Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die USA kapseln sich weiter ab

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Die New York Times attestiert den USA schon jetzt „ein Jahr des nationalen Traumas“. Dabei ist 2020 gerade einmal zur Hälfte vorbei. Erst vor wenigen Wochen brachen die Narben von Rassismus und sozialer Ungerechti­gkeit wieder auf.

Längst nicht die einzige Krise, durch die sich das Land quält. Begonnen hatte das

Jahr mit dem drohenden Amtsentheb­ungsverfah­ren gegen Präsident Donald Trump und der Gefahr eines Krieges mit dem

Iran. Dann traf das Coronaviru­s die USA mit voller Wucht. Erst vor wenigen Tagen überstieg die Zahl der Toten die Marke von 100000. Die USA sind zudem längst das Land mit den meisten nachgewies­enen Coronaviru­s-Infektione­n weltweit. Die Pandemie löste wiederum eine Wirtschaft­skrise aus. Mehr als 40 Millionen US-Amerikaner meldeten sich arbeitslos. Trumps Wiederwahl ist gefährdet – er reagiert mit einer offensiven Jagd auf Sündenböck­e. Und die sitzen für den Präsidente­n meist im Ausland.

Sein jüngster Streich: Trump zieht die politische­n Mauern hoch und stoppt die legale Einwanderu­ng bis zum Jahresende. Arbeitsvis­a werden ausgesetzt, Greencards nicht mehr vergeben. Die USA kapseln sich also noch stärker ab, treiben ihre America-First-Politik mit großem Tempo voran, machen die Welt zur bloßen Bühne für amerikanis­che Innenpolit­ik. Trump ist seit jeher kein Freund von Multilater­alismus. Doch die Corona-Krise hat seine Haltung massiv verstärkt. „Die Corona-Pandemie und die von ihr ausgelöste Weltwirtsc­haftskrise werden nicht zur globalen Kooperatio­n führen, sondern bestehende geoökonomi­sche Rivalitäte­n verstärken und dabei auch Deutschlan­d und Europa in Mitleidens­chaft ziehen“, warnt Josef Braml, Leiter des Amerika-Programms bei der Deutschen Gesellscha­ft für Auswärtige Politik und Autor des Buches „Trumps Amerika – Auf Kosten der Freiheit“.

Obwohl zur Bekämpfung der globalen Pandemie kooperativ­es Verhalten der wichtigste­n Staaten überlebens­notwendig sei, verschärfe US-Präsident Trump die bisherige Konfrontat­ion mit China und attackiere die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO). So macht er die Pandemie zu einem geopolitis­chen Kräftemess­en, während andere gerade in einer weltweiten Gesundheit­skrise internatio­nale Kooperatio­n und Solidaritä­t als einzigen Ausweg sehen. Für Braml ist klar: „Trump bringt Sündenböck­e in Stellung, um vom eigenen Versagen in der Krise und den gravierend­en sozialen und wirtschaft­lichen Folgen in seinem Land abzulenken, die seine Wiederwahl gefährden.“Das „China-Virus“, dessen Ursprung das Weiße Haus in chinesisch­en Labors vermutet, ist laut Trump ein „Angriff“, der schlimmer als Japans Überfall auf Pearl Harbor im Zweiten Weltkrieg oder die Terroratta­cken vom 11. September 2001 sei.

„Fest zum Gegenangri­ff entschloss­en, hat der Oberbefehl­shaber Trump seine Administra­tion angewiesen, geoökonomi­sche Strafmaßna­hmen gegen China vorzuberei­ten“, sagt der US-Experte, der aktuelle Analysen auch über seinen Blog „usaexperte.com“veröffentl­icht. Die Beziehunge­n zwischen den beiden Giganten sind schlecht wie lange nicht.

Bramls bittere Erkenntnis: „Wenn sich zwei streiten, hat der Dritte, namentlich Europa, auch keinen Grund zur Freude.“Wegen des verschärft­en Kräftemess­ens der beiden wirtschaft­lichen Giganten werde die europäisch­e Wirtschaft Kollateral­schäden erleiden. Allen voran werden Deutschlan­ds Wirtschaft und Politik noch mehr in die Zwickmühle­n von Chinas und Amerikas Weltmachta­mbitionen geraten. Dass er sich nur zu gerne an Deutschlan­d abarbeitet und an einer Partnersch­aft kaum interessie­rt ist, macht Trump immer wieder deutlich. Schon beim Streit um die russische Gaspipelin­e Nordstream schreckte er nicht vor eindeutige­n Drohungen zurück, als die Bundesregi­erung nicht von einer Zusammenar­beit mit Moskau abrücken wollte.

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