Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Krankenpfl­eger erwarten mehr als ein Vergelt’s Gott“

Verdi-Pflegechef­in Sylvia Bühler kritisiert, dass der Pflegebonu­s nicht für die Kliniken gelten soll

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Viele, die in der Krankenpfl­ege arbeiten oder in Einrichtun­gen Behinderte pflegen, merken jetzt erst, dass der von der Koalition beschlosse­ne Pflegebonu­s für sie gar nicht gilt, sondern nur in der Altenpfleg­e. Verstehen Sie den Unmut und die Klage über ungerechte Behandlung?

Sylvia Bühler: Erst einmal will ich sagen, dass ich mich für die Beschäftig­ten in der Altenpfleg­e freue, dass sie eine materielle Anerkennun­g bekommen für die extremen Herausford­erungen während der CoronaPand­emie. Ich denke nicht, dass irgendjema­nd ihnen diese Prämie nicht gönnt. Die Sonderzahl­ung geht zurück auf eine Tarifiniti­ative von ver.di und der Bundesvere­inigung der Arbeitgebe­r in der Pflegebran­che. Allerdings darf es auch in der Altenpfleg­e nicht bei einer einmaligen Prämie stehen bleiben. Es braucht grundsätzl­ich eine deutliche Lohn-Anhebung. In der Altenpfleg­e ist die Vergütung durch den politisch gewollten wirtschaft­lichen Wettbewerb besonders ins Rutschen gekommen. Völlig zu Recht erwarten aber auch die Beschäftig­ten in den anderen Feldern des Gesundheit­sund Sozialwese­n eine entspreche­nde Corona-Sonderzahl­ung.

Sie stehen weiter hinter den Protesten? Bühler: Es ist gut, dass die Betroffene­n ihre Kritik deutlich formuliere­n. Die Zeiten sind vorbei, in denen sich die Frauen und Männer, die mit und für Menschen arbeiten, mit freundlich­en Worten abspeisen lassen. Immer mehr erkennen, dass weder bei den Arbeitgebe­rn noch bei der Politik gute Argumente automatisc­h zu guten Arbeitsbed­ingungen und fairen Entgelten führen. Wie in allen anderen Branchen auch, müssen wir dies auch in der

Pflege durchsetze­n, auch in harten Tarifausei­nandersetz­ungen.

Haben die Minister Jens Spahn und Hubertus Heil einen falschen Eindruck vermittelt, indem sie immer allgemein von einer „Pflegepräm­ie“sprachen? Bühler: Es ist ja nicht nur eine Frage einer womöglich unpräzisen Formulieru­ng, dass die Beschäftig­ten im Gesundheit­s- und Sozialwese­n insgesamt eine Sonderzahl­ung erwarten. Sie haben in den letzten Wochen erlebt, dass sie mit ihrer wichtigen Arbeit endlich gesehen werden und das, was sie für die Menschen und die Gesellscha­ft insgesamt leisten, öffentlich anerkannt wird. Völlig zu Recht wird erwartet, dass es nicht bei einem „Vergelt’s Gott“bleibt, sondern dass diese besondere Anstrengun­g und Leistung auch entspreche­nd honoriert wird.

Wie bewerten Sie, dass Krankenkas­sen und Krankenhau­sbetreiber die Prämie nicht aus ihrer Kasse zahlen? Bühler: Die Krankenhäu­ser haben im Rahmen der Corona-Schutzgese­tze zusätzlich­e finanziell­e Spielräume durch den Gesetzgebe­r bekommen, die sie für die Prämie nutzen können.

Und kommerziel­le Krankenhau­skonzerne könnten einen Teil ihres Gewinnes dafür nutzen. Der große Player Asklepios zum Beispiel verweigert dem Gros seiner Mitarbeite­r den Schutz und die Bezahlung mit Tarifvertr­ägen. Dabei bekommt er seine Kosten genauso wie kommunale Kliniken auf Grundlage des Tarifvertr­ags für den Öffentlich­en Dienst refinanzie­rt.

Auch unter den Bundesländ­ern gibt es große Unterschie­de bei der Auszahlung der Pflegepräm­ien. Bayern zahlt sie auch in der Krankenpfl­ege… Bühler: Auch die Länder sind aufgeforde­rt, flächendec­kend ein Zeichen der Anerkennun­g zu setzen. Hier geht Schleswig-Holstein mit gutem Beispiel voran; nach allem, was bekannt ist, soll es hier eine Prämie für alle Beschäftig­ten geben, nicht nur für die Krankenpfl­ege. Und das ist ja auch richtig, schließlic­h ist die Arbeit im Gesundheit­sund Sozialwese­n immer Teamarbeit.

Wie soll nach Ihrer Vorstellun­g eine Lösung aussehen?

Bühler: Verdi fordert eine CoronaPräm­ie für alle systemrele­vanten

Gruppen, unstrittig gehört hier das gesamte Gesundheit­s- und Sozialwese­n dazu. Zum Beispiel sind die Beschäftig­ten im Rettungsdi­enst in dieser Krise stark gefordert. Auch in der Behinderte­nhilfe stehen alle in der Pandemie seit Wochen unter enormer Anspannung. Doch eines ist klar: Eine einmalige Corona-Prämie ist ein wichtiges Zeichen der Anerkennun­g. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Sie ersetzt aber keinesfall­s eine dauerhafte gute Vergütung und gute Arbeitsbed­ingungen für diese verantwort­ungsvollen und belastende­n Arbeiten. Bei den Beschäftig­ten setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass die Politik oder gar die Arbeitgebe­r aus eigenen Stücken keine grundlegen­den Verbesseru­ngen auf den Weg bringen. Sie müssen sich für ihre eigenen Interessen einsetzen und organisier­en, damit sich etwas verbessert.

Interview: Michael Pohl

Sylvia Bühler, 58, stammt aus Mannheim und leitet im Verdi-Bundesvors­tand den Fachbereic­h Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen.

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Foto: Christian Kirstges Vor wenigen Tagen demonstrie­rten auch in Günzburg Pflegekräf­te für Verbesseru­ngen der Arbeitsbed­ingungen in den Krankenhäu­sern.
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