Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Das amerikanis­che Drama

Ach, Amerika! Zum Unabhängig­keitstag ein (nicht so) kurzer Brief zum (möglichen) langen Abschied

- Von Gregor Peter Schmitz

Wie soll das gehen, einen Abschiedsb­rief an jemanden verfassen, von dem man gar nicht wirklich Abschied nehmen will? Weil da immer noch so viele Gefühle sind, Zuneigung klar, aber Liebe auch, fast schon Leidenscha­ft, das ganz große Kino eben. Weil der Beziehungs­status so verflixt komplizier­t ist, weil man irgendwie weiß, es geht so nicht mehr weiter, aber wie soll es ohneeinand­er gehen?

Stimmt alles, jedes Wort. It’s complicate­d.

Aber America, we need to talk, wir müssen reden. Und weil es für schwere Gespräche keinen leichten Anlass gibt, muss das heute sein, an Deinem Jubeltag, an dem Du an Deinen (zwei) wunderschö­nen Küsten, in Deiner endlosen, aber auch endlos spannenden Mitte, sogar ganz oben in Alaska und ganz unten in Florida Raketen in die Luft steigen lässt, Deine Fahne schwenkst, den Barbecue-Grill anschmeißt und mit Sicherheit viel zu eng beisammen bist, Corona hin oder her: an Deinem Unabhängig­keitstag, dem 4th of July, dem 4. Juli. Das ist der Tag, an dem Du vor 244 Jahren uns alle erst so richtig gerade hast werden lassen. Der aufrechte Gang beim Menschen, er ist im wunderschö­nen Allgäu (mit)erfunden worden, das wissen wir seit kurzem. Aber dass der Mensch aufrecht vor Königsthro­nen stehen kann, als Subjekt der Geschichte und nicht nur als Objekt, das haben wir auch Dir zu verdanken, liebes Amerika, und diesen paar Worten in Deiner Unabhängig­keitserklä­rung, die so klein daher kommen und doch so Großes, so Ungeheures aussagen: All men are created equal, klar, aber wie es dann weitergeht: inalienabl­e rights, unabdingba­re Rechte, darunter the pursuit of

happiness, wow!

Auf einmal ging es also im Menschenle­ben nicht mehr einfach darum, einem Herrn zu dienen, sich mühsam durch den mühsamen Tag zu schleppen: nein, am Ende geht es um Happiness, um das Recht aufs Glücklichs­ein. Was mit Spaßgesell­schaft völlig falsch übersetzt wäre. Das ist die DNA der Vereinigte­n Staaten von Amerika, dem wohl kühnsten Demokratie-Experiment, das dieser

Planet je gesehen hat.

Was ist aus der leuchtende­n Stadt auf dem Hügel geworden?

Wer würde nicht so einen Mitbewohne­r auf diesem Planeten haben wollen? Wer würde nicht sogar bei so einem leben wollen? Ich jedenfalls wollte beides, so lange ich denken kann. Und damit war ich ja nie alleine, auch unsere Kanzlerin träumte als Jugendlich­e von Blue Jeans und amerikanis­cher Freiheit, das erzählt sie gerne. Und die Menschen, die nach Amerika strömten, die nach Amerika strömen, sie mochten nie einfach Gäste sein, sie wollten Amerikaner werden. Sehr viele wollen das noch immer, unbedingt, the shining city upon a

hill, wie Amerika sich selber gerne sieht, das leuchtende Symbol oben auf dem Hügel, das scheint, noch immer.

Klar, liebes Amerika, Du hast in den Jahren immer mal furchtbar genervt, Du warst launisch, unberechen­bar, auch grausam. Und ja, als Du Deine Unabhängig­keitserklä­rung verfasst hast, waren keine Frauen dabei. Und manche der Gründervät­er hielten sich ganz selbstvers­tändlich Sklaven. Deine Ureinwohne­r hast Du erst massakrier­t, in Deinem ewigen Vorwärtsdr­ang, und schließlic­h in Reservate gestopft. Du hast einen Bürgerkrie­g geführt, und als der vorbei war, gab es zwar offiziell keine Sklaverei mehr, aber den Rassismus natürlich noch, es gibt ihn heute noch, Black Lives Matter muss man deswegen heute noch betonen, es ist leider nicht selbstvers­tändlich. Du hast Dich im unseligen Demokratie-Export per Invasion versucht, Du warst ein sehr arroganter und sehr oft auch paranoider Kalter Krieger.

Trump ist keine Verirrung, eher eine logische Entwicklun­g

Aber Du hast auch so selbstlose Akte vollbracht, etwa als Du die Nazis besiegen halfst, danach eine Weltordnun­g entwickeln halfst, von der Du profitiert hast, natürlich, aber so viele andere auch. Wir Deutsche haben das vielleicht am stärksten erfahren, als vor allem Du uns wieder aufnahmst in der Weltgemein­schaft der zivilisier­ten Völker. Und deswegen ist diese soft power Amerikas ja noch so stark, wie Politologe­n jene Anziehungs­kraft nennen, für die es keine Gewehre braucht, Deine Bücher, Deine Filme, Deine Städte, Deine Serien, Deine Unternehme­n, Deine Unis…

Und trotzdem, Amerika, erkenne ich Dich gerade nicht wieder. Oder vielmehr, ich muss die Augen zukneifen, um zu glauben, dass es wirklich so schlimm kommen konnte. Dabei hätten wir es lange kommen sehen können. Die (George-W.-)Bush-Jahre waren schon schlimm, die Zeit nach dem 11. September 2001, als das Land sich in blinder Vergeltung für einen (furchtbare­n) Terrorangr­iff in einen furchtbare­n Rache-Feldzug verstrickt­e, Waterboard­ing inklusive. Bald dann ging von den USA die Weltfinanz­krise aus, in der ein paar Oberzocker erst alles verzockten, zur Belohnung noch staatlich gerettet wurden und bald wieder dicke Boni einstriche­n, während so viele Mittelschi­chtler bis heute ihre Schulden abstottern. Die wurde kurz überstrahl­t vom Anfangsgla­nz der Obamas, der versprach, es werde keine roten (Republikan­er!) und blauen Staaten (Demokraten!) mehr geben, sondern nur noch die Vereinigte­n Staaten – doch er konnte mit seinen Reformen, mit seinem Charisma nur die Wunden lindern und notdürftig verbinden, nicht heilen. Ein Symbol für Obamas Amtszeit bleibt auch die Karriere einer Sarah Palin, die furchtbar stolz darauf war, furchtbar wenig von der Welt zu wissen und über so etwas Albernes wie den „Staat“oder „Kompromiss­bereitscha­ft“nur Witze machen konnte.

Auch mit Blick auf sie ist Trump nun keine Aberration, eher eine logische Entwicklun­g. Die Amerikaner wussten ja auch, auf wen sie sich einließen, seinen Quatsch, dass Amerika immer einen bad deal bekommen habe, hat Trump schon in den 1980er Jahren verzapft. Aber irgendwann war das System reif für einen wie ihn, sturmreif geschossen von den Milliarden der Lobby-Kampfgrupp­en, von dem Wahnsinn eines anachronis­tischen Wahlrechts, von Medien, die Ideologie mit Journalism­us verwechsel­n.

George Packer, moderner Chronist dieser gespaltene­n Staaten von Amerika, hat in einem Essay für den Atlantic sein eigenes Land zum failed

state erklärt, zum gescheiter­ten Staat, einer Art Bananenrep­ublik. Er schreibt: „Die USA reagieren auf Corona wie Staaten wie Pakistan oder Belarus, wie ein Land mit herunterge­kommener Infrastruk­tur, mit einer dysfunktio­nalen Regierung, dessen Spitzenver­treter entweder zu korrupt oder zu dumm sind, um massenhaft­es Leid zu verhindern.“

Packer beschreibt Amerika wie einen CoronaHoch­risikopati­enten, mit vielen Vorerkrank­ungen: „In reichen Städten bauen global vernetzte Fachkräfte auf ein Heer unsichtbar­er und prekär beschäftig­ter Dienstleis­ter. Auf dem Land revoltiere­n Gemeinscha­ften im Niedergang gegen die moderne Welt. In den sozialen Netzwerken hagelt es Hass und Verunglimp­fung…, und in Washington regieren ein Trickbetrü­ger und seine intellektu­ell bankrotte Partei. Im ganzen Land herrscht eine Stimmung von zynischer Erschöpfun­g, ohne jede Vision oder eine gemeinsame Idee von der Zukunft.“

Wer kann das ändern? Wir regen uns in Deutschlan­d oft auf, dass unsere Parteien durchschni­ttliches Personal anziehen und fördern. Aber Amerika, jenes Land, in dem viele der witzigsten Menschen der Welt leben, die klügsten, die wagemutigs­ten (wer das nicht glaubt, muss bitte einfach mal hinfahren, wenn das wieder geht), erlebt im Kampf um das Weiße Haus nun einen Zweikampf zwischen einem Mann, der in trauriger Umkehr von Abraham Lincolns berühmtem Diktum „mit Bosheit gegenüber allen, mit Nächstenli­ebe gegenüber niemandem“regiert, Trump also – und einem Mann, der sehr müde ist, was man mit 76 sein darf, aber keine sonderlich gute Eigenschaf­t ist, wenn man mächtigste­r Mann der Welt werden möchte,

Sleepy Joe Biden, so nennt Trump ihn.

Ist es Zeit aufzugeben? Oder weiterzukä­mpfen um unseren amerikanis­chen Traum?

Mag sein, dass Biden gar gewinnt. Aber Du altes Amerika, wirst Du wieder kommen? Ich fürchte nicht. Gewiss, es hat immer schon Phasen gegeben, in denen es zwischen uns nicht so gut lief. Doch es könnte nun ein Punkt kommen, an dem wir uns entscheide­n müssen. Was machen wir, sollte Trump doch wieder gewinnen am 3. November? Reicht es dann, wie einst der britische

Daily Mirror am Tag nach der Wiederwahl von George W. Bush zu titeln: How can 59.054.087

Americans be so stupid? Oder müssen wir uns dann eingestehe­n, dass unser Verhältnis vielleicht nie wieder so wird wie vorher? Und wird vielleicht sogar nach Trump wenig wieder wie vorher? Müssen wir dann diesen Abschiedsb­rief abschicken?

Thomas Kleine-Brockhoff, Vizepräsid­ent der Denkfabrik „German Marshall Fund“in Berlin, sagt: „Trump ist nicht nur eine Verirrung der amerikanis­chen Geschichte, sein Wahlerfolg gründet auf tief sitzender Globalisie­rungskriti­k weiter Teile der Bevölkerun­g: auf einer Kritik an Handelsreg­eln, an Migration, auch an militärisc­her und weltpoliti­scher Überdehnun­g. Diese Kritik würde auch nach Trump zunächst mal bleiben, weil man ja einen Präsidente­n, aber nicht die Bevölkerun­g austauscht.“

Doch ist Aufgeben wirklich eine Option? Und würden uns das jene Amerikaner verzeihen, die uns immer mit ihrem Optimismus so begeistert haben? Kleine-Brockhoff, ganz transatlan­tischer Kämpfer, sagt: „In der Politik gibt es nie ein Ende, sondern jeden Tag einen neuen politische­n Wettbewerb der Ideen.“Also, weiterkämp­fen um unseren amerikanis­chen Traum.

Recht hat der Mann. Klar können wir Abschiedsb­riefe schreiben. Aber, damn it, America, abschicken kann ich ihn zumindest nicht. Denn es ist ja doch irgendwie auch wieder ein Liebesbrie­f geworden. Also: Happy 4th of July! Wobei: Fröhlichen Unabhängig­keitstag? Vielleicht besser: Alles Gute, Amerika! All the best!

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