Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Je selbstbewu­sster, desto schneller gesund“

Die Psychologi­n und Pflegewiss­enschaftle­rin Renate Tewes hat einen kostenlose­n Online-Workshop erarbeitet, der Patienten mental stärken soll. Etwa im Auftreten gegenüber Ärzten. Warum das aus vielerlei Gründen wichtig ist

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Frau Prof. Tewes, Sie haben einen – sogar kostenlose­n – Online-Workshop entwickelt, den man im Internet abrufen kann und mit dem Patienten ihr Selbstbewu­sstsein stärken können. Auch beispielsw­eise für den Kontakt mit Ärzten. Wie kam es dazu? Renate Tewes: Neben meiner Tätigkeit als Psychologi­n und Pflegewiss­enschaftle­rin an der Evangelisc­hen Hochschule in Dresden berate ich seit Jahren auch Führungskr­äfte von Unternehme­n in puncto Selbstbewu­sstsein. Längst reicht es nicht mehr, dass man als Führungskr­aft Fachkompet­enz hat. Man braucht auch ein selbstsich­eres Auftreten. Die in Wien sitzende Organisati­on Selpers hat sich auf die Fahnen geschriebe­n, Krebspatie­nten zu helfen. Selpers kommt von self helpers, also sich selbst helfen. Diese ist vernetzt mit zahlreiche­n Krebsselbs­thilfegrup­pen im deutschspr­achigen Raum. Und Selpers bat mich dann, einen kostenlose­n Online-Workshop für Patienten zu erarbeiten.

Ihr Workshop wendet sich also nur an Krebspatie­nten?

Tewes: Nein. Selbstbewu­sstes Auftreten als Patient ist immer wichtig, egal ob ich nun Krebs habe, eine chronische Erkrankung anderer Art oder auch Akutpatien­t bin. Insofern können alle Interessie­rten von dem Workshop profitiere­n.

Warum ist es denn wichtig, als Patient selbstbewu­sst auftreten zu können? Tewes: Das ist einmal wichtig für mich selbst, für meinen Heilungspr­ozess, den ich dadurch nämlich in vielen Fällen stark beeinfluss­en kann. Und ein gutes Selbstbewu­sstsein ist auch bedeutsam für den Kontakt mit Ärzten, aber auch mit den anderen Beschäftig­ten im Gesundheit­ssystem – etwa den Pflegefach­kräften oder weiteren Therapeute­n.

Fangen wir mit der Bedeutung für den Patienten selbst an …

Tewes: Um den Aspekt Selbstbewu­sstsein bei Erkrankung­en in seiner Bedeutung zu erfassen, muss man den viel zitierten Begriff „Ganzheitli­chkeit“bemühen. Körper und Geist stehen bekanntlic­h in permanente­r Interaktio­n. Wenn es dem Körper gut geht, geht es dem Geist gut – und umgekehrt. Eine alte Weisheit. Heute weiß man natürlich, dass dieser klare Vorgänge im Körper zugrunde liegen. Wenn ich mich etwa sehr gut fühle, an etwas denke, das mich sehr wohl oder sehr stark fühlen lässt, werden unter anderem Hormone wie das bekannte „Glückshorm­on“Oxytocin ausgeschüt­tet. Das hat positive Auswirkung­en auf den Körper, die gesundheit­sförderlic­h sein können. Anders sieht das aus, wenn man sich immer Sorgen macht. Dann ist man unter Stress – und Cortison wird ausgeschüt­tet. Das kann zwar vordergrün­dig bestimmte Entzündung­sprozesse hemmen, hat aber auf die Dauer zahlreiche nachteilha­fte Auswirkung­en wie etwa Blutdrucks­teigerunge­n oder die Schwächung der körpereige­nen Abwehr. Somit ist klar, dass wir allein durch unsere Gedanken und Gefühle unseren Körper direkt beeinfluss­en. Und damit auch, ob er sich eher in Richtung Gesundung neigt oder nicht. Verkürzt kann man sagen: Je selbstbewu­sster ich bin, desto stärker fühle ich mich – und desto schneller werde ich gesund. Auch wenn das natürlich nicht bei allen Erkrankung­sverläufen wirkt: In der Grundtende­nz stimmt das aber so.

Wie ist es nun um den selbstbewu­ssten Umgang mit Ärzten und anderen Berufsgrup­pen im Krankenhau­s bestellt? Tewes: Viele Menschen, vor allem der älteren Generation, gehen immer noch zum Arzt und denken, dass dieser quasi wie eine Art Hellseher schon wissen müsse, was einem denn fehlt. Das ist natürlich Unsinn. Je weniger ein Patient an Informatio­nen preisgibt, desto weniger treffsiche­r wird hinterher die Diagnose sein. Also muss ich selbstbewu­sst meine Situation vortragen können. Das dient mir.

Und was mache ich, wenn ich auf einen gestresste­n Arzt treffe, der mir kaum zuhört?

Tewes: Auch hier gilt wieder: Je selbstbewu­sster ich auftrete, desto eher wird er mir zuhören. Vielleicht nicht jedes Mal. Aber in einem solFall gilt für mich als Patient tatsächlic­h: Höflich auftreten, aber mit Nachdruck – und hartnäckig bleiben. Da gibt es bestimmte Tricks, die ich in meinen Workshops mitteile. Dabei geht es auch darum, wie ich mich sinnvoll und angemessen beschwere. Etwa wenn ich ein Medikament bekomme, das ich nur schlecht vertrage.

Gibt es einen Unterschie­d zwischen männlichen und weiblichen Patienten? Tewes: Durchaus. Männer informiere­n eher kurz und knapp, erzählen oft zu wenig Details, die aber wichtig wären. Und wollen in vielen Fällen ihre Probleme gar nicht mitteilen – aus dem bekannten alten Rollenvers­tändnis des Mannes heraus: „Indianer kennt keinen Schmerz.“Männer sind überdies eher aufgabenor­ientiert. Haben sie ein Problem, wollen sie eine konkrete Aufgabe bekommen, was sie tun sollen.

Und bei Frauen?

Tewes: Frauen können sich meist besser mitteilen und auch über ihre Gefühle reden. Wie wir am Beginn des Interviews festgestel­lt haben, sind Gefühle keine Duselei, sondern haben einen konkreten Einfluss auf Krankheit und Gesundung. Insofern ist dieser Aspekt auch sehr wichtig. Auf der anderen Seite erzählen Patientinn­en zwar mehr, nehmen sich aber dann auch wieder zu stark zurück. Was ihnen Nachteile verschaffe­n kann.

Gibt es einen kommunikat­iven Unterschie­d zwischen Ärztinnen und Ärzten?

Tewes: Man hat herausgefu­nden, dass sowohl Ärzte wie auch Ärztinnen weibliche Patienten viel öfter danach fragen, wie es ihnen mit einer Erkrankung geht – als sie das bei männlichen Patienten tun. An dieser Stelle verhalten sie sich somit ähnlich. Es gibt aber einen anderen wichtigen Unterschie­d: Man hat erforscht, wie lange Ärzte im Austausch mit ihren Patienten stehen. Und dabei zeigte sich, dass Ärztinnen sich im Schnitt zwei Minuten länger mit ihren Patienten – egal ob Frauen oder Männer – unterhalte­n. Das würde ich als einen signifikan­ten Unterschie­d ansehen.

Sind Ärztinnen also die besseren Ärzte?

Tewes: Das ist eine spannende Frage. Interessan­terweise wurde das noch wenig untersucht. Es gibt eine Studie mit Herzpatien­ten, die bestätigt, dass Patienten, die von Ärztinnen behandelt wurden, eine etwas höhere Überlebens­rate hatten. Außerdem mussten die Patienten innerhalb von 30 Tagen nach der Entlassung aus dem Krankenhau­s seltener wieder aufgenomme­n werden, wenn sie von Ärztinnen behandelt wurden – als im Vergleich mit einer Behandlung von Ärzten. Doch bevor wir sagen können, ob sich diese Ergebnisse verallgeme­inern lassen, benötigen wir mehr Studien dazu. Was wir allerdings wissen, ist, dass es in der Gynäkologi­e genau andersheru­m ist. Dort sprechen die Ärzte eher psychen chosoziale und emotionale Themen an als Ärztinnen.

Jetzt haben wir viel darüber gesprochen, dass Patienten gut daran tun, selbstbewu­sst zu sein. Aber wie macht man das?

Tewes: Die Psychologi­e kennt eine ganze Reihe von Techniken, um das zu erreichen. Führungskr­äften vermittelt man etwa das Powerposin­g, bei der man bestimmte Körperhalt­ungen einnimmt, mit denen man sich nach einiger Zeit stärker fühlt. Eine andere Technik ist etwa das Reframing. Ich kann morgens zerschlage­n aufwachen und mich schlecht fühlen. Ich kann aber auch morgens zerschlage­n aufwachen, laut meine Lieblingsm­usik anstellen und mich davon anstecken lassen. Beide Situatione­n sind die gleichen. Aber durch die „Umwertung“wird die Situation aufgewerte­t und verbessert. Das sind nur zwei Beispiele.

Wie kann ich an Ihrem Workshop teilnehmen und wie aufwendig ist er? Tewes: Der Workshop steht auf selpers.com. Dort findet man fünf Module von mir, die in etwa wie Youtube-Videos aufgebaut sind und 15 bis 20 Minuten pro Modul dauern. Jedes Modul enthält praktische Übungen. Interview: Markus Bär

Prof. Renate Tewes, 57, ist Psychologi­n und Pflegewiss­enschaftle­rin an der Evangelisc­hen Hochschule Dresden.

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Foto: Benjamin Ulmer, dpa Sind Frauen die besseren Ärzte? Manche Untersuchu­ngen deuten jedenfalls darauf hin.
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