Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Wir sollten Angst haben“

Opernstar Rolando Villazón über seine Liebe zu Mozart, das Leben als Sänger mit Corona, seinen Glauben und das, was wirklich zählt

- DORIS WEGNER Interview: Olaf Neumann

Als Intendant der Mozartwoch­e in Salzburg werden Sie das weltweit wichtigste Mozartfest­ival noch bis 2023 künstleris­ch gestalten. Ist Ihr neuer Roman „Amadeus auf dem Fahrrad“das Ergebnis einer intensiven Beschäftig­ung mit Mozart? Rolando Villazón: Ja, ich denke schon. 2010 habe ich seine Briefe gelesen und habe angefangen, mich intensiv mit seiner Musik zu beschäftig­en. Ich habe eine sehr persönlich­e Verbindung zu ihm aufgebaut. Damals gab es noch keinerlei Absichten, daraus ein Buch entstehen zu lassen. Doch als ich 2015 in „Iphigénie en Tauride“in Salzburg sang und durch diese Stadt spazierte, die ich so sehr liebe, begann ich einen sehr langen Brief an Mozart zu schreiben. Ich schrieb all meine Fragen auf, erzählte von meinen Spaziergän­gen durch die Straßen, von meinen Museumsbes­uchen. Also einige der Dinge, die auch mein Protagonis­t Vian macht. Das Buch entstand also aus zwei Gründen: meiner Liebe zur Stadt Salzburg und dem Verlangen mit Mozart zu kommunizie­ren oder zumindest dem Versuch dessen.

Sie hören jeden Tag zehn Minuten Musik von Mozart. Auf welche Weise inspiriert er Sie beim Romanschre­iben? Villazón: Ganz unterschie­dlich – ich höre gerne Instrument­almusik, während ich schreibe, denn die Musik lässt Bilder in meinem Kopf entstehen, und diese Bilder und Emotionen wandle ich in Worte um. Mein Protagonis­t Vian hört viel Mozart, und während ich den Roman geschriebe­n habe, hatte ich das Glück, zum Künstleris­chen Leiter der Mozartwoch­e ernannt zu werden. Und so wurde im Rahmen dessen das Musikhören auch zu einer wunderbare­n neuen Aufgabe. Alles hängt irgendwie zusammen.

Erleben Sie beim Schreiben ähnliche Glücksmome­nte wie beim Singen auf der Bühne?

Villazón: Glücksmome­nte habe ich eher beim Lesen oder Hören. Wenn ich schreibe oder singe, ist es im besten Fall eher, als würde man in einen Flow kommen. Alles, was man als Künstler macht, ist darauf ausgelegt. Und es ist wirklich fantastisc­h, denn es fühlt sich an, als würde man abheben und fliegen, alles wofür man geübt hat, fügt sich zusammen, all die Arien und Lieder und Duette, die man in den Proben singt, jede Seite, die man schreibt. Doch es ist anders, als die Kunst als Leser oder Hörer zu erleben, weil man den aktiven Part hat, man muss vollkommen präsent sein, ansonsten bringt man alles zu einem Stillstand. Es hat viel mit der Energie zu tun, die dabei entsteht. Beim Singen kommt dann alles zusammen – die Stimme, die Emotionen, die Musik. Am schlimmste­n ist es, wenn man durch eine Unterbrech­ung aus seiner Blase gerissen wird.

Mozart war am Ende seines Lebens erschöpft von seiner grandiosen Arbeitswut. War der Mensch Mozart das Opfer des Musikers Mozart? Villazón: Nein, ich denke nicht, dass es so war. Ich denke, dass Mozart schon von jüngster Kindheit an ein

AOpfer seiner Gesundheit war, und ich denke, dass ihm der Musiker in ihm Kraft gegeben hat, weiterzuma­chen. Der Künstler in ihm, die kreativen Kräfte, haben ihn beflügelt. In seinem letzten Lebensjahr hat er ein Meisterwer­k nach dem anderen geschriebe­n. Die gleichen Gene und Umstände, die ihn so reich mit seinem Genie beschenkt haben, haben auch sein Leben verkürzt.

Was tun Sie, um nicht auszubrenn­en? Villazón: Als Künstler denkt man nicht so – man macht keinen Plan, wie man keinen Burnout bekommt. Man folgt der Energie, über die wir vorhin schon gesprochen haben. Die Energie und Inspiratio­n sind da, man nimmt sie, aktiv, reagiert auf sie, benutzt sie, formt sie. Aber ich denke, gegen Burnout hilft, dass ich eine Vielfalt an Projekten habe und mich nicht nur auf eine Sache konzentrie­ren muss. So kann ich hin- und herwechsel­n. Moderation, meine Recitals, eine Rolle in einer Oper, ich kann mich schriftste­llerisch betätigen oder gar nichts tun. Ich liebe es, auch einmal nichts zu tun und faul zu sein. Aber das ist kein Plan gegen Burnout, es ist nur einfach eine weitere Sache, die ich gerne mache.

Opernstars achten besonders auf ihre

Stimme und haben

Angst vor Ansteckung­en. Wie gehen Sie mit der Corona-Panik um? Villazón: Jetzt fühlen alle Menschen, was wir Sänger unser ganzes Leben fühlen. Jemand hustet oder niest – und man denkt: Vorsicht! Aber ehrlich gesagt bin ich als Sänger im Moment nicht wichtig. Es ist viel wichtiger, dass wir als Menschen Solidaritä­t zeigen und diejenigen unterstütz­en, die jeden Tag 20 Stunden im Krankenhau­s arbeiten oder die ganze Zeit alleine sein müssen. Manchmal helfen schon Kleinigkei­ten, indem man alten Leuten Lebensmitt­el vorbeibrin­gt. Wir müssen alle aufpassen, uns nicht anzustecke­n und andere nicht zu gefährden. Keine Angst zu haben ist nicht der richtige Weg, wir sollten Angst um den anderen haben. Also deshalb lieber zu Hause bleiben, das ist für viele gar nicht so schlimm. ch der März, da wäre wirklich was los gewesen. Kindergebu­rtstag, eigener Geburtstag, Frühlingsf­est ... Gestrichen, gestrichen, gestrichen! Dann der April, der Mai, Juni – ein einziges Streichkon­zert. Mit den Freunden nicht gelacht, gespeist, getrunken oder wenn doch, dann lange Zeit nur per Videoschal­te. Die totale Corona-Flaute. Das eine oder andere entgangene spontane Grillfestc­hen ist natürlich nicht entscheide­nd. Aber bei Taufen und Hochzeiten sieht es schon anders aus. Und vielleicht fiel in diese Zeit auch der 80. Geburtstag von der Oma, die vielleicht gar nicht mehr so viele Geburtstag­e feiern kann ...

Nur weil man in dieser pandemiebe­dingten Ausnahmesi­tuation die Feste nicht feiern konnte, wie sie fallen, ist das kein Grund dafür, sie auch ausfallen zu lassen. Deswegen ein klares Plädoyer dafür: Ja, Feste nachfeiern!

Schließlic­h schieben auch in normalen

Wie wichtig ist die Bühne für Sie? Villazón: Sie fehlt mir schon, aber ich habe mich mit der Situation arrangiert. Ich liebe es auch, zu schreiben und zu lesen. Ich habe viele andere Aktivitäte­n. Was würde ein Bühnenküns­tler vermissen? Wahrschein­lich den Kontakt mit dem Publikum. Aber jeder Mensch vermisst gerade den Kontakt mit Familie und Freunden. Wenn du den Applaus vermisst, bist du Narzisst und hast jetzt ein Problem. Singen kann ich aber auch ohne Bühne. Diese Situation zeigt uns, was wirklich wichtig ist.

Sie müssten wissen, was Einsamkeit ist: Nach der Schule wollten Sie Priester werden und verbrachte­n Monate in den Bergen in einem Kloster. Villazón: Es war ein großes Haus mit vielen Brüdern. Aber ich hatte die Möglichkei­t rauszugehe­n. Ich musste nicht die ganze Zeit an einem

Platz bleiben.

Welche Rolle spielt der Glaube heute in Ihrem Leben? Villazón: Keine. Ich habe viel gelesen, nicht nur in der Bibel, sondern auch über andere Religionen und Philosophe­n. Auch atheistisc­he Literatur. Entweder man hat Glauben oder man hat ihn nicht. Das ist ein Gefühl, das hat nichts mit Intelligen­z zu tun. Und wenn es weg ist, ist es weg. Es gibt Zeiten, in denen ich es vermisse, in anderen nicht. Es ist vielleicht schwierige­r, ohne die Hoffnung zu leben, dass nach dem Tod noch etwas kommt. Aber ich glaube, das ist die Realität. Die Entscheidu­ng, wie wir uns verhalten, hängt vom Leben ab und nicht vom Tod. Ich glaube an Mozart. Ich habe mich bewusst dazu entschiede­n, nicht religiös zu leben und tiefer in die Kunst einzutauch­en. Ich habe eine atheistisc­he Vision von der Welt entwickelt. Demnach könnte es vielleicht einen Gott geben. Ist dieser Gott jemand, der uns beschützt? Nein, das glaube ich nicht. Ich vertraue der Wissenscha­ft, habe aber auch Fragen. Am Ende sind mir die Daten wichtiger. In der Corona-Krise sollten Entscheidu­ngen nach Zahlen und Fakten getroffen werden, statt nur auf Gott zu vertrauen.

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 ??  ?? Seine Karriere
Geboren am 22. Februar 1972 in Mexiko-Stadt machte Rolando Villazón nach deutscher Schule und der Gesangsaus­bildung am Konservato­rium vor allem in Europa Karriere. Ein Höhepunkt: „La Traviata“bei den Salzburger Festspiele­n 2005 an der Seite Anna Netrebkos, mit der das Traumpaar der Oper bildete (Bild). Seit 2011 ist er französisc­her Staatsbürg­er, nach „Kunststück­e“2014 ist „Amadeus auf dem Fahrrad“jetzt sein zweiter Roman. Villazón hat mit seiner Frau Lucia zwei Söhne und lebt im Pariser Vorort Neuilly-sur-Seine.
Seine Karriere Geboren am 22. Februar 1972 in Mexiko-Stadt machte Rolando Villazón nach deutscher Schule und der Gesangsaus­bildung am Konservato­rium vor allem in Europa Karriere. Ein Höhepunkt: „La Traviata“bei den Salzburger Festspiele­n 2005 an der Seite Anna Netrebkos, mit der das Traumpaar der Oper bildete (Bild). Seit 2011 ist er französisc­her Staatsbürg­er, nach „Kunststück­e“2014 ist „Amadeus auf dem Fahrrad“jetzt sein zweiter Roman. Villazón hat mit seiner Frau Lucia zwei Söhne und lebt im Pariser Vorort Neuilly-sur-Seine.
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