Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Der Aderlass kommt vor Gericht
Ein Sportmediziner aus Erfurt soll ein florierendes Dopingnetzwerk gesponnen haben. Vergangenes Jahr flog es auf, seitdem wartet der Mann auf seinen Prozess. Der beginnt im September, es droht eine lange Haftstrafe
Augsburg Als im Februar des vergangenen Jahres in Seefeld die Handschellen klickten, war schnell klar, dass gerade ein Dopingskandal riesigen Ausmaßes aufgeflogen war. Während der nordischen Ski-WM verhafteten Fahnder im Rahmen der „Operation Aderlass“fünf Sportler, die unter dem Verdacht standen zu dopen. Kurz nach dem Zugriff tauchte ein Video auf, das den Langläufer Max Hauke zeigt: Er hatte beim Eintreffen der Polizisten eine Nadel im Arm, mit der ihm gerade Blut transfundiert wurde.
Die Zahl der verdächtigen Sportler stieg in der Folge auf 23 an. Inzwischen wurden auch schon mehrere Sperren ausgesprochen. Unter anderem gestand der Schweizer Nationaltrainer und Ex-Profi Danilo Hondo, gedopt zu haben.
Am wichtigsten aber war, was gleichzeitig zu der Aktion in Österreich in Erfurt passierte. Dort hob die Polizei ein Dopinglabor aus und fand zahlreiche Blutkonserven und eine Zentrifuge. Verhaftet wurde dort unter anderem der Sportmediziner Mark S. Der 42-Jährige soll im Zentrum des Dopingnetzwerkes gestanden haben, das in Seefeld hochging. Jetzt steht fest, wann der Prozess gegen ihn beginnt. Die Hauptverhandlung vor der zweiten Strafkammer des Landgerichts München beginnt am 16. September, 26 Verhandlungstermine sind angesetzt.
Mark S. soll gegen das Arzneimittelund Antidopinggesetz verstoßen haben. Ihm drohen mehrere Jahre Haft. In der 145-seitigen Anklageschrift, die über 30 Zeugen benennt, wird dem Arzt vorgeworfen, dass er „seit spätestens Ende 2011 von Erfurt aus regelmäßig und in einer unbekannten Vielzahl von Fällen weltweit, überwiegend in Europa, vor allem in Deutschland und Österreich, insbesondere im Bereich des Rad- und Wintersports, systematisches Blutdoping“praktiziert habe, „um sich durch die wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen. Hierbei führte der Angeschuldigte an mehreren Athleten/Athletinnen insbesondere der internationalen Wintersport- und Radsportszene zur Steigerung der sportlichen Ausdauer- und Leistungsfähigkeit die Entnahme, den Austausch, die Trennung und Behandlung, Lagerung und die Wiederzufuhr deren Blutes durch und gab darüber hinaus weitere Arzneimittel, insbesondere Wachstumshormone mit dieser Zielsetzung an die Athleten/
Athletinnen ab oder verordnete sie diesen missbräuchlich.“
Was im Juristendeutsch kompliziert klingt, war offenbar ein lukratives Geschäft. Die
um Hajo Seppelt enthüllte unlängst, was Mark S. mit Blutdoping verdient haben soll. 5000 Euro sei der Grundbetrag für die dopenden Sportler gewesen, die Kosten der Abnahmen pro Saison pro Sportler hätten sich auf 3000 bis 3500
Euro belaufen. Zu besonderen Anlässen wie den Olympischen Spielen habe Mark S. zusätzlich abkassiert. Schon in seiner Zeit als Teamarzt bei den Profi-Radteams Gerolsteiner und Milram war er mit Doping in Verbindung gebracht worden, hatte das aber immer bestritten.
Doping mit Eigenblut ist eine der am schwersten nachweisbaren Arten illegaler Nachhilfe. Blut wird dabei abgezapft, eingelagert und vor dem Wettkampf dem Körper wieder zugeführt. Das erhöht den Anteil roter Blutkörperchen, was den Sauerstofftransport und damit die Ausdauer verbessert.
Ausgelöst hatte die „Operation Aderlass“der österreichische Langläufer Johannes Dürr. Er packte in einem Buch und gegenüber der
umfassend über Dopingpraktiken in seiner Sportart aus. Die Münchner AntiDoping-Staatsanwälte machte das hellhörig, sie nahmen die Fährte auf – und bekamen von Dürr ganz offensichtlich auch Namen geliefert.
Seitdem hat der Skandal weite Kreise gezogen, neben dem Winterauch weit in den Radsport hinein. Schon Ende des vergangenen Jahres hatte der Rad-Weltverband UCI bekannt gegeben, dass er aufgrund von Informationen aus der „Operation Aderlass“seine Anti-Doping-Einheit CADF beauftragt habe, Proben der Tour de France aus den Jahren 2016 und 2017 noch einmal zu analysieren. Dabei ging es allerdings nicht um Blutdoping, mit dem Mark S. sein Geld verdiente, sondern um ein Mittelchen, das damals noch nicht nachweisbar war – inzwischen aber sehr wohl. Ende Mai begann die neuerliche Testrunde, Ergebnisse sind bisher nicht bekannt.