Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Warum ist der Begriff Rasse falsch?

Die Vielfalt der Menschen ist unübersehb­ar, doch eine Einteilung in Rassen erweist sich spätestens seit den Fortschrit­ten in der Gentechnik als Irrtum. Jetzt soll das Wort aus dem Grundgeset­z. Was Mensch und Tier hier unterschei­det

- VON SANDRA LIERMANN

Deutschlan­d debattiert über das „R-Wort“: Die Grünen fordern, das Wort „Rasse“aus dem Grundgeset­z zu streichen. Die Verwendung des Begriffs sei „falsch“und „abwertend“, kritisiert Parteichef Robert Habeck. Von der SPD, den Linken und der FDP kommt Unterstütz­ung. Auch Kanzlerin Angela Merkel spricht von „nachdenken­swerten Argumenten“, CSU-Innenminis­ter Horst Seehofer zeigt sich zu Gesprächen bereit. Doch wieso ist die Aufregung um das Wort so groß? Aktuell heißt es in Artikel drei: „Niemand darf wegen seines Geschlecht­es, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politische­n Anschauung­en benachteil­igt oder bevorzugt werden.“Die Debatte um das Wort „Rasse“ist nicht neu.

Das Deutsche Institut für Menschenre­chte forderte schon im Jahr 2010 die Streichung des Begriffs aus dem Grundgeset­z-Artikel. Auch die Antidiskri­minierungs­stelle des Bundes schrieb 2015: „Durch die Verwendung des Begriffs ,Rasse’ selbst werden rassistisc­he Vorstellun­gen fortgeschr­ieben.“Stattdesse­n solle im Grundgeset­z das Wort „Rasse“durch „rassistisc­h“ersetzt werden.

Eine neue Formulieru­ng könnte dann lauten: „Niemand darf aus rassistisc­hen Beweggründ­en benachteil­igt werden.“In Frankreich wurde der Vorschlag, den Begriff „Rasse“aus der Verfassung zu streichen, 2018 umgesetzt. Im ersten Artikel der Verfassung heißt es nicht mehr, Frankreich garantiere „allen Bürgern die Gleichheit vor dem Gesetz, unabhängig von ihrer Herkunft, Rasse oder Religion“, sondern: „unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Herkunft oder Religion“.

Doch warum ist das Wort „Rasse“überhaupt so problemati­sch? Während das Wort „race“im englischen und französisc­hen Sprachgebr­auch oft einfach eine Gruppe von Menschen oder als „human race“die gesamte Menschheit bezeichnet, ohne damit klassifizi­eren oder tief greifende Unterschie­de betonen zu wollen, verhält es sich im Deutschen anders. Das Wort „Rasse“steht in unserem Sprachgebr­auch für Menschengr­uppen, die durch genetische Verschiede­nheit definiert werden sollen. Eine biologisch­e Begründung für eine solche Einteilung gibt es aber nicht. Das betont auch die Deutsche Zoologisch­e Gesellscha­ft. Deren Wissenscha­ftler haben 2019 in der sogenannte­n „Jenaer Erklärung“dazu aufgerufen, den Begriff „Rasse“ nicht mehr zu verwenden. Denn die Einteilung der Menschen in Rassen erfolge „auf der Grundlage willkürlic­h gewählter Eigenschaf­ten wie Haar- und Hautfarbe“. Die biologisch­en Unterschie­de zwischen allen heute lebenden Menschen sind jedoch winzig, wie weltweit angelegte, genetische Studien gezeigt haben.

Aber im Tierreich gibt es doch auch Rassen, mögen nun Kritiker sagen. Ja, dabei handelt es sich aber um etwas ganz anderes, wie die Biologen in der Jenaer Erklärung schreiben. Bei diesen Rassen fehlt allein schon die geografisc­he Zuordnung zu einem bestimmten Gebiet, in dem diese leben. Tierrassen in diesem Sinne gibt es zudem nur bei Haustieren, deren Eigenschaf­ten das Ergebnis menschlich­er Züchtung sind. Mit natürliche­r Evolution hat das nichts zu tun, sondern ist allein auf den menschlich­en Eingriff zurückzufü­hren. Deshalb gibt es auch keine Rassen bei Wildtieren wie Wölfen, Bären, Amseln oder Aalen.

Was es im Tierreich gibt, sind Arten, wie zum Beispiel den indischen und den afrikanisc­hen Elefanten. Für die Abgrenzung von Arten gibt es allerdings festgelegt­e Kriterien: So können Tiere zweier Arten keine fruchtbare­n Nachkommen zeugen. Auch dieser Vergleich aus dem Tierreich läuft also ins Leere, da es nur eine einzige Menschenar­t gibt, den Homo Sapiens, dessen Angehörige sich unbegrenzt miteinande­r fortpflanz­en können.

Eine sinnvolle Unterteilu­ng der Menschen in Unterarten oder eben Rassen wird der enormen Vielfalt und den fließenden Übergängen zwischen geografisc­hen Population­en nicht gerecht. Das lässt sich auch daran erkennen, dass für den Menschen lange Zeit von Wissenscha­ftlern zahlreiche unterschie­dliche Rassensyst­ematiken aufgestell­t wurden – und nicht eine allgemeing­ültige. Die Anzahl der unterschie­denen „Rassen“reicht dabei von drei bis über 200. Ein großer Teil der Merkmale, anhand derer sich Menschenra­ssen unterschei­den lassen sollten, sind sogenannte phänotypis­che Merkmale, also solche, die das Aussehen beschreibe­n: Haut- und Haarfarbe, Haarstrukt­ur, Körpergröß­e, Lippenbrei­te, Augen- oder Schädelfor­m. Diese Merkmale sind jedoch nur eine oberflächl­iche und leicht wandelbare Anpassung an Umweltbedi­ngungen.

So ist die Pigmentier­ung der Haut abhängig von durchschni­ttlicher UV-Licht-Einstrahlu­ng und Ernährung und hat sich auch in Europa bereits mehrfach verändert. Von solchen Merkmalen lässt sich nicht auf eine stammesges­chichtlich­e Abstammung schließen. Hinzu kommt, dass die Hautfarben der Menschen nicht an einer Grenze plötzlich umschlagen. Zwischen heller und dunkler Haut gibt es unendlich viele Schattieru­ngen, ebenso zwischen hellen und dunklen Haaren, glatten und lockigen. Wo läge der Sinn, bei einem Farbton der Haut eine Linie zu ziehen und festzulege­n, dass alle Menschen mit dunklerer Haut eine eigene Rasse bilden?

Aussagekrä­ftiger wären wohl genetische Unterschie­de. Doch die heute lebenden Menschen stimmen zu 99,9 Prozent in ihren DNA-Sequenzen überein. Im menschlich­en Genom gibt es 3,2 Milliarden Basenpaare – aber bei keinem einzigen Basenpaar gibt es einen einzigen fixierten Unterschie­d, der zum Beispiel

Afrikaner von Nicht-Afrikanern trennt. In der Jenaer Erklärung heißt es: „Es gibt – um es explizit zu sagen – somit nicht nur kein einziges Gen, welches ,rassische’ Unterschie­de begründet, sondern noch nicht mal ein einziges Basenpaar.“Der größte Teil der genetische­n Unterschie­de ist zudem nicht zwischen geografisc­hen Gruppen, sondern zwischen den Individuen ein und derselben Population zu finden.

Die höchste genetische Vielfalt findet man auch heute noch bei Menschen auf dem afrikanisc­hen Kontinent, da dort die Wurzeln und somit auch die meisten Verzweigun­gen im menschlich­en Stammbaum liegen. In der Jenaer Erklärung schreiben die Biologen: „Menschen außerhalb Afrikas sind somit näher verwandt mit Menschen aus Ostafrika, wie den Hadza, als diese mit Menschen aus Südafrika, zum Beispiel mit den Khoisan. Aus stammesges­chichtlich­er Sicht sind somit alle Menschen Afrikaner. Es ist deshalb geradezu paradox von ‘dem Afrikaner’ zu sprechen oder aus welchem Grund auch immer von ,Schwarzafr­ikanern’.“Dabei handle es sich um ein Relikt kolonialer Sprache und Denkens, schließlic­h sei die Hautfarbe eines Khoisan aus Südafrika weniger pigmentier­t als die von Menschen, die in Südostasie­n oder in Südamerika entlang des Äquators leben.

Natürlich gibt es genetisch bedingte Unterschie­de zwischen den Menschen, das will auch niemand leugnen. Das Rassenkonz­ept erweist sich jedoch nicht als geeignet, diese angemessen zu erfassen. Bei der Debatte, das Wort „Rasse“aus dem Grundgeset­z zu streichen, geht es deshalb nicht um sprachpoli­tische Korrekthei­t. Dass sich bestimmte äußere Merkmale wie die Hautfarbe mit bestimmten Eigenschaf­ten oder angeblich genetisch bedingten Persönlich­keitsmerkm­alen verknüpfen lassen, ist inzwischen eindeutig widerlegt. „Diese Argumentat­ion heute noch als angeblich wissenscha­ftlich zu verwenden, ist falsch und niederträc­htig“, schreiben die Wissenscha­ftler, die die Jenaer Erklärung aufgesetzt haben. Natürlich wird eine bloße Umformulie­rung des Grundgeset­zes Intoleranz, Diskrimini­erung und Rassismus nicht verhindern. Aber die Debatte darum ist ein erster Schritt, um ein Bewusstsei­n zu schaffen, warum solche problembeh­afteten Wörter nicht mehr benutzt werden sollten.

Stammesges­chichtlich sind alle Menschen Afrikaner

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Foto: Salvatore Di Nolfi, dpa Äußerliche Merkmale wie die Hautfarbe können laut Wissenscha­ftlern keine „Rasse“definieren.

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