Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der Fall Premium Aerotec: Wenn Corona auf Hightech trifft

Längst hat die Krise auch die deutschen Vorzeige-Branchen erreicht. Jetzt kommt es darauf an, dass Kompetenz nicht dauerhaft verloren geht

- VON MICHAEL KERLER mke@augsburger-allgemeine.de

Die Geschäfte haben wieder geöffnet, die Biergärten füllen sich langsam, die Strände an der Ostsee sowieso, die ersten Mitarbeite­r kommen aus dem Homeoffice zurück. Langsam, so scheint es, kehrt im Land nach dem Herunterfa­hren in der CoronaEpid­emie wieder mehr Normalität ein. Doch die Lage ist trügerisch, vor allem in wirtschaft­licher Hinsicht. Das lehrt der Fall Premium Aerotec. Bei dem Flugzeugte­ileHerstel­ler ist allein im großen Werk in Augsburg jeder dritte Arbeitspla­tz bedroht. Nicht viel besser geht es dem Triebwerks­hersteller MTU in München, der 1000 Jobs streicht. Es kann gut sein, dass die Politik nach ihrem guten Konjunktur­paket aus dem Juni im Herbst nochmals reagieren muss.

Die Folgen der Corona-Krise fressen sich derzeit Stück für Stück durch die Wirtschaft. Erst waren es Friseure, Kaufhäuser, Blumenhänd­ler und Kinos, die schließen mussten. Durch Reiseverbo­te blieben Flugzeuge, Busse und Bahn leer. Bald standen bei den Autobauern die Bänder still, da die Lieferkett­en gestört waren. So geriet ein Dominostei­n der Wirtschaft nach dem anderen ins Wackeln. Bald schickten Zulieferbe­triebe ihre Beschäftig­ten in Kurzarbeit. Und da der globale Luftverkeh­r in einen Dornrösche­nschlaf gefallen ist, bezweifelt der Flugzeugba­uer Airbus, ob er die bestellten Jets wie geplant ausliefern kann. Hinter 15000 Airbus-Stellen steht nun ein Fragezeich­en. Premium Aerotec sitzt mit in diesem sturmgesch­üttelten Boot.

Das Tragische ist, dass die Krise Branchen erreicht, die als Stützen der deutschen Industrie gelten. Die Corona-Auswirkung­en sind in den Hightech-Unternehme­n zu spüren – sei es in der Luftfahrt, sei es in Zulieferbe­trieben der Autoindust­rie oder im Maschinenb­au. Viele Bereiche gelten als Zukunftsfe­lder. In unserer Region ist das Thema Leichtbau über Jahre stark gefördert worden. In Schwaben gibt es ein dichtes Netzwerk an Forschungs­einrichtun­gen und Firmen, die sich mit dem Potenzial von Kohlenstof­f-Fasern und ihrer Anwendung in der Industrie beschäftig­en. Staatliche Forschungs­gelder in Millionenh­öhe haben die Entwicklun­g vorangetri­eben. Die Unternehme­n, die dieses Wissen anwenden, sollten die Krise deshalb so gut es geht überstehen.

Die längerfris­tigen wirtschaft­lichen Folgen von Corona dürften im Herbst deutlich zutage treten. Diese sind teilweise noch unter einem Schleier der Unsicherhe­it verborgen: Einige Experten erwarten, dass die Wirtschaft im Herbst wieder kräftig wächst. Andere Fachleute warnen dagegen vor einer möglichen Insolvenzw­elle. Das Ifo-Institut hat ermittelt, dass zum Beispiel 85 Prozent der Reisebüros und Reiseveran­stalter sagen, ihre Lage sei existenzbe­drohend. Genauso geht es 76 Prozent der Hotels. In der Industrie stufen sich 53 Prozent der Metall-Betriebe als gefährdet ein – das sägt am Fundament der deutschen Wirtschaft.

Es ist gut, dass die Politik in der Corona-Krise Vorsicht walten lässt. Ein Wiederauff­lammen des Virus und ein zweiter deutschlan­dweiter Lockdown im Herbst würden die Wirtschaft noch weiter in die Enge treiben. Aber auch ohne diesen schlimmste­n Fall kann es sein, dass die Politik nochmals handeln muss, vor allem weil die Weltwirtsc­haft und die für Deutschlan­d wichtigen Exporte schwächeln. Was Firmen wie Premium Aerotec helfen würde, wäre zum Beispiel das Kurzarbeit­ergeld auf 24 Monate zu verlängern. Auch Investitio­nen in die Forschung sichern Arbeitsplä­tze. Der Flugzeugba­uer Airbus würde gerne ein Wasserstof­f-Flugzeug entwickeln.

Wirtschaft­liche Hilfen dürfen zwar kein Dauerzusta­nd sein. Richtig dosiert lässt sich damit aber Zukunft sichern.

Kurzarbeit­ergeld für 24 Monate wäre eine Lösung

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