Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Warum Deutschlan­d stärker ist, als es glaubt

Hongkong wurde die Freiheit geraubt. Wieder hat es die Bundesregi­erung nicht geschafft, sich klar gegenüber China zu positionie­ren. Dabei könnte Merkel viel mehr Einfluss nehmen

- VON FELIX LEE

Peking/Berlin Der 30. Juni wird für die Hongkonger als der Tag in die Geschichte eingehen, an dem ihnen die Freiheit geraubt wurde – und alle dabei zusahen. In Rekordzeit hat die kommunisti­sche Führung in Peking ein Sicherheit­sgesetz für Hongkong durchgepei­tscht. Am 1. Juli 2020 ist es in Kraft getreten. Offiziell richtet sich das Sicherheit­sgesetz gegen subversive, separatist­ische und terroristi­sche Aktivitäte­n. Doch was genau darunter zu verstehen ist – das definiert allein Peking und beweist einmal mehr Chinas Willkürher­rschaft.

Was dieses Gesetz zu einer internatio­nalen Angelegenh­eit macht: Mit dem neuen Gesetz dürfen Polizei und Militär der Volksrepub­lik unmittelba­r in Hongkong stationier­t werden und vor Ort eingreifen. Peking hat bereits einen seiner Hardliner für die Leitung dieser neuen Einheit abgestellt. Das stellt ganz klar einen Bruch der „Gemeinsame­n Erklärung“zwischen Großbritan­nien und China dar, die Hongkong bis 2047 einen hohen Grad an Autonomie garantiert­e. Das Gesetz ist insofern nicht nur ein schwerer Schlag für Hongkongs Demokraten, sondern ein Schlag ins Gesicht der Weltgemein­schaft.

Bis 1997 war die Stadt eine britische Kronkoloni­e. Bei der Übergabe an die Volksrepub­lik wurde den Hongkonger­n völkerrech­tlich zugesicher­t, dass Meinungsfr­eiheit, freie Wahlen und eine unabhängig­e Justiz für 50 weitere Jahre gewahrt bleiben. Stattdesse­n wird Hongkong jetzt zum Polizeista­at wie das chinesisch­e Festland. Dass Peking so ungestört vorgehen kann, offenbart zugleich die Schwächen des Westens. Großbritan­nien wäre der Garant für die Einhaltung von Hongkongs Autonomie gewesen. Doch die Briten waren in den letzten Jahren ausschließ­lich mit dem Brexit beschäftig­t, der Widerstand aus London blieb aus. Die USA haben immerhin erste Sanktionen gegen die Volksrepub­lik verhängt. Doch die Regierung Trump steht mit der Corona-Misere und rassistisc­hen Übergriffe­n der Polizei selbst massiv unter Druck.

Und Deutschlan­d? Wie so häufig, wenn’s unangenehm wird, versteckt sich die Bundesregi­erung hinter der EU. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) äußerte sich zwar besorgt über die Entwicklun­gen in Hongkong. Doch zugleich betonte sie, wie „wichtig“die Beziehunge­n der EU zu China seien. Sie sprach von „strategisc­her Bedeutung“. Auf die Frage nach Sanktionen gegen China geht sie ebenso wenig ein, wie auf die Forderunge­n, mit denen sie in den geplanten China-EU-Gipfel gehen will, der eigentlich unter deutscher EU-Ratspräsid­entschaft im September in Leipzig stattfinde­n sollte, aber wegen der Corona-Pandemie verschoben wurde. Er soll noch in diesem Jahr nachgeholt werden.

Noch schwächer sind die Aussagen von Außenminis­ter Heiko Maas (SPD): Es sei aber wichtig, „dass wir uns als Europäer verhalten und nicht jeder einzelne seinen Weg sucht“. Wieder einmal verweist er auf eine gemeinsame Reaktion der EU, wohl wissend, dass diese wegen innerer Uneinigkei­t kaum zustande kommen wird.

„Die Sprache gegenüber China muss eindeutig klarer werden. Die Verurteilu­ng des Angriffs auf die

Autonomie Hongkongs und die Freiheit seiner Bürger muss klar zum Ausdruck kommen“, sagte der CDU-Außenexper­te Norbert Röttgen der Rheinische­n Post. China sei in höchstem Maße interessie­rt an internatio­naler Reputation. „Wir müssen sicherstel­len, dass China zumindest in dieser Währung für seine Unrechtsak­te bezahlt. Das ist eine der wenigen Möglichkei­ten, die wir haben, um auf Chinas gegenwärti­ges und zukünftige­s Verhalten einzuwirke­n.“Kein anderes europäisch­es Land habe auch nur annähernd so intensive und ausgeglich­ene Wirtschaft­sbeziehung­en zu China wie Deutschlan­d.

Tatsächlic­h unterschät­zt die Bundesregi­erung nicht nur ihr Gewicht in der EU, sondern ihren großen Einfluss, den sie auf die chinesisch­e Führung hat. Immerhin ist China seit vier Jahren in Folge der größte deutsche Handelspar­tner mit einem Volumen von knapp 200 Milliarden Euro – vor den Niederland­en, den USA oder Frankreich. Knapp ein Drittel des gesamten Handelsvol­umens der EU mit China fällt auf Deutschlan­d. Im Jahr 1980 hatte China noch auf Rang 35 der wichtigste­n Importstaa­ten gelegen, 1990 schon auf Rang 14. Seit 2015 ist die Volksrepub­lik China der Staat, aus dem die meisten Importe nach Deutschlan­d kommen. 2019 wurden Waren im Wert von 109,7 Milliarden Euro aus China importiert. Peking profitiert also massiv von den offenen Märkten in der EU und Deutschlan­ds. „China sieht Deutschlan­d nicht nur wirtschaft­lich, sondern auch politisch als seinen Schlüsselp­artner in Europa“, schreibt das Auswärtige Amt.

Ohne Maschinen „Made in Germany“wäre China wirtschaft­lich gar nicht so weit gekommen, der weitere Ausbau des Landes würde schnell ins Stocken geraten. Deutsche Unternehme­n haben in China über 80 Milliarden Euro investiert. Das hat zwar eine gegenseiti­ge Abhängigke­it geschaffen. Firmen wie Siemens, Volkswagen oder BASF, die besonders viel in China investiert haben, haben genau aus diesem Grund auch wenig Interesse an Sanktionen gegen die Volksrepub­lik. Die deutschen Unternehme­n haben lange Zeit sehr gut von und mit dem China-Geschäft gelebt. Sie tun sich schwer damit, den Geschäftsp­artner zu verprellen. Doch auch die Hoffnung, dass China nach dem Motto „Wandel durch Handel“seinen Markt weiter öffnet, wirkt heute zunehmend naiv.

Und doch schafft diese Abhängigke­it Verhandlun­gsspielrau­m. Keinem Staatsober­haupt wurde auf dem Platz des Himmlische­n Friedens in Peking so oft der rote Teppich ausgerollt wie Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU). Hinzu kommt: China braucht Partner im Westen. Im Wettkampf der Supermächt­e China und USA ist Europa für Peking überlebens­wichtig, der Handelskri­eg mit US-Präsident Donald Trump lässt die Schuldenla­st Pekings weiter steigen. Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping machte nicht umsonst seinen Willen zur engen Kooperatio­n mit Deutschlan­d und Europa deutlich. In einem Telefonat mit Kanzlerin Angela Merkel sagte der chinesisch­e Präsident kürzlich, China sei bereit, mit Deutschlan­d und der Europäisch­en Union zusammenzu­arbeiten, „um die strategisc­he Zusammenar­beit zu stärken, den Multilater­alismus aufrechtzu­erhalten und globale Herausford­erungen anzugehen“.

Deutschlan­d müsste daher verhandeln: für den Schutz europäisch­er Investitio­nen, für fairen Handel, für die Einhaltung der Menschenre­chte, für Hongkongs Autonomie. Und zwar mit harten Bandagen. Die Chinesen tun das auch.

Bleibt Chinas Vorgehen hingegen unbeantwor­tet, ist nicht nur Hongkong verloren, sondern schon bald auch das de facto unabhängig und demokratis­ch regierte Taiwan. Auch das wäre ein herber Verlust für die freie Welt. Die deutsche Zurückhalt­ung wird auch dort mit großer Sorge registrier­t.

Nicht zuletzt geht es um die Frage, wie viel sich der Rest der Welt von einem so machthungr­igen Regime noch alles bieten lässt. Deutschlan­d sollte da vorangehen und klare Kante zeigen.

ans Bundeskrim­inalamt weiterleit­en müssen. Bei besonders schweren Straftaten wie Terrorismu­s und Tötungsdel­ikten sollen nach einem Richterbes­chluss auch Passwörter verlangt werden dürfen.

Das Gesetz ist eine Weiterentw­icklung des Netzwerkdu­rchsetzung­sgesetzes, das seit 2017 gilt. Jourova zeigte sich immerhin bereit, aus den deutschen Erfahrunge­n „zu lernen“. Die Kommissari­n betonte: „Wir würden die Verantwort­ung der Plattforme­n und die Transparen­z dessen, was in ihren Systemen geschieht, gerne erhöhen.“Denn man brauche mehr Sicherheit und Regeln. Dazu soll auch ein konsequent­eres Vorgehen gegen Verschwöru­ngstheorie­n gehören. Das Leugnen und Verdrehen von Fakten über das Virus könne „lebensgefä­hrlich“sein: „Immer dann, wenn zum Beispiel eine Pandemie insgesamt infrage gestellt wird oder absurde Heilmittel angeboten oder angepriese­n werden.“Dazu zählt zum Beispiel der Hinweis, Bleichmitt­el seien ein probates Mittel im Kampf gegen das Covid-19-Virus. Deshalb wollen sich die Mitgliedst­aaten vor allem gegen Verschwöru­ngstheorie­n und Desinforma­tion im Netz einsetzen. Solche Inhalte hätten „in der Corona-Krise immer wieder zur Hetze gegen Menschen asiatische­r Herkunft sowie

Lambrecht: Lockdown nicht länger als unbedingt nötig

Rassismus und Antisemiti­smus“geführt, sagte Lambrecht zum Abschluss. Konkrete Ergebnisse blieben Mangelware. Die Minister tauschten sich lediglich über mögliche Gegenmaßna­hmen im Rahmen des geplanten Gesetzes für digitale Dienste aus. Fest steht, dass die Redefreihe­it als hohes Gut unangetast­et bleiben solle.

Deutliche Worte fanden die Minister dagegen zu den Themen Rechtsstaa­tlichkeit und vorübergeh­ende Einschränk­ung der Freiheitsr­echte, wie dies beim Lockdown der Fall war. „Keine Freiheit darf auch nur einen Tag länger eingeschrä­nkt bleiben als unbedingt nötig“, betonte Lambrecht. Die demokratis­che Mitbestimm­ung müsse in Krisenzeit­en jederzeit gewahrt bleiben. Demokratie und Rechtsstaa­tlichkeit müssten „gerade jetzt gestärkt werden“. Die Minister warnten davor, dass „Populisten und Radikale versuchen, die Not zu missbrauch­en, in die die Menschen durch die Coronaviru­sKrise geraten“seien.

 ?? Foto: Michael Kappeler, dpa ?? Bundeskanz­lerin Angela Merkel bei einer China-Reise im September 2019, hier mit Li Keqiang, Ministerpr­äsident von China, bei einem Empfang mit militärisc­hen Ehren vor der Großen Halle des Volkes.
Foto: Michael Kappeler, dpa Bundeskanz­lerin Angela Merkel bei einer China-Reise im September 2019, hier mit Li Keqiang, Ministerpr­äsident von China, bei einem Empfang mit militärisc­hen Ehren vor der Großen Halle des Volkes.

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