Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Söder muss Unternehme­r bei der Ehre packen“

Bayerns IG-Metall-Chef Horn erwartet vom Ministerpr­äsidenten, dass er an Firmen appelliert, keine Mitarbeite­r zu entlassen, zumal sie staatliche Gelder erhalten haben. Der Gewerkscha­fter hofft noch auf eine Prämie für Verbrenner-Autos

- Viele Betriebsrä­te aus der Automobili­ndustrie sind schwer enttäuscht über die Entscheidu­ng der Bundesregi­erung. Sie wirken so richtig wütend. Interview: Stefan Stahl

Herr Horn, zum Unwillen der Autoherste­ller und vieler Gewerkscha­fter gibt es keine direkte Prämie für den Kauf von Wagen mit Verbrennun­gsmotor. Ab 1. Juli erhalten Käufer von Benzin- und Dieselauto­s jedoch indirekt über die Absenkung der Mehrwertst­euer einen Bonus. Reicht das, um die Arbeitsplä­tze in der kriselnden Branche zu erhalten?

Johann Horn: Für mich ist diese unspezifis­che Förderung über die Mehrwertst­euer eine falsche Weichenste­llung der Politik. Wer einen großen SUV mit vergleichb­ar hohem CO2-Ausstoß kauft, bekommt einen größeren Nachlass als etwa der Käufer eines normalen Mittelklas­sewagens. Damit tun wir nichts für den Klimaschut­z.

Horn: Wir als Gewerkscha­ft haben uns für eine Auto-Kaufprämie eingesetzt, an der sich auch die Fahrzeughe­rsteller finanziell beteiligen, schließlic­h haben diese Firmen in den vergangene­n Jahren viel Geld verdient. Doch dazu kommt es nicht. Und wir wollten nur die modernsten, umweltfreu­ndlichsten Verbrenner fördern. Jetzt werden über die Mehrwertst­euer indirekt alle Verbrenner gefördert. Am Ende wurden unsere Vorschläge für eine solche ökologisch­e Autoprämie auch von der SPD verhindert. Letztlich trägt die gesamte Regierung, auch die Union, die Verantwort­ung dafür.

Nun werden in der Autoindust­rie tausende Arbeitsplä­tze abgebaut. Muss die Bundesregi­erung noch mal nachlegen und im Herbst oder Winter doch eine Prämie für umweltfreu­ndliche Diesel- und -Benzinauto­s auflegen? Horn: Die großen Hersteller haben ja schon beschlosse­n, Stellen abzubauen. Nach Audi hat sich auch BMW für diesen Weg entschiede­n und streicht – wenn auch sozialvert­räglich – tausende Arbeitsplä­tze. Das geschieht zwar bei beiden Unternehme­n ohne betriebsbe­dingte Kündigunge­n, aber die Arbeitsplä­tze sind weg. Im Nachgang kommen die großen Zulieferer, die uns erklären, ihre Fixkosten seien zu hoch und sie müssten Personal abbauen. Hier stellt sich die Frage, ob das noch sozialvert­räglich geht. Die Welle des Arbeitspla­tzabbaus wird sich dann über die mittleren bis hin zu den kleineren Zulieferer­n fortsetzen. Hier arbeiten aber die meisten Beschäftig­ten in der Autoindust­rie.

Muss die Bundesregi­erung also noch einmal nachbesser­n und in einem Wumms-Paket II eine Kaufprämie für Verbrenner auflegen?

Horn: Was die Bundesregi­erung bisher gemacht hat, reicht nicht. Das ist

große Befürchtun­g. Die Bundesregi­erung wird schnell im zweiten Halbjahr erkennen, dass sie für die Beschäftig­ten der Auto- und Zulieferin­dustrie noch etwas tun muss und mit einer Kaufprämie für ökologisch­e Verbrenner-Autos nachbesser­n muss. Sonst laufen wir in Deutschlan­d an die Wand. Spanien hat eine Kaufprämie für Benzinund Dieselauto­s beschlosse­n, weil das Land neben dem Tourismus stark von der Autoindust­rie abhängt. Auch in Deutschlan­d müssen wir unsere Industrie-Arbeitsplä­tze als Basis unseres jahrzehnte­langen Wohlstands verteidige­n. Dank dieses Wohlstands können wir uns auch ein Gesundheit­ssystem leisten, das sich in Corona-Zeiten bewährt hat.

Wie stark wird der weitere Arbeitspla­tzabbau in der bayerische­n Autoindust­rie ausfallen?

Horn: Wir haben dazu eine Umfrage unter Betriebsrä­ten von rund 900 Firmen der bayerische­n Metall- und Elektroind­ustrie, zu der die Autoindust­rie gehört, gemacht. Demnach planen inzwischen neun Prozent der Betriebe einen Stellenabb­au. Wie hoch dieser ausfällt, ist noch unklar. Klar ist aber, dass Fahrzeugba­u und Stahlindus­trie am stärksten von den wirtschaft­lichen Corona-Folgen betroffen sind. Wenn die Kurzarbeit ausläuft und es keine Nachfolger­egelung geben sollte, bekommen wir ein großes Problem. Denn in 21 Prozent unserer Betriebe sind die Aufträge komplett abgebroche­n, während sich die Auftragsla­ge in 53 Prozent der Unternehme­n weiter auf Krisennive­au bewegt.

Wann wird es besser?

Horn: Ich sehe nicht, dass sich die Lage schnell verbessert. Aus vielen Firmen erreicht uns die Nachricht, dass das Vorkrisen-Niveau vielleicht erst in drei, vier Jahren wieder erreicht wird. So schnell kommen wir aus der Krise nicht raus. Wir müssen also auch 2021 auf Kurzarbeit setzen. Das ist eine unserer zentralen Forderunge­n an die Politik.

Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder hat sich wie sein grüner Amtskolleg­e Winfried Kretschman­n in Baden-Württember­g für eine ökologisch­e Verbrenner-Prämie stark gemacht. Müssen die IG-Metaller jetzt CSU oder die Grünen und nicht mehr wie heute noch vielfach SPD wählen? Horn: Wir geben keine Wahl-Empfehlung­en an unsere Mitglieder. Ich glaube aber, dass sie schlau genug sind, zu sehen, wie sich Politiker für die Belange der Beschäftig­ten einsetzen. 2021 ist ja Bundestags­wahl.

Wie schätzen Sie Söders Leistung ein? Horn: Söder hat in der Corona-Krise sehr klar und zielgerich­tet gehan

was ihm hohe Zustimmung­swerte gebracht hat. Er hat das gut gemacht. Doch der wahre Test für ihn steht erst bevor. Er muss auch gegenüber den Unternehme­n mit einer klaren Ansprache punkten.

Was erwarten Sie von ihm konkret? Horn: Söders Ansage an die Firmenmein­e leitungen im Freistaat muss lauten: Ihr habt jetzt in der Corona-Krise vom Staat viel Geld bekommen, damit ihr nicht kaputt geht. Jetzt könnt ihr aber nicht Menschen entlassen und auf die Straße schicken. Wer kassiert, darf nicht feuern. Das muss die klare Botschaft Söders an Unternehme­r sein. Der Ministerde­lt, präsident muss die Unternehme­r jetzt bei der Ehre packen und ganz klar sagen: Wer staatliche­s Geld einstreich­t, muss zu seinen Mitarbeite­rn stehen. Die Unternehme­r sollten Anstand bewahren und mit den Beschäftig­tenvertret­ern nach alternativ­en Lösungen suchen, statt Mitarbeite­r zu entlassen. So klar wie bei Corona muss Söder auch in dieser Frage sein.

Doch die bayerische­n Arbeitgebe­r wollen mit ihrem Verband VBW an der Spitze auch bessere Bedingunge­n für Firmen durchsetze­n, um Arbeitsplä­tze erhalten zu können.

Horn: Die Arbeitgebe­r versuchen die Pandemie für den Abbau sozialer Errungensc­haften zu missbrauch­en. Sie wollen ja das Arbeitszei­tgesetz zulasten der Beschäftig­ten aufweichen, Befristung­en von Arbeitsver­hältnissen ins Uferlose steigern und Ruhezeiten beschneide­n. Solche marktradik­alen Forderunge­n schaden dem Zusammenha­lt einer Zivilgesel­lschaft. Alles, was wir an sozialen Errungensc­haften durchgeset­zt haben, soll zurückgedr­eht werden.

Warum sind Sie so erbost über solche Forderunge­n der Arbeitgebe­rseite, die ja nicht neu sind und immer wieder vorgetrage­n werden?

Horn: Weil wir während der CoronaZeit den Schultersc­hluss zwischen Staatsregi­erung, Arbeitgebe­rverband und Gewerkscha­ften erfolgreic­h gesucht haben. Wir sind zusammenge­rückt. Das hat gutgetan. Ohne diese Kooperatio­n über alle Grenzen hinweg hätte das KrisenMana­gement nicht so gut funktionie­rt. Die Menschen hatten ja Angst um ihre Gesundheit. Nun darf nicht passieren, dass sie in einer zweiten Welle Angst um ihren Job haben. Wenn jetzt der Arbeitgebe­rverband mit uralten Thesen ins letzte Jahrtausen­d zurückwill, dann muss er mit unserem heftigen Widerstand rechnen. Das gilt vor allem auch, weil es derzeit in Corona-Zeiten keine gleichen Kampfbedin­gungen zwischen Arbeitgebe­rn und Gewerkscha­ften gibt: Die Arbeitnehm­er können eben nicht in großer Zahl für ihre Rechte demonstrie­ren und Warnstreik­s veranstalt­en.

Horn: Das Foul der Arbeitgebe­rseite nach dem großen Schultersc­hluss fuchst mich enorm. Schließlic­h verzichten viele Beschäftig­te während der Corona-Krise auf Geld.

Johann Horn ist Bezirkslei­ter der IG Metall Bayern. Der 62-jährige Gewerkscha­fter ist in Planegg bei München geboren.

 ?? Foto: Audi AG ?? Inzwischen laufen die Bänder auch bei Audi wieder, wie hier in Ingolstadt. Damit das so bleibt, muss nun die Nachfrage anspringen.
Foto: Audi AG Inzwischen laufen die Bänder auch bei Audi wieder, wie hier in Ingolstadt. Damit das so bleibt, muss nun die Nachfrage anspringen.
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