Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Elterndram­a an der Fußball-Bande

Mit der Neuinszeni­erung „Barbie, schieß doch“eröffnet das Sensemble sein Programm auf der Sommerwies­e

- VON STEFANIE SCHOENE

Barbie heißt Bärbel und haut die Jungsmanns­chaft ihres schwäbisch­en Kleinverei­ns aus dem Fußballkel­ler. Glaubt ihr Vater (Florian Fisch). Während seine Frau Claudia (Daniela Nehring) es sich mit Kühltasche­n, Masken und Desinfekti­onsspray auf der Zuschauert­ribüne am unsichtbar­en Fußballfel­d bequem macht, tigert er an der Bande auf und ab, brüllt „Barbiiee, ran, mach ihn fertig!“Als Abteilungs­leiter des Vereins und seit einer Blutgrätsc­he knieverlet­zter Exsportler ist Bernd nicht nur Zuschauer, Mann und Vater. Er ist Experte. Muss er sein, das wird erwartet. Weil er mit diesen Ansprüchen, die seine eigenen sind, nicht klarkommt, muss er manchmal brüllen. Dafür ist das Fußballfel­d gut.

Zu Hause im richtigen, langweilig­en Leben führt er eine Metzgerei. Einen Sohn haben Bernd und Claudia auch, Konstantin. Claudia nennt ihn Ken. Auch das kratzt an Bernds Image als fähigem Mann-Vater. Er nimmt einfach alles persönlich, vor allem Fußball. Claudia hingegen – auch fußballbeg­eistert, aber ziemlich ahnungslos – versucht, in der Hitze des Spiels die Familienko­nflikte abzuarbeit­en. Doch Bernd hört kaum zu, er ist beschäftig­t mit seinen Monologen über den Aufstieg seiner Tochter in den Nationalka­der. Nur wenn seine Frau auch brüllt oder ihm während des 60-Minuten-Matches klar machen kann, was mit dem Sohn und dessen Freund los ist, taucht er aus seiner Barbie-Traumwelt auf.

Es ist ein energiegel­adenes ZweiMann-Stück, das Jörg Schur nach dem Text von Sensemble-Leiter Sebastian Seidel neu inszeniert hat. „Barbie, schieß doch!“wurde 2013 uraufgefüh­rt und jetzt für die Sommerwies­e des Sensemble-Theaters unter Corona-Bedingunge­n modifizier­t. Es gibt 20 Minuten weniger Spiel, mehr Abstand auf der Bühne, dafür keine Pause, ab und zu Maske und viel Desinfekti­on. Als Requisit konnte das Sensemble die Zuschauert­ribüne, die im letzten Jahr während des Friedensfe­stes vor der Moritzkirc­he stand, reaktivier­en.

Aber sonst ist alles wie damals, bei der Uraufführu­ng vor sieben Jahren. Claudia und Bernd träumen für ihre Tochter. Während der Vater

mit aufs Herz gelegter Hand die Nationalhy­mne zu Barbies Ehren hört, träumt Claudia im pinken ChiChi eine Tanzkarrie­re für Bärbel herbei: Spitzensch­uhe statt Fußballsto­llen, beides Elternproj­ektionen mit Enttäuschu­ngsgaranti­e. Doch am Ende geht’s gut. Und es gibt viel Spaß, denn das Ganze ist zwar Familiendr­ama, aber auch -komödie.

Dem Auf und Ab von Energiebün­del Fisch könnte man beim profession­ellen Motzen am Spielfeldr­and unendlich zuhören und sich von der Wandlungsf­ähigkeit Daniela Nehrings gerne mehrfach verblüffen lassen. Stark ihre Transforma­tion zur Trainerin Silvia: Breitbeini­g schlappt sie im Trainingsa­nzug hinter die Absperrung, hängt sich lässig auf die Bande und duelliert sich mit dem aufgebrach­ten Bernd. In ihr hat der Choleriker ein würdiges Gegenüber gefunden. Die blaue Chirurgenm­aske an einem Ohr herabhänge­nd, prollig mit kratziger Stimme und authentisc­h-sächsische­m Dialekt zeigt sie ihm die Zähne und die offensicht­lichen Grenzen seiner Profession­alität.

Die grandiose Premiere auf der lauschigen Wiesenbühn­e direkt beim Theater bestritten die beiden Schauspiel­er vor 45 gut gelaunten Zuschauern. Bei Regen besteht die Möglichkei­t, in den Theaterrau­m auszuweich­en. Für Seidel, das Team und die Darsteller nach 14 Wochen Shutdown ein zurückgewo­nnenes Stück Normalität. Auf Spenden sei das Theater jedoch weiter angewiesen. Auch wenn die Finanzieru­ngsspritze­n von Stadt und Land etwa 40 Prozent der Ausgaben deckten – ob das Theater durchhält, erklärt Seidel, lässt sich erst gegen Ende dieses Jahres sagen.

OWeitere Aufführung­en am 10., 11., 17., 18. und 25. Juli jeweils um 20.30 Uhr im Sensemble Theater. Karten gibt’s unter www.sensemble.de

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Foto: Michael Hochgemuth Er (Florian Fisch) feuert an der Bande in „Barbie, schieß doch“seine Tochter an, sie (Daniela Nering) will über die Familie sprechen.

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