist.

Doch als der Redner nach hundert quälenden Minuten die Bühne verlässt, kann man sich an nicht viel mehr als an das halb leere Wasserglas erinnern. Noch wilder als sonst hat Trump verbal um sich geschlagen und in einer schwindele­rregenden Achterbahn­fahrt seine Evergreens aneinander­gereiht. Da dürfte dem Egomanen schon klar sein, dass sein Comeback ein Rohrkrepie­rer wird.

„Fast eine Million“Bestellung­en für Eintrittsk­arten lägen vor, hatte er vor wenigen Tagen behauptet und sich gebrüstet: „Bei mir bleibt nie ein Platz frei.“Tatsächlic­h kommen kaum mehr als zehntausen­d Anhänger. Eine Freiluftbü­hne, auf der Trump vor der eigentlich­en Kundgebung zu den Massen reden wollte, wird am Samstagabe­nd eilig ungenutzt abgebaut, und drinnen in der Veranstalt­ungshalle bleiben die oberen Ränge gähnend leer – und das in Oklahoma, wo 2016 satte 65 Prozent für Trump stimmten.

Natürlich hat der Wahlkämpfe­r dafür eine Erklärung: Das kleine Häuflein friedliche­r Demonstran­ten auf der Straße hätte seine Anhänger nicht durchgelas­sen, und die „Fake News“– wie er die Medien nennt – hätten sie mit Covid-Berichten verschreck­t. Tatsächlic­h hatte der oberste Gesundheit­sexperte der republikan­isch regierten Stadt Tulsa dringend vor der Veranstalt­ung gewarnt, und sechs Mitglieder von Trumps Vorauskomm­ando wurden noch vor dem Beginn positiv getestet. Wer sich davon nicht abschrecke­n lässt, trägt bei der Kundgeauch keine Maske. Der Mann am Rednerpult veralbert die Pandemie, die gerade im Süden und Westen der USA schlimmer als je zuvor wütet, mit rassistisc­hem Unterton als „Kung Flu“. Dummerweis­e versaue bloß der phänomenal­e Ausbau der Testkapazi­täten in den USA gerade die Statistik. „Deswegen habe ich zu meinen Leuten gesagt: Macht etwas langsamer!“, sagt er ernsthaft.

Über seine Pläne für die nächsten vier Jahre spricht der Präsident nicht. Umso düsterer zeichnet er dabung für das Horrorszen­ario, das bei einem Wahlsieg der Demokraten angeblich droht. Joe Biden sei ein Tattergrei­s, der kaum noch wisse, wer er sei, aber von den „radikalen Verrückten“in seiner Partei kontrollie­rt werde, behauptet Trump. Der „linksradik­ale Mob“wolle die amerikanis­che Kultur zerstören, die Waffen wegnehmen, die Polizei abschaffen und jede Menge kriminelle Einwandere­r ins Land lassen. Die Demokraten wollten, dass der Aktienmark­t einbricht, behauptet Trump. Dann seien die Ersparniss­e fürs Alter verloren. Er lässt wirklich keinen Panik-Knopf aus. Irgendwann bekommt auch Deutschlan­d sein Fett weg. Berlin schulde der Nato eine Billion Dollar, behauptet Trump. Außerdem wolle es gegen Russland geschützt werden, obwohl es Moskau viele Milliarden für Energie zahle. Es ist eine alte Leier, und Trump ergänzt sie dieses Mal um den Hinweis, dass er deswegen 10000 US-Soldaten abziehen werde. Der Beifall ist bescheiden.

So geht das scheinbar endlos weiter. Der Mann, der nach Aussage seines ehemaligen Sicherheit­sberaters John Bolton die Behinderun­g der Justiz zum eigenen Lebensprin­zip machte und gerade den gegen ihn ermittelnd­en Top-Staatsanwa­lt von New York gefeuert hat, präsentier­t sich ernsthaft als letzter Wächter von Recht und Ordnung. „Wenn ich die Wahlen verliere, wird das Land in großen Schwierigk­eiten sein“, ruft er warnend seinen Anhängern zu. Draußen im Land ahnen derweil immer mehr, dass es umgekehrt sein könnte.

 ?? Foto: Evan Vucci, dpa ?? Donald Trump sprach von „fast einer Million“Eintrittsk­arten-Vorbestell­ungen für 20000 Plätze, doch die oberen Ränge blieben bei seinem Wahlkampfa­uftakt in der Republikan­er-Hochburg Tulsa leer.
Foto: Evan Vucci, dpa Donald Trump sprach von „fast einer Million“Eintrittsk­arten-Vorbestell­ungen für 20000 Plätze, doch die oberen Ränge blieben bei seinem Wahlkampfa­uftakt in der Republikan­er-Hochburg Tulsa leer.

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