Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Elterndrama an der Fußball-Bande
Mit der Neuinszenierung „Barbie, schieß doch“eröffnet das Sensemble sein Programm auf der Sommerwiese
Barbie heißt Bärbel und haut die Jungsmannschaft ihres schwäbischen Kleinvereins aus dem Fußballkeller. Glaubt ihr Vater (Florian Fisch). Während seine Frau Claudia (Daniela Nehring) es sich mit Kühltaschen, Masken und Desinfektionsspray auf der Zuschauertribüne am unsichtbaren Fußballfeld bequem macht, tigert er an der Bande auf und ab, brüllt „Barbiiee, ran, mach ihn fertig!“Als Abteilungsleiter des Vereins und seit einer Blutgrätsche knieverletzter Exsportler ist Bernd nicht nur Zuschauer, Mann und Vater. Er ist Experte. Muss er sein, das wird erwartet. Weil er mit diesen Ansprüchen, die seine eigenen sind, nicht klarkommt, muss er manchmal brüllen. Dafür ist das Fußballfeld gut.
Zu Hause im richtigen, langweiligen Leben führt er eine Metzgerei. Einen Sohn haben Bernd und Claudia auch, Konstantin. Claudia nennt ihn Ken. Auch das kratzt an Bernds Image als fähigem Mann-Vater. Er nimmt einfach alles persönlich, vor allem Fußball. Claudia hingegen – auch fußballbegeistert, aber ziemlich ahnungslos – versucht, in der Hitze des Spiels die Familienkonflikte abzuarbeiten. Doch Bernd hört kaum zu, er ist beschäftigt mit seinen Monologen über den Aufstieg seiner Tochter in den Nationalkader. Nur wenn seine Frau auch brüllt oder ihm während des 60-Minuten-Matches klar machen kann, was mit dem Sohn und dessen Freund los ist, taucht er aus seiner Barbie-Traumwelt auf.
Es ist ein energiegeladenes ZweiMann-Stück, das Jörg Schur nach dem Text von Sensemble-Leiter Sebastian Seidel neu inszeniert hat. „Barbie, schieß doch!“wurde 2013 uraufgeführt und jetzt für die Sommerwiese des Sensemble-Theaters unter Corona-Bedingungen modifiziert. Es gibt 20 Minuten weniger Spiel, mehr Abstand auf der Bühne, dafür keine Pause, ab und zu Maske und viel Desinfektion. Als Requisit konnte das Sensemble die Zuschauertribüne, die im letzten Jahr während des Friedensfestes vor der Moritzkirche stand, reaktivieren.
Aber sonst ist alles wie damals, bei der Uraufführung vor sieben Jahren. Claudia und Bernd träumen für ihre Tochter. Während der Vater
mit aufs Herz gelegter Hand die Nationalhymne zu Barbies Ehren hört, träumt Claudia im pinken ChiChi eine Tanzkarriere für Bärbel herbei: Spitzenschuhe statt Fußballstollen, beides Elternprojektionen mit Enttäuschungsgarantie. Doch am Ende geht’s gut. Und es gibt viel Spaß, denn das Ganze ist zwar Familiendrama, aber auch -komödie.
Dem Auf und Ab von Energiebündel Fisch könnte man beim professionellen Motzen am Spielfeldrand unendlich zuhören und sich von der Wandlungsfähigkeit Daniela Nehrings gerne mehrfach verblüffen lassen. Stark ihre Transformation zur Trainerin Silvia: Breitbeinig schlappt sie im Trainingsanzug hinter die Absperrung, hängt sich lässig auf die Bande und duelliert sich mit dem aufgebrachten Bernd. In ihr hat der Choleriker ein würdiges Gegenüber gefunden. Die blaue Chirurgenmaske an einem Ohr herabhängend, prollig mit kratziger Stimme und authentisch-sächsischem Dialekt zeigt sie ihm die Zähne und die offensichtlichen Grenzen seiner Professionalität.
Die grandiose Premiere auf der lauschigen Wiesenbühne direkt beim Theater bestritten die beiden Schauspieler vor 45 gut gelaunten Zuschauern. Bei Regen besteht die Möglichkeit, in den Theaterraum auszuweichen. Für Seidel, das Team und die Darsteller nach 14 Wochen Shutdown ein zurückgewonnenes Stück Normalität. Auf Spenden sei das Theater jedoch weiter angewiesen. Auch wenn die Finanzierungsspritzen von Stadt und Land etwa 40 Prozent der Ausgaben deckten – ob das Theater durchhält, erklärt Seidel, lässt sich erst gegen Ende dieses Jahres sagen.
OWeitere Aufführungen am 10., 11., 17., 18. und 25. Juli jeweils um 20.30 Uhr im Sensemble Theater. Karten gibt’s unter www.sensemble.de