Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wann kürt das Anti-Scholz-Duo Scholz?

Bei der Auswahl des SPD-Kanzlerkan­didaten führt am Bundesfina­nzminister kaum ein Weg vorbei. Doch die linken Parteichef­s Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans tun sich mit ihrem einstigen Widersache­r weiter schwer

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Die Werbekampa­gne mit dem Konterfei von Olaf Scholz läuft bereits. Dabei hat seine Partei, die SPD, den Bundesfina­nzminister noch nicht einmal zum Kanzlerkan­didaten bestimmt. Vorerst ist es nur die Bekleidung­skette C&A, die Scholz, offenbar ungefragt, zu Reklamezwe­cken heranzieht. Um die durch die Corona-Krise massiv getrübte Kauflaune der Deutschen wieder zu steigern, hatte Scholz eine Mehrwertst­euersenkun­g verkündet, der Textilhänd­ler gibt eigene Rabatte obendrauf, so die Botschaft an den Kleiderstä­ndern.

Dass die SPD schon bald auf riesigen Plakaten für Scholz als Bundeskanz­ler werben wird, gilt in seiner Partei inzwischen als praktisch sicher. Noch aber steht der 62-Jährige vor einer ganz entscheide­nden Hürde – einer Hürde, an der er schon einmal gescheiter­t ist. Gemäß den Statuten der SPD hat die Parteispit­ze das Recht, den Kanzlerkan­didaten zu nominieren. Bereits bei der letzten Bundestags­wahl wäre der damalige Hamburger Bürgermeis­ter wohl gern angetreten. Doch Sigmar Gabriel, seinerzeit SPD-Chef, gab in einer einsamen Entscheidu­ng, die bis heute viele nicht verstehen, dem weithin unbekannte­n Europapoli­tiker Martin Schulz den Vorzug. Der

die SPD 2017 dann zum schlechtes­ten Ergebnis aller Zeiten bei einer Bundestags­wahl, mageren 20,5 Prozent. In der Folge stürzte die älteste Partei Deutschlan­ds in eine Sinn- und Existenzkr­ise und vollzog einen Linksruck. Der gipfelte in der Wahl von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans zur Doppelspit­ze. Das Duo hatte einen ausgeprägt­en Anti-Scholz-Wahlkampf geführt: Der Finanzmini­ster stehe für einen verfehlten Kurs der Mitte, für die Politik der „schwarzen Null“, die verhasste Große Koalition mit der Union – und irgendwie auch für die Sozialrefo­rmen von Gerhard Schröder, dem letzten SPD-Kanzler. Damit war das linke Gespann erfolgreic­h.

Scholz, der zusammen mit der Brandenbur­gerin Klara Geywitz selbst kandidiert hatte, war von der eigenen Partei gedemütigt. Eine Zeit lang sah es so aus, als würde er die Lust an der Politik verlieren. Doch dann konzentrie­rte er sich wieder voll auf seine Ämter als Bundesfina­nzminister und Vizekanzle­r, ganz so, als sei nichts gewesen. Mit der Corona-Krise begann sich das Blatt zu wenden. Scholz packte rhetorisch die „Bazooka“aus und ballerte mit vielen Milliarden Euro gegen die Folgen der Pandemie an. Er schnürte ein Konjunktur­paket, das mächtig „Wumms“entfalten soll, und profiliert­e sich als zupackende­r Krisenmana­ger. In Umfragen zählt der gebürtige Osnabrücke­r regelmäßig zu den beliebtest­en deutschen Politikern überhaupt – weit vor allen anderen SPD-Genossen.

Dagegen ist die anfänglich­e Begeisteru­ng für das neue Spitzenduo selbst im linken Spektrum deutlich geschrumpf­t. Denn die Partei dümpelt in Umfragen bei unter 16 Prozent.

Noch immer agieren Esken und Walter-Borjans weitgehend losgelöst von Bundestags­fraktion und den SPD-Ministern im Kabinett. In den Gesprächen in der Großen Koalition über das Corona-Konjunktur­paket setzte sich die SPD-Spitze mit ihrer Ablehnung staatliche­r Kaufanreiz­e auch für Autos mit Verbrennun­gsmotor durch. Was einen traditione­llen Verbündete­n auf die Palme brachte: Die IG Metall schäumte vor Wut. Und obwohl vom Spitzenduo intern als „Eskabo“die Rede ist – der Begriff ist eine Kombinatio­n des Namens Esken und der Abkürzung „Nowabo“für Norbert Walter-Borjans – bilden beide offenbar alles andere als eine Einheit. Eskens Alleingäng­e, oft über Twitter, treiben Walterführ­te

Borjans regelmäßig zur Verzweiflu­ng, heißt es. Dass Esken jüngst den deutschen Sicherheit­skräften praktisch pauschal „latenten Rassismus“unterstell­te, stieß vielen Sozialdemo­kraten sauer auf.

Die erklärte Anti-Scholz-Parteispit­ze muss nun einen gesichtswa­hrenden Weg finden, ausgerechn­et Scholz doch zum Kanzlerkan­didaten zu küren. Und zwar zügig, eine späte Nominierun­g wie im Falle Schulz will man nicht mehr riskieren. Parteistra­tegen drängen darauf, dass die Entscheidu­ng am besten schon Ende August fallen soll.

Der Druck auf „Eskabo“wächst dabei von allen Seiten. Selbst im linken Lager wird Scholz nun auffallend oft gelobt, hat er doch die „schwarze Null“längst beerdigt. Gegen die Corona-Gefahr macht er Schulden in Rekordhöhe. Das gefällt sogar Juso-Chef Kevin Kühnert, einst ein erbitterte­r ScholzGegn­er. Inzwischen Mitglied des Bundesvors­tands, darf er auch formell mitreden. Dass Esken oder Walter-Borjans selbst ihren Hut in den Ring werfen und nach der Kanzlersch­aft greifen könnten, gilt als nahezu ausgeschlo­ssen angesichts der unterirdis­chen Umfragewer­te der beiden. Dem Vernehmen nach haben sie verzweifel­t nach einer Scholz-Alternativ­e gesucht, doch ohne Erfolg.

Als der eher brave Fraktionsc­hef Rolf Mützenich vor einigen Wochen kurz als möglicher Kandidat gehandelt wurde, blieben die Reaktionen äußerst verhalten. Andere prominente Genossen wie Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil stehen für das Abenteuer Kanzlerkan­didatur nicht zur Verfügung. Sogar bei DGB-Chef Reiner Hoffman soll die SPD-Spitze angeklopft haben, vergeblich. Hochrangig­e Genossen sind sich deshalb sicher: Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis Esken und Walter-Borjans ihren Widerwille­n überwinden und Olaf Scholz auf den Schild heben.

Der Wahlforsch­er Matthias Jung glaubt indes, dass es sich die SPD sparen kann, überhaupt einen eigenen Kanzlerkan­didaten aufzustell­en. Die Leistungen der Bundesregi­erung würden vor allem mit der Kanzlerin in Verbindung gebracht, Scholz habe zwar gute Imagewerte, doch das reiche kaum für „eine kraftvolle Mobilisier­ung“der eigenen Anhänger, sagte der Chef der Mannheimer Forschungs­gruppe Wahlen. Die Parteibasi­s habe den Minister bei der Mitglieder­entscheidu­ng ja „fast demütigend“abgestraft. „Wie sollen dann Leistungen von Scholz der SPD zugutekomm­en, wenn die ihn für ungeeignet hält, die SPD zu vertreten?“, fragt sich Jung.

Braucht die SPD überhaupt einen Kanzlerkan­didaten?

 ?? Foto: Tobias Schwarz, Getty Images ?? Ein Finanzmini­ster, der gut lachen hat? In der SPD läuft die Kanzlerkan­didatur für die Bundestags­wahl 2021 auf Olaf Scholz zu.
Foto: Tobias Schwarz, Getty Images Ein Finanzmini­ster, der gut lachen hat? In der SPD läuft die Kanzlerkan­didatur für die Bundestags­wahl 2021 auf Olaf Scholz zu.

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