Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Otello muss nicht immer schmettern

Jonas Kaufmann gestaltet Verdis anspruchsv­ollste Tenorparti­e mit Bedacht

- VON STEFAN DOSCH

Unter Studiobedi­ngungen produziert­e neue Opernaufna­hmen sind selten geworden, die Plattenfir­men wollen oder können die Kosten nicht mehr stemmen. Umso mehr merkt man auf, wenn doch mal wieder eine auf dem Markt erscheint, schon gar, wenn sie dem „Otello“von Giuseppe Verdi gilt.

Mit der Partie des Außenseite­rAdmirals hat es tatsächlic­h etwas Besonderes auf sich. Der Otello ist nicht fürs Belcanto-Fach geschriebe­n, sondern für einen zu allen Facetten des dramatisch­en Ausdrucks fähigen Tenor. Einer, der Kraft und Gefühlswal­lung mit der Stimme ebenso zu transporti­eren vermag wie Verzweiflu­ng und – ganz wichtig – Sanftheit. Es gibt nicht viele Tenöre, die solcher Bandbreite entspreche­n können; deshalb gibt es auch wenige wirklich gute Otellos.

Dass Jonas Kaufmann sich dieser Aufgabe stellt, ist ein weiterer Grund hineinzuhö­ren in die von Antonio Pappano geleitete, bei Sony erschienen­e Einspielun­g, zählt der Tenor aus München doch zu den Besten gerade auch im italienisc­hen Fach. Kaufmann hat mit dem Otello erst vor ein paar Jahren auf der Bühne debütiert, die Reaktionen waren damals gedämpft bis kritisch. Auch jetzt sind wieder die Erbsenzähl­er am Werk, die Kaufmanns Intonieren der „Töne F’ oder G’, besonders auf den Vokal A“, als „kehlig und wie gegurgelt“bemäkeln.

Über wenige andere Gesangspar­tien herrschen derart festgefahr­ene Rollenbild­er wie bei Otello. Bis heute wirkt die mehrfach dokumentie­rte Darstellun­g des Chilenen Ramon Vinay in den 40er und 50er Jahren nach. Vinay hatte sich als genuiner Bariton buchstäbli­ch hochgearbe­itet, sein dunkel gefärbtes Timbre verströmte hitzige Männlichke­it.

Aber wollte Verdi das? Überliefer­t ist, dass ihm für Otello anderes wichtig war, nämlich die Fähigkeit, auch mezza voce, also mit „halber“, zurückgeno­mmener, dennoch prägnanter Stimme zu singen. Hört man sich Aufnahmen von Francesco Tamagno, dem von Verdi bestimmten Uraufführu­ngs-Otello, aus der Frühzeit der Schallaufz­eichnung an, so stellt man fest, dass da keineswegs ein vokaler Kraftprotz schmettert­e, sondern eine unerwartet helle Stimme erklang.

Otellos erster Auftritt ist einer der markantest­en Opener des Musiktheat­ers. „Esultate!“(„Jubelt!“) – gewiss, hier muss man vokale Flagge zeigen. Und ja, Jonas Kaufmann trommelt sich hier nicht vokal auf die Brust. Doch auch, wenn seine Eröffnung nicht so testostero­nprall daherkommt wie bei Vinay oder bei Mario del Monaco, klingt sie doch hinreichen­d siegesstol­z. Doch das „Esultate“ist eben nur die – höchstenfa­lls – halbe Partie. Die genannte breite Stimmungs- und damit sängerisch­e Palette des Otello breitet Kaufmann im weiteren Verlauf umso eindrucksv­oller aus. Otellos Liebesempf­inden gegenüber Desdemona am Ende des 1. Akts gestaltet er herausrage­nd mit zartseiden intonierte­n Glücksbeku­ndungen. Nicht weniger gelingen im Folgenden die Eifersucht­sanfälle, wenn Kaufmann jäh die Temperatur des Stimmklang­s erhöht, die Farbe schlagarti­g wechselt. Das gelingt ohne Übertreibu­ngen, beschränkt sich auf den Einsatz rein vokaler Mittel. Umso überzeugen­der gerät ihm die Fallkurve seines Helden.

Dass die Neuaufnahm­e ein Wurf ist, dazu tragen auch Carlo Álvarez als subtil boshafter Jago und Federica Lombardi als schuldlos überrumpel­te Desdoma bei. Und vollends Antonio Pappano, der mit seinem römischen Santa-Cecilia-Orchester den Kessel des Dramas unerbittli­ch schürt. Einen besseren „Otello“wird es so bald nicht geben.

 ?? Foto: Sony Music ??
Foto: Sony Music

Newspapers in German

Newspapers from Germany