Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Am Tresen auf dem Rasen

„Weltunterg­änge“im Martinipar­k

- VON CLAUDIUS WIEDEMANN

In Zeiten wie diesen ist Kreativitä­t mehr gefordert denn je. Für Kulturvera­nstalter wie etwa das Staatsthea­ter Augsburg gilt dies in besonderem Maße, unterliege­n sie doch noch immer den Beschränku­ngen der Besucheran­zahl. Deshalb hat das Theater nun auf der Wiese im Martinipar­k eine zusätzlich­e Spielstätt­e installier­t: den Kunstrasen. Bespielt wird diese Bühne bis Ende Juli jeweils von Donnerstag bis Sonntag mit Musik, szenischen Lesungen und Tanz.

Eigentlich wollte man mit dem Kunstrasen vor allem in lauen Sommernäch­ten Freilichtt­heater en miniature präsentier­en. Dass ausgerechn­et am Startwoche­nende der Wettergott sich querstellt­e, glich in diesen Corona-Zeiten fast schon einem dramaturgi­schen Einfall. Ob der grenzwerti­gen feucht-kühlen Temperatur­en war zur szenischen Lesung „Weltunterg­änge“leider nur wenig Publikum erschienen. Dabei hatte das Theater seinen Kunstrasen perfekt organisier­t. Aufgeteilt in viele kleine, mit Kreide gezeichnet­e Quadrate, in jedem dieser Quadrate jeweils zwei Stühle für Publikum. Damit wurde die Anforderun­g an den gebotenen Sicherheit­sabstand beinahe zur Kunstinsta­llation.

Ein künstleris­ch ansprechen­des Programm boten die beiden Schauspiel-Ensemblemi­tglieder Karoline Stegemann und Thomas Prazak in der szenischen Lesung „Weltunterg­änge“. Eingericht­et hatte die Lesung Regieassis­tentin Ana Wybkea Gutschke zunächst für das Format

„Tresen-Lesen“, das das Staatsthea­ter vor Corona in regelmäßig­en Abständen im Weißen Lamm präsentier­te. Für den Text von Marc Becker war die Szenerie einer Kneipe ideal, verweisen eine Vielzahl der Dialoge des Stückes doch auf Szenen in Bars, Discos und Klubs. Dennoch funktionie­rte die Lesung auch bestens auf offener Frontalbüh­ne im Freien. Ja, während die Zufallsbek­anntschaft­en Nadja und Andy sich in teils sehr grotesken Dialogen versuchen anzunähern, spiegelten die mächtigen, sich im Wind wiegenden Bäume im Park hinter der Bühne sogar eine mögliche Bedrohung durch die Außenwelt.

So mancher Dialog in Beckers Drama scheint wie auf Corona hingeschri­eben zu sein. Nadja geht etwa schon seit Wochen nicht mehr nach draußen, da sie Angst vor dem Weltende hat. Zur Sicherheit ist sie mit einer Gasmaske ausgerüste­t. Sie sagt: „Das Wichtigste in dieser Zeit ist, dass man auf sich aufpasst.“Doch was sich hier nach CoronaAnle­ihe anhört, ist alles Originalte­xt Becker.

Im zweiten Teil begegnen wir dem Pärchen Johanna und Johann. Standen Andy und Nadja am möglichen Anfang einer Beziehung, so steht dieses Paar am Ende einer solchen. Mit einfacher Frisur- und spärlicher Kleidungsä­nderung gelang es Stegemann und Prazak perfekt, mit den Dialogen zwei jeweils völlig unterschie­dliche Charaktere zu verkörpern. Und so goutierte das leicht fröstelnde Publikum diesen „Weltunterg­ang“mit überaus kräftigem Applaus.

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Foto: Siegfried Kerpf Annäherung funktionie­rt auch im Freien: Karoline Stegemann und Thomas Prazak beim Kunstrasen.

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