Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die „Seele des Hauses“ist im Stern stets präsent

Der Gasthof Am Kirchplatz in Gersthofen befindet sich nun schon in fünfter Generation in Familienbe­sitz. Dabei war der Start im Jahr 1898 aus einem ganz besonderen Grund alles andere als leicht

- VON MATTHIAS SCHALLA

Gersthofen Ein Blick in die Geschichts­bücher aus dem Jahr 1898 zeigt so manches Ereignis, das die Welt bewegte. So wurde beispielsw­eise Kaiserin Sisi erstochen, das Ehepaar Curie prägte nach seinen Entdeckung­en den Begriff „radioaktiv“und 21 Einkaufsve­reine aus dem Deutschen Reich schlossen sich zur Einkaufsge­nossenscha­ft der Kolonialwa­renhändler zusammen – kurz Edeka. Doch auch im damals noch so beschaulic­hen Gersthofen entwickelt­e sich etwas, das bis heute noch Bestand hat. Die Gastwirtsc­haft „Zur Anna Seitz“nahm 1898 ihren Betrieb auf. Heute bekannt als „Gasthof Stern“.

Der Start in die Gastronomi­e war für Familie Seitz vor mehr als 120 Jahren allerdings alles andere als leicht. Denn der Gasthof Strasser, der damals noch sein eigenes Bier braute, wollte den Erzählunge­n nach in unmittelba­rer Nähe keine Konkurrenz haben. „Und da er mit unserem Architekte­n befreundet war, legte er uns einige Steine in den Weg“, erzählt Michael Seitz, der heute in fünfter Generation den Gasthof führt. Strassers Plan war, die Baukosten für die Wirtschaft so in die Höhe zu treiben, dass die Familie aufgeben muss. Heute zeugen die – im Vergleich zu andern Häusern aus der Zeit – doppelt so dicken Mauern von diesem Schachzug, der allerdings nicht aufging.

Grund für das Scheitern des Strasser-Plans dürfte der heute immer seltener zu findende Familiensi­nn und ein einzigarti­ges Durchhalte­vermögen sein. Das hat sich erst vor Kurzem wieder bei einem traurigen Ereignis bewiesen. „Meine Mutter Antonie ist im Mai im Alter von 86 Jahren gestorben“, sagt Josef Seitz. Sie sei „die Seele des Hauses“gewesen und habe bis vor zwei Jahren noch regelmäßig im Betrieb mitgearbei­tet. Wie sehr ihr der Betrieb am Herzen lag, habe sie sogar noch auf dem Sterbebett gezeigt. „Hoffentlic­h geht alles gut“, hätte sie mit Blick auf die Corona-Krise ihren Angehörige­n zugeraunt.

Wie stark der Zusammenha­lt bei Seitz ist, hat sich vor allem in den Wochen vor Omas Tod gezeigt. „Unsere ganze Familie hat sich rund um die Uhr für die Pflege abgewechse­lt“, erzählt Josef Seitz. Kinder und Enkel seien regelmäßig an ihrem Bett gewesen. Bis zum Schluss. Doch Antonie Seitz wird nicht zuletzt durch ihre Rezepte auch nach ihrem Tod weiterhin im Gasthof Stern präsent sein. „Der Kartoffels­alat nach Omas Art mit Geschwolle­nen ist bei unseren Gästen sehr beliebt“, sagt Michael Seitz. Und diese Zubereitun­gsweise wird auch künftig strikt befolgt.

So wie bei allen anderen Produkten setzt die Küchenmann­schaft ganz auf regionale und saisonale

Produkte. „Wir hatten so bis vor zehn, 15 Jahren eine Phase, da haben wir verstärkt besondere Aktionen und Sonderange­bote organisier­t“, erzählt Michaels Vater. Es gab Schnitzelt­age, Abende, an denen die Maß Bier nur die Hälfte kostete oder das Mittagsmen­ü 4,50 Euro. „Dann aber haben wir gesagt, wir setzen jetzt auf Klasse statt auf Masse“, betont Michael Seitz und nennt als Negativbei­spiel den Corona-Ausbruch bei der Firma Tönnies. Diese „Geiz-ist-geilMental­ität“ist Vater und Sohn ein Dorn im Auge. „Schließlic­h wollen doch alle leben – der Bauer, der Metzger und auch der Wirt“, sagt der 30-Jährige. Und so kommen nun schon seit 40 Jahren die Kartoffeln von Bauer Strixner auf den Teller, die Eier vom Scheicherh­of aus Almering, das Wild wird von einem befreundet­en Jäger in den heimischen Wäldern erlegt und auch die Leber gibt es nur zu den Schlachtta­gen. Und die Rechnung ist aufgegange­n. Treue Stammkunde­n sind im Gasthof Stern beispielsw­eise die Besucher der internatio­nalen Bierdeckel­börse, die sich seit vielen Jahren regelmäßig in Gersthofen treffen. Dank der 20 Gästezimme­r im zweiten Stock bietet sich der Stern auch für mehrtägige Treffen an. Nächstes Jahr wollen die Sammler im Stern sogar ihr 60. Vereinsjub­iläum feiern. Doch auch Gäste aus China oder Japan, Geschäftsr­eisende aus ganz Europa oder Pilger auf dem Jakobsweg sind immer wieder in der Gastwirtsc­haft am Kirchplatz zu finden.

„Bei uns ist jeder willkommen“, sagt Michael Seitz und fügt an: „Egal, welchen Glauben er hat oder welcher Nationalit­ät er angehört.“Möglicherw­eise hat die Nähe zur

Kirche die Familie Seitz geprägt. Christlich­e Nächstenli­ebe und liberales Denken hat hier jedenfalls neben einer qualitativ guten Küche oberste Priorität. So feiern an dem einen Tag türkische Mitbürger im Stern ihr Hennafest und am anderen Tag trifft sich dort der Gersthofer Theaterver­ein.

Der Lockdown zu Beginn der Corona-Krise hat jedoch auch den Stern schwer getroffen. Zwar zieht das Geschäft so langsam wieder an, die Wirtsleute aber haben beobachtet, dass die Gäste im Vergleich zu früher nicht mehr so lange bleiben und es werde weniger verzehrt. Doch auch in der momentan nicht so einfachen Phase ist die verstorben­e Oma wieder einmal präsent. Denn ihr Motto „Immer nach vorne blicken“, das beherzigen Josef Seitz und sein Sohn Michael und die ganze Familie jetzt erst recht.

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Foto: Marcus Merk Josef und Michael Seitz sind die Chefs im Gersthofer Stern.
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Seit 120 Jahren gibt es am Kirchplatz in Gersthofen den Gasthof Stern.

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