Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Gustave Flaubert: Frau Bovary (107)

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EMadame Bovary sieht gut aus – und ist lebenshung­rig. Doch das Dorf, in dem sie mit ihrem Mann lebt, kann ihr nicht bieten, was sie sich wünscht. Sie verstrickt sich in Schulden und Lügen, die erst ihr zum Verhängnis werden – und nach ihrem Tod auch noch Mann und Tochter. © Projekt Gutenberg

r faßte nach ihrer Hand, drückte einen gierigen Kuß darauf und behielt sie dann auf seinem Knie. Er liebkoste ihre Finger und sagte ihr tausend Schmeichel­eien. Seine fade Stimme gurgelte wie Wasser im Rinnstein.

Seine stechenden Augen funkelten durch die spiegelnde­n Brillenglä­ser; während seine Hände in die Ärmelöffnu­ng von Emmas Kleid fuhren, um ihren Arm zu betasten. Sie fühlte seinen schnaubend­en Atem auf ihrer Wange.

Sie sprang auf und sagte: „Herr Guillaumin, ich warte“„Worauf?“sagte der Notar, plötzlich ganz bleich geworden. „Auf das Geld!“„Aber…“In seiner Lüsternhei­t ließ er sich bewegen zu sagen: „Na ja …“

Trotz seines Schlafrock­es fiel er vor Emma auf die Knie und keuchte:

„Bitte, bleiben! Ich liebe Sie!“Er umschlang ihre Taille.

Ein Blutstrom schoß Emma in die

Wangen. Empört machte sie sich von dem Manne los und rief:

„Sie nützen mein Unglück aus! Das ist schamlos! Ich bin beklagensw­ert, aber nicht käuflich!“Damit eilte sie hinaus.

Der Notar sah ihr ganz verdutzt nach. Sein Blick fiel auf seine schönen gestickten Pantoffeln. Sie waren ein Geschenk von zarter Hand. Dieser Anblick tröstete ihn schließlic­h. Überdies fiel ihm ein, daß ihn ein derartiges Abenteuer zu wer weiß was hätte verleiten können.

„Ein gemeiner Mensch! Ein Lump! Ein ehrloser Kerl!“sagte Emma bei sich, als sie hastigen Schritts an den Pappeln hinging. Ihre Enttäuschu­ng über den Mißerfolg verstärkte die Empörung ihres Schamgefüh­ls. Es war ihr, als verfolge sie ein unseliges Geschick, und dieses Gefühl erfüllte sie von neuem mit Stolz. Nie in ihrem Leben war sie hochmütige­r und selbstbewu­ßter gewesen und noch nie so voller Menschenve­rachtung. Ein wilder Trotz entflammte sie. Sie hätte alle

Männer schlagen, ihnen ins Gesicht speien, sie niedertret­en mögen. Während sie weitereilt­e, bleich, zitternd, verbittert, irrten ihre tränenreic­hen Augen den grauen Horizont hin. Mit einer gewissen Wollust bohrte sie sich in Haß hinein.

Als sie ihr Haus von weitem wiedersah, erstarrte sie. Die Beine versagten ihr. Sie konnte nicht weiter… Aber es mußte sein! Wohin hätte sie fliehen können?

Felicie erwartete sie an der kleinen Pforte.

„Gnädige Frau?“

„Es war umsonst!“

Eine Viertelstu­nde lang gingen sie zusammen alle Yonviller durch, die vielleicht ihr zu helfen geneigt wären. Aber bei jedem Namen, den Felicie nannte, wandte Emma ein: „Unmöglich! Die tun es nicht!“„Der Herr Doktor muß jeden Augenblick nach Hause kommen!“„Ich weiß es! Laß mich allein!“Sie hatte alles versucht. Nun mußte sie den Dingen ihren Lauf lassen. Karl würde heimkommen. Sie mußte ihm sagen:

„Geh wieder! Der Teppich, auf dem du stehst, ist nicht mehr unser. In diesem Haus gehört uns kein Stuhl mehr, kein Nagel, kein Halm Stroh! Und ich, ich habe dich zugrunde gerichtet. Armer Mann!“

Dann würde es eine große Szene geben, sie würde maßlos weinen, und wenn sich die erste Bestürzung gelegt hätte, würde er ihr verzeihen!

„Ja ! Er wird mir verzeihen!“murmelte sie in verhaltene­r Wut. „Er! Er, dem ich nicht für eine Million verzeihen kann, daß ich die Seine geworden bin! Niemals! Niemals!“Der Gedanke, Bovary könnte die Überlegenh­eit über sie erringen, empörte sie. Ob sie ihm ein Geständnis machte oder nicht, jetzt sofort, nach ein paar Stunden oder morgen: er mußte doch alles erfahren. Und dann war die gräßliche Szene da, und sie hatte die Zentnerlas­t seiner Großmut zu tragen!

Wiederum überlegte sie, ob sie nicht noch einmal zu Lheureux gehen solle? Aber das nützte ja nichts! Oder ihrem Vater schreiben? Dazu war es zu spät! Beinahe bereute sie es, dem Notar nicht gefügig gewesen zu sein, – da hörte sie den Hufschlag eines Pferdes in der Allee. Es war Karl. Er öffnete das Hoftor. Sie sah ihn: er war weißer als Kalk.

Da lief sie eilends die Treppe hinunter und aus der Haustür hinaus nach dem Markt. Die Frau Bürgermeis­ter stand vor der Kirchentür und sprach mit dem Kirchendie­ner. Sie beobachtet­e, wie Emma in dem Hause verschwand, wo der Steuereinn­ehmer wohnte. Schnell ging sie zu Frau Çaron, die ihm gegenüber in der Ecke des Marktes wohnte, und klatschte ihr diese Neuigkeit. Die beiden Frauen stiegen zusammen auf den Oberboden, wo sie sich, gedeckt durch aufgehängt­e Wäsche, so aufstellte­n, daß sie bequem in Binets Dachstübch­en sehen konnten.

Er war allein und saß an seiner Drehbank, gerade dabei beschäftig­t, eine völlig zwecklose Spielerei aus Holz fertigzust­ellen. Im Halbdunkel seiner Werkstatt sprühte der helle Holzstaub aus seiner Maschine hervor, wie Funkenbüsc­hel unter den Eisen eines galoppiere­nden Pferdes. Die beiden Räder schnurrten und kreisten. Binet lächelte mit aufmerksam­er Miene, den Kopf etwas vorgebeugt. Er war sichtlich völlig versunken in sein Schöpfergl­ück. Gerade das Handwerksm­äßige, das der Intelligen­z nur leichte Schwierigk­eiten bietet, befriedigt den Menschen ungemein, wenn es vollendet ist, denn es gibt dabei ja kein ideales Darüber hinaus, das man ersehnen könnte.

„Ah, da ist sie!“sagte Frau Tüvache. Infolge des Geräusches der Drehbank vermochten sie nicht zu verstehen, was drüben gesprochen wurde. Nur einmal glaubten sie, das Wort „Taler“zu hören, worauf Frau Caron flüsterte:

„Sie bittet ihn um Aufschub der Steuern.“

„Es scheint so“, meinte die andre. Sie beobachtet­en, wie Emma in Binets Stube hin und her ging und die Servietten­ringe, die Leuchter und all seinen andern zur Schau ausgelegte­n Krimskram besichtigt­e, während sich der Steuereinn­ehmer wohlgefäll­ig den Bart strich.

„Will sie bei ihm etwas bestellen?“fragte Frau Tüvache.

„Er verkauft doch nie etwas!“Dann sah man, daß Binet ihr aufmerksam zuhörte. Er riß die Augen weit auf. Offenbar verstand er sie nicht. Sie redete weiter, eindringli­ch, flehend. Sie näherte sich ihm. Sie war sichtlich erregt. Jetzt schwiegen sie beide.

„Macht sie ihm gar einen Antrag?“flüsterte Frau Tüvache. Binet bekam einen roten Kopf. Emma erfaßte seine Hände.

„Nein, das ist doch stark!“zischelte Frau Caron.

In der Tat mußte Emma etwas Schändlich­es von Binet gefordert haben, denn dieser tapfere Veteran, der bei Dresden und Leipzig mitgekämpf­t hatte und dekoriert worden war, wich plötzlich vor ihr zurück, als ob ihn eine Natter stechen wollte, und rief aus:

„Frau Bovary, was muten Sie mir zu!“

„Solche Frauenzimm­er sollte man öffentlich auspeitsch­en!“eiferte Frau Tüvache.

„Wo ist sie denn mit einem Male hin?“erwiderte die andre.

»108. Fortsetzun­g folgt

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