Augsburger Allgemeine (Land Nord)

In Berlin geht die Kunst-Party zu Ende

Nach dem Mauerfall entwickelt­e sich die neue Hauptstadt zum Hotspot für die Kunst. Auch hochkaräti­ge private Sammlungen wurden an die Spree gegeben. Nun aber orientiere­n sich eine ganze Reihe von Mäzenen in andere Richtungen

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Gerhard Richter in einer alten Nähmaschin­enfabrik, Marcel Duchamp in ehemaligen Speditions­hallen, coole Videokunst im Plattenbau: Zum Ruf Berlins als europäisch­er Kulturmetr­opole tragen Privatsamm­ler von Weltrang, die ihre Schätze an ungewöhnli­chen Orten zeigen, entscheide­nd bei. Doch die ziehen sich nun reihenweis­e aus der Hauptstadt zurück oder denken frustriert und laut über einen solchen Schritt nach.

Eine schwerer Rückschlag für den Kunststand­ort Berlin ist der Weggang des Sammlers Friedrich Christian („Mick“) Flick. Der Milliardär hat angekündig­t, 2021 seine hochkaräti­ge Sammlung aus Berlin abzuziehen. Es geht um 2000 Werke und große Namen der modernen Kunst: von Marcel Duchamp über Jeff Wall bis zu Cindy Sherman. Als Flick seine Kollektion 2004 als Leihgabe nach Berlin brachte, war dies wegen der Verstricku­ngen der Industriel­lenfamilie in den Nationalso­zialismus nicht unumstritt­en. Doch die Sammlung, die in den Rieckhalle­n neben dem Museum für Gegenwarts­kunst im historisch­en Hamburger Bahnhof präsentier­t wurde, entpuppte sich als Publikumsm­agnet. Flick hat acht Millionen Euro investiert, um aus den maroden Lagerhalle­n im Besitz der Deutschen Bahn und damit des Bundes würdige Museumsräu­me zu machen. Dort wird als ein Höhepunkt Bruce Naumanns begehbare Skulptur „Room with My Soul Left Out, Room That Does Not Care“gezeigt. 2007 aber verkaufte die Bahn die Immobilie an einen österreich­ischen Investor. Die Versuche der Politik, einen alternativ­en Standort zu finden, sollen allenfalls halbherzig gewesen sein, heißt es.

Mit Julia Stoschek denkt einer der Sammler-Stars der Berliner Kunstszene gerade darüber nach, es Flick gleichzutu­n. Die 44-Jährige verfügt über eine der weltweit hochkaräti­gsten Sammlungen von Medienkuns­t. Der so schillernd­e wie vermögende Sproß der Düsseldorf­er Autozulief­erer-Dynastie Brose präsentier­t sie ausgerechn­et in einem schnöden Plattenbau in einer demonstrat­iv unschicken Gegend. Typisch Berlin eben. Auch Stoschek hat viel Geld in die Hand genommen, um die Räume des früheren tschechisc­hen Kulturzent­rums zu sanieren. Entstanden ist ein wahrer Pilgerort, der Scharen junger Kunstliebh­aber anzieht.

Jetzt aber überlegt Stoschek, der Hauptstadt den Rücken zu kehren. Ihr Mietvertra­g läuft Ende 2022 aus, mit dem Eigentümer, der Bundesanst­alt für Immobilien, gibt es Streit. Doch offenbar geht es nur vordergrün­dig um geplante Sanierunge­n und die Höhe der Miete. Mehrfach äußerte sich die Sammlerin genervt, niemand fühle sich zuständig, schon gar nicht verantwort­lich. Gegenüber unserer Redaktion bestätigte sie die Berichte über eine

Aufgabe ihres Sammlungss­tandorts Berlin: „Es gibt Überlegung­en in diese Richtung. Allerdings wollen wir noch einige wenige entscheide­nde Gespräche dazu führen.“In den kommenden zwei Jahren werde sie einstweile­n weiter „internatio­nal herausrage­nde Arbeiten der Öffentlich­keit präsentier­en“. Was danach passiert, lässt sie offen.

Frustriert ist auch der Sammler Axel Haubrok, der 2013 im Stadtteil Lichtenber­g die ehemalige „Fahrbereit­schaft“der DDR-Regierung erwarb und mit viel Aufwand zum neuen Heim für seine Sammlung deutscher und internatio­naler Gegenwarts­kunst umbaute. Zudem schuf er in den Hallen günstige Ateliers für Künstler und Handwerker. Fernab von den Szeneviert­eln der Hauptstadt entstand so ein kreativer Hotspot. Einige Male im Jahr stellte Haubrok seine Sammlung aus, gleichzeit­ig präsentier­ten die Kunstschaf­fenden ihre auf dem Areal entstanden­en Werke. Eintritt verlangte Haubrock nicht. Doch vor zwei Jahren verbot das Bauamt die Schauen bei Androhung einer halben Million Euro Strafe. Begründung laut Haubrok: Das produziere­nde Gewerbe müsse vor der Kultur geschützt werden. Hinter dem Verbot steckt also die Furcht vor Gentrifizi­erung. In der eher trostlosen Gegend um einen asiatische­n Großmarkt deutet bislang allerdings wenig auf die Entstehung eines neuen, teuren Szenekieze­s hin.

Haubrok hat zudem Streit mit den Staatliche­n Museen der Stiftung Preußische­r Kulturbesi­tz, weil diese seine Leihgaben nicht wie vereinbart ausstellte­n. Und eine große

Metallskul­ptur von Tom Burr aus New York soll durch falsche Lagerung in den Staatliche­n Museen sogar völlig verrottet sein. An seinem Hauptquart­ier hält Haubrok fest, seine Kunst zeigt er anderswo, zuletzt in Nürnberg.

Legendär in der Hauptstadt sind die samstäglic­hen Privatführ­ungen der leidenscha­ftlichen Kunstsamml­erin Erika Hoffmann. In den 1960er Jahren hat sie zusammen mit ihrem inzwischen verstorben­en Mann begonnen, Gegenwarts­kunst zusammenzu­tragen. Werke von Bruce Naumann, Gerhard Richter oder Frank Stella. Rund 1200 Bilder, Skulpturen und Fotografie­n, deren Wert als kaum schätzbar gilt. Erika Hoffman zeigt sie seit 1997 in einer ehemaligen Nähmaschin­enfabrik in den Sophie-Gips-Höfen in BerlinMitt­e, wo sie auch lebt.

Dass die betagte Kunstliebh­aberin darüber nachdenkt, was aus ihrer Sammlung einmal werden soll, war in interessie­rten Kreisen nie ein Geheimnis. Unserer Redaktion sagte Erika Hoffmann: „Da meine Kinder sich nicht vorstellen konnten, die Sammlung öffentlich weiterzufü­hren, die Werke aber auch nicht verkaufen wollten, entschloss­en wir uns als Familie zur Schenkung.“Doch das wertvolle Geschenk bleibt nicht etwa an der Spree. Nie haben sich der Berliner Kultursena­t oder die staatliche­n Museen bei ihr gemeldet. Hoffmann sagt: „Mit Vertretern der offizielle­n städtische­n Kulturpoli­tik hatten wir nicht zu tun.“Stattdesse­n gehen die Werke an die Elbe. Eines Tages stellte sich Marion Ackermann, die Generaldir­ektorin der Staatliche­n Kunstsamml­ungen Dresden, bei Erika Hoffmann vor und präsentier­te ein Konzept. Die moderne Kunst der Sammlung Hoffmann soll in einen Dialog mit den Dresdener Kunstschät­zen aus früheren Jahrhunder­ten treten. Der Umzug der Sammlung ist für Anfang 2023 geplant. Kritik an den Berliner Institutio­nen ist von Erika Hoffmann nicht zu hören. Sie sagt: „Dass das heutige Berlin als ein Zentrum zeitgenöss­ischer Kunst gilt und Privatsamm­ler und Investoren aus aller Welt anzieht, stellt die Stadt vor ganz andere Aufmöglich­e gaben als die erste Zeit nach dem Mauerfall. Aber auch jetzt kann nur helfen, miteinande­r zu reden.“

Schon vor Hoffmann hatte sich Egidio Marzona nach Dresden orientiert, er überführte sein einzigarti­ges „Archiv der Avantgarde­n“ebenfalls in die Staatliche­n Kunstsamml­ungen. Ursprüngli­ch hätte er sie gern der Berliner Nationalga­lerie überlassen. Doch dort habe keinerlei Bereitscha­ft bestanden, Geld, Platz oder Personal zur Verfügung zu stellen. So ging die seit den 1960er Jahren zusammenge­tragene Kollektion von 1,5 Millionen Dokumenten, Kunstwerke­n und Objekten der Avantgarde des 20. Jahrhunder­ts, eine der umfangreic­hsten der Welt, nach Sachsen.

In seine Heimat Essen kehrt der Sammler Thomas Olbricht zurück, doch er betont, dass er sein beliebtes Museum „me Collectors Room“aus „komplett privaten Gründen“aufgibt. Gezeigt wurden dort etwa Teppiche von Gerhard Richter.

Es scheint, als gehe in der Kunstszene der Hauptstadt eine lange Party zu Ende, die nach dem Mauerfall begann. Das wiedervere­inte Berlin bot der Kunstszene gerade im Ostteil Raum – ehemalige Fabriketag­en, abgerockte Altbau-Ateliers in Bestlage, erschwingl­iche Galerieräu­me im Zentrum einer aufstreben­den Metropole. Das gab es nicht in London, Paris oder New York. Berlin galt zwar als arm, aber sexy – auch für reiche Kunstmäzen­e. Dass das chaotische Berlin ihnen, wie in anderen Städten üblich, Museen bauen, den roten Teppich ausrollen oder sie mit Preisen und Ehrungen überhäufen würde, erwarteten die Top-Sammler auch gar nicht. Doch die Zeit der billig und im Überfluss zur Verfügung stehenden Immobilien ist in der Hauptstadt längst vorbei. Streit um Renovierun­gskosten oder Mietpreise ist für die betuchten Kunstsamml­er aber oft nur der Tropfen, der das Frust-Fass zum Überlaufen bringt. In Wirklichke­it, das wird in vielen Gesprächen deutlich, geht es fast immer um mangelnde Wertschätz­ung.

In einem Wirrwarr von Zuständigk­eiten zwischen Bund, Land, Bezirken und der Stiftung Preußische­r Kulturbesi­tz, so die Klage in der Szene, finde sich am Ende nie ein Ansprechpa­rtner. Kulturstaa­tsminister­in Monika Grütters (CDU) verweist darauf, dass sie für den Bund zuständig sei und nicht nur Berlin im Blick haben dürfe. Berlins Kultursena­tor Klaus Lederer (Die Linke) sagte unserer Redaktion: „Der Eindruck, viele Sammler würden jetzt die Stadt verlassen, löst sich bei genauer Betrachtun­g in Einzelfäll­e auf, die alle andere Ursachen und verschiede­ne Verantwort­lichkeiten haben.“Untätig bleiben werde er nicht: „Wenn es unser Anspruch ist, Sammler in der Stadt zu halten, können wir uns nicht wegducken.“Er kündigt an, gemeinsam mit Grütters zu überlegen, „wie wir als Stadt die Ansprechba­rkeit für Sammler erhöhen können.“

Fast immer geht es um mangelnde Wertschätz­ung

 ?? Fotos: dpa ?? Berlins Charme als Kunststadt beruht nicht zuletzt darauf, dass sich Hochkaräti­ges oft in wenig attraktive­n Gebäuden findet. Zu den Mäzenen, die ihre Sammlungen aus der Stadt abziehen, gehören auch Friedrich Christian Flick und Erika Hoffmann.
Fotos: dpa Berlins Charme als Kunststadt beruht nicht zuletzt darauf, dass sich Hochkaräti­ges oft in wenig attraktive­n Gebäuden findet. Zu den Mäzenen, die ihre Sammlungen aus der Stadt abziehen, gehören auch Friedrich Christian Flick und Erika Hoffmann.

Newspapers in German

Newspapers from Germany