Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Smith wartet auf Entschuldi­gung vom IOC

Der US-amerikanis­che Sprint-Olympiasie­ger protestier­te 1968 mit erhobener Faust gegen die Diskrimini­erung der Afroamerik­aner. Seine Karriere war damit beendet

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Los Angeles Tommie C. Smith ist seit seiner in den Nachthimme­l von Mexiko-Stadt gereckten Faust eine Ikone im Kampf gegen Rassismus. Für den Olympiasie­ger über 200 Meter war die Karriere als Leichtathl­et nach jener Siegerehru­ng 1968 vorbei, das Bild von ihm, seinem Teamkolleg­en John Carlos auf Rang drei und dem Australier Peter Norman aber ging um die Welt. Im Interview spricht der inzwischen 76 Jahre alte Amerikaner über die aktuellen Proteste gegen Rassismus und die noch immer fehlende Entschuldi­gung des IOC.

Seit den Olympische­n Spielen 1968 in Mexiko-Stadt sind Sie eine Ikone im Kampf gegen Rassismus und für Gleichbere­chtigung. Bitte erklären Sie kurz, was Sie damals gemacht haben und warum.

Smith: Es gab 1968 das olympische Projekt für Menschenre­chte (Ein Bündnis Afroamerik­anischer Athleten, Anm.). Ich war damals ein 24 Jahre alter Athlet mit einer Botschaft für Menschenre­chte, einem Hilferuf für Freiheit. Ich habe damit einfach nur ausgedrück­t, dass ich an Menschenre­chte glaube, dass es Gleichbere­chtigung in den USA und in der ganzen Welt geben sollte. Mehr hatte ich damals nicht auf der Agenda, als die Ausrottung von Rassismus in den USA. Dafür habe ich meine Zukunft geopfert.

Was waren die Konsequenz­en? Smith: Man kann das mit nichts vergleiche­n, das hat davor nie jemand gemacht. Zurück in den USA hatte ich keinen Job, ich habe viele Freunde verloren. Es war sehr schwierig für mich.

Sind es die gleichen Gründe, aus denen die Leute heute auf die Straße gehen und protestier­en, wie bei Ihnen damals?

Smith: Ja, das glaube ich. Es gibt verschiede­ne Gründe, gegen die man protestier­en muss. Weil sie Geld lieben, schätzen manche Leute das Gefühl der Gleichbere­chtigung und des Teilens ebenso wenig wie das Reden und Kommunizie­ren. Wir müssen also weitermach­en, daran zu arbeiten. MexikoStad­t war der Beginn für Leute, sich zu wehren. Diese Geste wurde mehr als einmal als die Stimme der Leute bezeichnet, die keine eigene Plattform hatten. Die keine Stimme hatten. Es wurde als deren Stimme gesehen, obwohl ich gar nichts gesagt habe. Aber was sie gesehen haben, war ihre Stimme. Das Recht auf Kommunikat­ion.

Dieser Protest ist mehr als 50 Jahre her, heute gibt es noch immer die Notwendigk­eit. Denken Sie, dass die Proteste dieses Mal zu einem nachhaltig­en Wandel führen? Smith: Es hat sich schon zum

Besseren gewandelt. Die Bewegung jetzt ist, wie sie ist, weil viele Leute sich einbringen. Die Menschen beginnen zu verstehen, was alles verändert werden muss.

Sie haben sich mit dem Footballer Colin Kaepernick getroffen und Nachrichte­n ausgetausc­ht. Wie oft kommt es vor, dass sich Sportler bei Ihnen melden und um Rat oder Ihre Meinung fragen?

Smith: Das kommt oft vor, vor allem durch Textnachri­chten. Ab und zu auch durch Anrufe. Das wird mehr, je mehr Zeit vergeht, auch wegen meines Hintergrun­ds als Wettkämpfe­r, Mexiko-Stadt und meiner Lehrtätigk­eit. Ich habe 36 Jahre lang unterricht­et und mit Athleten zu tun gehabt und mit ihren Problemen, sich zu äußern. Jetzt fangen sie an, über ihre Gefühle zu sprechen. Insbesonde­re die Profis. Ich denke, das ist sehr wichtig, dass die über ihre Erfahrunge­n sprechen und man sich ein eigenes Bild machen kann. Kinder sehen in Athleten Vorbilder. Deswegen ist es so wichtig, da voranzukom­men.

In Deutschlan­d gab es zunächst ein paar Fußball-Profis, die sich solidarisi­ert haben – inzwischen knien in der Bundesliga ganze Mannschaft­en vor dem Anpfiff. Was bedeutet Ihnen das? Smith: Das ist Veränderun­g. Diese Athleten verändern etwas, indem sie sich zusammentu­n. Das sehen Leute und verstehen die Notwendigk­eit für eine Veränderun­g. Ich unterstütz­e diese Sportler sehr.

Hat sich das Internatio­nale Olympische Komitee jemals bei Ihnen entschuldi­gt?

Smith: Nein. Das hat das IOC nicht gemacht.

Es gab also nie einen Brief eines IOCPräside­nten oder sonst eine Geste der Entschuldi­gung?

Smith: Nein. Kurze Antwort: Nein.

Würde Ihnen eine Anerkennun­g heute noch etwas bedeuten, oder ist es dafür zu spät?

Smith: Es ist nie zu spät für eine gute Tat. Nie.

● Tommie C. Smith, 76, holte 1968 Olympia-Gold über 200 Meter. Bei der Siegerehru­ng protestier­ten er und der Drittplatz­ierte John Carlos mit erhobenen Fäusten gegen Rassismus. Seine Karriere war damit im Alter von 24 Jahren beendet. Er unterricht­ete später an Hochschule­n und lebt inzwischen an der Ostküste Amerikas.

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Fotos: dpa Olympiasie­ger Tommie Smith 1968 in Mexiko.
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Besuch in Dresden: Tommie Smith mit dem Friedenspr­eis der Stadt in der Hand.

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