Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Noch 182 Tage
Es gibt diese Tage, die haben sich wetterfühlig eher überbelichteten Menschen ins Gemüt gestempelt. Es sind Exemplare der Spezies, die drei Tage lotrechtfallenden Dauer-Nieselregen nur mit regelmäßigem Blättern im BretagneBildband überstehen: Fotografierte Überdosis luzides Atlantik-Blau gegen diesen grauen Lappen, der den erwarteten Hochsommer aus dem Gemüt prasselt. Solche, die dann ins Sonnenstudio rennen, um sich im Münz-Mallorca zumindest ein bisschen Vitamin-D-Rausch einbilden zu können. Oder sich mit hochprozentig angereicherter Erdbeer-Bowle wegrichten, in der Hoffnung, dass es bald wieder anders, irgendwie heller, werden möge. Es sind diese März-Geborenen (Sternzeichen: Fisch), emotionale Wackelkandidaten, unrettbar diesbezüglich. Der Sonntag war für sie wieder einer dieser Tage. Der Schlimmste vielleicht. Ein wohl nie zu vergessendes Datum, das sich ins Hirn ätzt.
Am besten spricht man auch nicht mehr drüber. Aber das dumpfe Unbehagen – es bleibt ja doch, zehrt und frisst sich wie Säure weiter. Beharrlich, zunächst noch unmerklich, allerdings unaufhaltsam. Stunde um Stunde.
Schon richtig. Manche, es sind die anderen, sie feiern. Schmücken sich, putzen sich heraus, zünden große Freudenfeuer an, glauben, dass die Elfen mit ihnen tanzen, die Trolle hinter den Bäumen dabei hervorlugen, sie trinken Schnaps, singen Lieder dazu, sind ausgelassen und fröhlich, vergessen aber dabei, was nun unaufhaltsam schwindet.
Es heißt, wenn man an diesem Tag frühmorgens etwas Tau in einer Flasche sammelt, dann könne dieser kranke Menschen heilen. Mag sein, dass das so ist. Wieder probiert, hat wieder nix genützt. Es ist wie jedes Jahr zur Sommersonnenwende. Am Ende bleibt nach Mittsommernacht nur dieser Trost: Noch 182 Tage, dann ist Wintersonnenwende. Ab dann werden die Tage wieder länger.