Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Sechs Polizeischüsse auf einen Ladendieb
In Augsburg eskalierte ein Polizeieinsatz, nachdem ein 19-Jähriger Einsatzkräfte mit einem Messer bedroht hatte. Der Mann ist außer Lebensgefahr. Die Staatsanwaltschaft hält den Schusswaffeneinsatz für rechtmäßig
Augsburg Bei einem Polizeieinsatz am Freitagabend in der Augsburger Innenstadt haben Einsatzkräfte auf einen 19-jährigen mutmaßlichen Ladendieb geschossen und ihn schwer verletzt. Der Mann, der eine Streifenbesatzung mit einem Messer bedroht hatte, ist nach Informationen vom Wochenende aber nicht in Lebensgefahr. Routinemäßig ermittelt das Landeskriminalamt zur Schussabgabe durch die Augsburger Polizei. Nach derzeitigem Stand, so die Staatsanwaltschaft am Wochenende, gebe es aber keine Hinweise darauf, dass die Polizei unrechtmäßig geschossen habe.
Gegen 18.45 Uhr hatte der Mitarbeiter eines Discounters die Polizei wegen eines Ladendiebstahls gerufen. Als eine Streife kurz darauf eintraf, wurden die Polizisten von dem 19-Jährigen mit einem Messer bedroht, so die Ermittlungen. Wie es heißt, befand sich der junge Mann in einem Nebenraum, wo er niemand anderen gefährden konnte. Darum
Der junge Mann gehört zur Drogen- und Alkoholszene
entschlossen sich die Polizisten, auf die angeforderte Verstärkung zu warten. Als kurz darauf Rauch aus dem Raum drang, offenbar weil der 19-Jährige dort ein Feuer gelegt hatte, entschieden sich die Einsatzkräfte zum sofortigen Zugriff. Dabei, so die Polizei, sei es zu den Schüssen gekommen.
Wie die Staatsanwaltschaft am Sonntag erklärte, sei von einer Notwehr-Situation für die Polizisten auszugehen. Das Amtsgericht erließ am Sonntag Haftbefehl gegen den 19-Jährigen unter anderem wegen versuchten Totschlags und versuchter schwerer Brandstiftung. Laut Ermittlungen gaben zwei Polizisten insgesamt sechs Schüsse ab, wovon drei den Mann trafen. Sobald es der Zustand des 19-Jährigen zulässt, soll er vom Krankenhaus ins Gefängnis verlegt werden.
Kundschaft und Personal des Supermarktes waren zum Zeitpunkt der Schüsse schon ins Freie gebracht worden. Noch in der Nacht auf Samstag rückten Experten aus München zur Spurensicherung an, unter anderem mit einer 3D-Kamera, die zur Rekonstruktion des Geschehens eine digitale Übersicht der Örtlichkeit erstellt.
Der 19-Jährige ist offenbar Angehöriger der Drogen- und Alkoholszene am Augsburger Königsplatz, dem zentralen Nahverkehrsknoten in Augsburg. Im nahe gelegenen Park verbringen Menschen aus der Szene ihre Tage. Nachdem es dort in der Vergangenheit zu vermehrten Straftaten, darunter auch Gewalt, gekommen war, installierte die Polizei vor eineinhalb Jahren Überwachungskameras, die das Geschehen aufzeichnen. Die Szene mit harter Repression zu vertreiben, hält man bei Stadt und Polizei für wenig sinnvoll – das Ergebnis werde nur sein, dass sie sich auf andere Plätze verlagert. Neben den Kameras setzen die Behörden auch auf vermehrte Veranstaltungen auf dem Königsplatz, um ihn so für die ganze Bevölkerung erlebbar zu machen. Unter anderem wird dort öffentliches Yoga praktiziert.
Offizielle Informationen, ob der 19-Jährige unter Einfluss von Drogen oder Alkohol stand, als er die
Polizisten bedrohte, gibt es nicht. Angeblich war er aber angetrunken. Eine Freundin aus der Szene sagte, der 19-Jährige sei bisher nie durch Gewalt aufgefallen.
Dass die Polizei auf Menschen schießt oder Warnschüsse abgibt, kommt selten vor, weil der Schusswaffengebrauch nur als letztes Mittel zulässig ist. Die Polizeihochschule Münster ermittelte fürs Jahr 2018 – die aktuellste verfügbare Statistik – bundesweit 56 Fälle, in denen die Polizei auf Menschen schoss. Elf Menschen starben. In so gut wie allen Fällen ging es um Notwehr oder darum, andere Menschen aus akuter Gefahr für Leib und Leben zu retten. In zwei Fällen schoss die Polizei, um ein Verbrechen zu verhindern. Die Polizeigewerkschaften betonten bei der Vorstellung der Zahlen, dass es sich im Verhältnis zu rund 260000 Polizisten bundesweit um gleichbleibend niedrige Zahlen handle, während die Zahl der Angriffe auf Polizisten nach oben gehe. Die Zahl der Übergriffe auf Polizisten stieg in Bayern im vergangenen Jahr auf knapp 8000, der Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen 2010.
Wenn Polizisten zur Waffe greifen, dann in der Regel, um kranke oder verletzte Tiere zu töten. Dies war 2018 rund 13000 Mal der Fall.