Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Es ist einfach berührend“

Der Besuch des emeritiert­en Papstes Benedikt bei seinem schwer kranken Bruder in Regensburg ist für ihn auch eine Abschiedst­our. Doch warum fliegt er heute schon wieder zurück nach Rom? Vatikan-Kenner Andreas Englisch weiß es

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Herr Englisch, der Besuch des emeritiert­en Papstes Benedikt XVI. bei seinem im Sterben liegenden Bruder Georg Ratzinger in Regensburg hat viele Menschen angerührt. Sie auch? Andreas Englisch: J, sicher. Die beiden waren ja immer schon sehr eng miteinande­r, und Georg hat ihn oft in Rom besucht. Ich weiß noch genau: Als Joseph Ratzinger noch als Papst Benedikt im Amt war, hat er einmal in Brixen in Südtirol Urlaub gemacht. Auch da hat ihn Georg besucht. Weil Georg damals schon fast nichts mehr sehen konnte, hat ihm sein Bruder aus der Bibel vorgelesen. Das fand ich berührend.

Am Donnerstag kam Benedikt in Deutschlan­d an, an diesem Montag wird er bereits wieder nach Rom zurückflie­gen. Warum bleibt er nicht länger?

Englisch: Das ist ganz simpel: Der Sitz eines Papstes ist Rom. Natürlich gibt es keine Vorbilder für eine Situation, wie wir sie seit 2013 haben – dass es neben dem amtierende­n Papst einen zurückgetr­etenen, emeritiert­en Papst gibt. Aber der Vatikan hat stets ein großes Interesse daran bekundet, dass der zurückgetr­etene Papst Benedikt nicht in die Gefahr gerät, manipulier­t zu werden. Deshalb lebt er zurückgezo­gen in den Vatikanisc­hen Gärten. Wovor man im Vatikan Angst hat, ist: Benedikt XVI. könnte – weil ihm das jemand eingeflüst­ert hat – sagen, sein Nachfolger Franziskus sei nicht der richtige Papst. Er selbst sei das nach wie vor. Dann haben wir ein richtiges Problem.

So denkt auch Papst Franziskus? Englisch: Ich denke eher, das ist ihm egal. Ich glaube, solche Erwägungen gibt es eher im Staatssekr­etariat, also dem vatikanisc­hen Verwaltung­sapparat. Aber die Gefahr ist ja real: Stellen Sie sich vor, Benedikt bleibt in Deutschlan­d, gerät an jemanden, der ihm Übles will, und sagt dann: Alles, was Franziskus entschiede­n hat, ist nicht gültig, ich annulliere das. Was dann?

Auf Fotos und Videos sieht Benedikt recht gebrechlic­h aus. Viele sorgen sich, auch mit ihm könne es bald zu Ende gehen ...

Englisch: Ohne jeden Zweifel hat er in den vergangene­n Jahren erheblich abgebaut. Er ist nun einmal ein sehr alter Mann. Aber ich würde mir wünschen, mit 93 auch noch in so einem Zustand zu sein. Geistig wirkt er ja fit.

In den sozialen Medien gab es eine

Diskussion: Darf man Fotos von Benedikt, der im Rollstuhl sitzt und auf Hilfe angewiesen ist, veröffentl­ichen? Englisch: Selbstvers­tändlich. Päpste sollte man nicht verstecken, auch wenn sie gebrechlic­h sind. Im Gegenteil. Denken Sie nur an Papst Johannes Paul II. – der ist jahrelang vor den Augen der Öffentlich­keit gestorben.

Dass Benedikt nochmals in seine alte Heimat zurückkehr­t, galt bislang als ausgeschlo­ssen. Wie bewerten Sie seine vermutlich letzte große Reise? Englisch: Er wollte seinen Bruder noch einmal sehen, und der Vatikan hat das möglich gemacht. Das ist das mindeste Gebot der Menschlich­keit, finde ich.

Verwundert es Sie, dass man die Reise bis zuletzt geheim halten konnte?

Englisch: Ich war auch überrascht. Aber es handelt sich nicht um einen Staatsbesu­ch, sondern um einen rein privaten Besuch. Und das geht eigentlich niemanden etwas an.

Wie erklären Sie sich das überwältig­ende öffentlich­e Interesse an diesem Besuch. Das Bistum Regensburg twittert ja sogar, was Benedikt isst ... Englisch: Es ist eben eine historisch absolut einzigarti­ge Situation. Ein deutscher Papst, der dann auch noch zurücktrit­t ... Sie und ich und unsere Ururur-Enkel werden so etwas wahrschein­lich nicht mehr erleben.

Am Samstag besuchte Benedikt sein früheres Haus in Pentling bei Regensburg sowie das Grab seiner Eltern und seiner Schwester. Eine Abschiedst­our? Englisch: Bestimmt. Wenngleich es natürlich für einen Priester völlig normal ist, das Grab seiner Eltern aufzusuche­n.

Joseph und Georg Ratzinger sind stark kritisiert worden: Joseph, der spätere Papst, als Hardliner; Georg als brutaler Chorleiter der Regensburg­er Domspatzen. Benedikts Besuch in Regensburg wird nun allerdings von sehr viel öffentlich­er Sympathie begleitet. Englisch: Es ist einfach berührend, wenn ein 93-Jähriger seinen 96-jährigen Bruder besucht, der im Sterben liegt. Benedikts Image wird das nicht verändern – und er wird so etwas auch nicht anstreben.

Wie eng ist das Verhältnis der Brüder wirklich?

Englisch: Ich kann mich gut an den Tag erinnern, als Joseph Ratzinger 2005 zum Papst gewählt wurde. Georg war außer sich, weil er dachte, sie würden sich nie wieder sehen. Ihr Verhältnis war wirklich sehr eng, ihre Beziehung zur Musik und zu Gott hat sie verbunden.

Und die Schwester der beiden, die 1991 gestorbene Maria? Die führte Joseph ja seit 1959 den Haushalt. Englisch: Sie war ein kleine, energische Person, die Joseph voll im Griff hatte. Anfang der 90er hatte er gesundheit­liche Probleme, durfte keinen Alkohol mehr trinken und musste auf fettes Essen verzichten. Sie sagte immer: „Joseph, das darfst du nicht!“– er hat sich daran gehalten. Interview: Daniel Wirsching

Andreas Englisch berichtete früher für die „Bild“über den Vatikan. Einer der Bestseller des Publiziste­n heißt: „Mein Rom“.

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 ?? Foto: A. Weigel, dpa ?? Benedikt XVI., bürgerlich Joseph Ratzinger, besuchte am Samstag das Grab seiner Eltern und seiner Schwester.
Foto: A. Weigel, dpa Benedikt XVI., bürgerlich Joseph Ratzinger, besuchte am Samstag das Grab seiner Eltern und seiner Schwester.
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