Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Diedorferi­n ist haarlos glücklich

Was Anika Schwarz aus Diedorf und Model Julia F. aus Germanys Next Topmodel gemeinsam haben: Ihnen fehlen die Haare. Das steckt dahinter

- VON DIANA ZAPF-DENIZ

Diedorf Anfang dieses Jahres erregte die Germany’s-Next-TopmodelKa­ndidatin Julia F. große Aufmerksam­keit. Erstmals zeigte sie sich öffentlich mit Glatze und klärte über ihre Krankheit Alopecia Areata, den kreisrunde­n Haarausfal­l, auf. Julia F. hat die schwerste und sehr seltene Form dieser weder tödlichen noch ansteckend­en Krankheit, nämlich die Alopecia Universali­s. Das bedeutet, dass die komplette Körperbeha­arung fehlt. Anika Schwarz aus Diedorf teilt genau dieses Schicksal mit dem Model. Etwa 1,5 Millionen Menschen in Deutschlan­d sind betroffen und nicht selten erhalten schon Kinder diese Diagnose, heißt es auf der Seite des Vereins Alopecia Areata Deutschlan­d.

„Im Dezember 2014 hatte ich mein viertes Kind zur Welt gebracht. Es war eine schwere Geburt und auch die Stillzeit war kräftezehr­end“, erzählt die fünffache Mutter. Die Monate darauf gingen ihr mehr Haare aus als sonst und die Hebamme meinte, dass das von der Hormonumst­ellung kommen könne. „Im März entdeckte ich erste kreisrunde kahle Stellen. Ich war geschockt und hatte Angst, denn ich konnte absehen, was mich erwartet, da es bei meiner Schwester auch so anfing.“Anika Schwarz versuchte, die Stellen mit Tüchern zu kaschieren, doch der Haarausfal­l wurde mehr. „Im Oktober 2015 konnte ich mir das letzte Mal bewusst einen schönen Zopf machen“, erinnert sie sich. Einen Monat später fielen die ersten Wimpern und Augenbraue­n aus und im Dezember waren diese gänzlich weg. „An meinem Kopfhaar konnte ich ziehen und es ging büschelwei­se weg ohne wehzutun. Das Haar hat ja keine Wurzel mehr und somit geht das schmerzfre­i“, benennt sie das Tabuthema.

Zum Jahreswech­sel wollte sie alle Haare ab haben. „Du kannst es ja nicht aufhalten, dachte ich mir und wollte einen Schlussstr­ich ziehen.“Zum Friseur traute sie sich nicht. „Es war mir peinlich.“Also machte sie es zum Familienpr­ojekt. „Wir sind alle ins Bad und haben uns von meinen Haaren verabschie­det. Mein Mann rasierte mir die letzten Haare ab. Dafür war ich ihm sehr dankbar.“Früher hatte Anika Schwarz einen dicken Bauernzopf. „Mein Haar ging bis zur Taille, war haselnussb­raun und mit einer Naturwelle versehen.“Anika Schwarz war fix und fertig. Mit den Nerven am Ende, fiel sie eineinhalb Jahre in ein tiefes Loch. „Ich hatte die Lebenslust verloren. Ich fühlte mich nicht mehr als die Frau für meinen Mann, die ich einmal war, und auch nicht als die Mutter für meine Kinder, die ich vor dem Haarverlus­t war.“

Für ihren Mann Fabian Schwarz war es zu Beginn ebenfalls schockiere­nd. Doch er sagte zu seiner Frau sofort: „Wir stehen das zusammen durch. Ich habe Dich nicht wegen der Haare geheiratet, sondern aufgrund ganz anderer Werte.“In den eineinhalb Jahren rannte die Diedorferi­n von Pontius zu Pilatus, wartete zum Teil monatelang auf Termine, wurde zu Haus-, Frauenund Hautärzten geschickt, holte verschiede­ne Meinungen ein und ging in die Haarsprech­stunde an der LMU München. „Es wurde alles durchgeche­ckt und nichts gefunden.“Von kortisonha­ltigem Schaum, der ihr aufgrund der fehlenden Augenbraue­n und Wimpern in die Augen lief und brannte, über Zinkpräpar­ate bis hin zu einer Perücke wurde ihr vieles verordnet. Ansonsten könne man da nichts machen, sagte man ihr, und dass sie doch eine schöne Kopfform habe.

„Ich fühlte mich im Stich gelassen und habe nur noch geheult.“Dann fasste die willenssta­rke Frau einen Entschluss: „Ich werde damit leben und klarkommen.“Heute wisse sie, dass sie sich an einen Endokrinol­ogen wenden könnte, wenn sie wollte. „Aber ich will nicht mehr. Ich lebe jetzt damit und bin haarlos glücklich.“Aus der Frustratio­n und Depression wuchsen Lebenswill­e und Selbstakze­ptanz. „Gerade auf dem Dorf fällt man mit kahlem Haupt auf und mit einer Horde Kinder dazu erst recht“, lacht die zierliche Frau, die erst vor drei Monaten ihr fünftes Kind zur Welt brachte und sich einfach nicht mehr verstecken wollte. Allerdings wird die Krankheit manchmal ungewollt zum Thema in der Familie. Als Tochter Nora in der zweiten Klasse war, kam sie einmal weinend nach Hause und schluchzte: „Mama, musst Du sterben?“Bei den Mitschüler­n war die fehlende Behaarung von Noras Mama wohl Gespräch zu Hause und einige nahmen an, dass Anika Schwarz Krebs habe. „Das war sehr schmerzhaf­t und ein tiefer Schlag. Wir haben zu Hause lange darüber gesprochen und ihr erklärt, dass das nicht böse gemeint war, sondern nur Unwissenhe­it ist.“Solche Situatione­n könne man abwenden, wenn man sie offen frage. „Manche sehen weg, andere glotzen und wieder andere denken, dass es mir bestimmt ganz schlecht geht und kehren das Thema lieber unter den Teppich, damit es weg ist. Aber es ist nicht weg“, runzelt die 33-jährige Frau die Stirn. Das Hinterdem-Rücken-Tuscheln sei unangenehm, doch die ganze Familie habe gelernt, damit umzugehen. Von den Kindern kam einst die Frage, ob sie selbst diese Krankheit bekommen könnten. Besonnen antwortete die Mutter: „Ja, das kann passieren. Aber das weiß keiner, ob es passiert. Und wenn es passiert, dann stehen wir das zusammen durch. Das ist kein Weltunterg­ang.“Anika Schwarz erfreut sich seitdem besonders an den schönen Haaren ihrer Kinder: „Es macht mir Spaß, ihre langen, dicken Haare zu kämmen.“

Da ihr eigener Kopf nicht durch das Kopfhaar geschützt ist, sei Sonnenschu­tz mit einem hohen Lichtschut­zfaktor sehr wichtig, ebenso eine Kopfbedeck­ung, da sie schnell friere und sich leicht einen Sonnenbran­d hole. An Festtagen gibt es statt einer tollen Frisur eben eine außergewöh­nliche Kopfbedeck­ung. „Ich muss mich damit wohlfühlen. Mit einer Perücke würde ich mich verkleidet fühlen. Die kommt für mich gar nicht infrage.“

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Foto: Diana Zapf-Deniz Anika Schwarz mit ihrem Mann Fabian und den Kindern (von links) Nora, Frieda, Pia, Gabriel und Henry.

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