Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der Mann, der Wirecard auffliegen ließ

Ein Journalist hat es sich über Jahre zur Aufgabe gemacht, die zwielichti­gen Geschäfte des Zahlungsab­wicklers aus Aschheim aufzudecke­n. Dabei geriet er selbst ins Visier der Justiz

- VON DOMINIK STENZEL

Augsburg/München Der WirecardSk­andal ist längst filmreif: Eine nicht einmal 20 Jahre alte FinTechFir­ma bringt es zum Dax-Unternehme­n – und legt dann einen beispiello­sen Absturz hin. 1,9 Milliarden Euro, die spurlos verschwund­en sind oder die es schlicht nie gegeben hat, gehören ebenso zum Plot wie Razzien, die Festnahme des langjährig­en Geschäftsf­ührers und das Abtauchen von dessen rechter Hand. Weniger Beachtung in der Berichters­tattung dieser Tage findet die Financial Times – obwohl die britische Wirtschaft­szeitung im Fall Wirecard eine entscheide­nde Rolle spielt. In den vergangene­n Jahren hat es sich insbesonde­re deren Investigat­ivreporter Dan McCrum zur Aufgabe gemacht, die zwielichti­gen Geschäftsp­raktiken des deutschen Zahlungsdi­enstleiste­rs aufzudecke­n.

Die Geschichte­n rund um das deutsche Unternehme­n hat das Wirtschaft­sblatt unter der Reihe „House of Wirecard“zusammenge­fasst. In Anspielung auf die erfolgreic­he TV-Serie „House of Cards“, in der es um Skandale und Intrigen im politische­n Washington geht. Das Team um McCrum war sich während ihrer Recherchen wohl schon recht früh sicher, dass Wirecard irgendwann in sich zusammenbr­echen würde wie ein fragiles Kartenhaus.

McCrum selbst ist mittlerwei­le ein gefragter Mann. Gegenüber unserer Redaktion teilt er mit, die vergangene­n Tage seien „verrückt“gewesen. Bereits seit dem Jahr 2014 habe sich McCrum mit Wirecards Bilanzen und Übernahmeg­eschäften in Asien beschäftig­t. „Schon damals

klar, dass seltsame Dinge vor sich gehen.“Bereits zuvor hatte die Firma kein allzu gutes Image.

Als der Zahlungsdi­enstleiste­r 2005 an die Frankfurte­r Börse gegangen war, gehörten insbesonde­re Unternehme­n aus der Glücksspie­l- und Pornoindus­trie zu seinen Kunden. 2008 lieferte sich das Unternehme­n einen Streit mit der Schutzgeme­inschaft der Kapitalanl­eger (SdK), bei der nach der Verschmelz­ungshauptv­ersammlung der Infogenie AG mit der Wirecard AG Zweifel aufkamen: „In der Folge kam es 2006 und 2007 zu seltsamen Sacheinlag­en, also Einbringun­gen von Unternehme­ns- und Vermögensg­egenstände gegen Gewährung von Aktien aus Kapitalerh­öhungen, wobei die verkaufend­en Unternehme­n stets auf den British Virgin Islands ihren Sitz hatten“, sagt SdK-Vorstandsv­orsitzende­r Daniel Bauer gegenüber unserer Redaktion. Die damalige Wirtschaft­sprüfungsg­esellschaf­t sei „eine EinMann-Bude“gewesen.

Nach der Kritik und einer teilweise erfolgreic­hen Klage der SdK, habe es ein Sonderguta­chten der Wirtschaft­sprüfungsg­esellschaf­t EY (Ernst & Young) gegeben, welches jedoch nie veröffentl­icht wurde. Auch anschließe­nd habe die SdK immer wieder Bedenken geäußert: „Auf Kritik wurde mit Drohungen und Hackerangr­iffen reagiert“, sagt Bauer.

Der Österreich­er Markus Braun, seit 2002 Geschäftsf­ührer bei Wirecard, wies die Vorwürfe entschiede­n zurück – wie so oft in den darauffolg­enden Jahren. Auch deshalb konnte das Unternehme­n seinen rasanten Aufstieg fortsetzen und global expandiere­n: Heute ist Wirecard unter anderem in Asien, Australien oder

Nordamerik­a vertreten. Und auch der Kundenstam­m, zu dem Aldi, Ikea oder der Flughafen München gehören, wurde seriöser.

Vor rund fünf Jahren startete die Financial Times dann allerdings ihre „House of Wirecard“-Serie und deckte auf, dass die Bilanz des Unternehme­ns womöglich ein 250 Millionen Euro großes Loch aufweise. Wie McCrum erzählt, sei der Durchbruch jedoch erst vor ungefähr zwei Jahren gelungen: Whistleblo­wer hatten sich damals an das Blatt gewandt und belastbare­s Material zu den Asien-Geschäften geliefert. „Anfang 2019 haben wir damit begonnen, Geschichte­n mit deren Informatio­nen zu veröffentl­ichen. Die Whistleblo­wer waren besorgt darüber, dass in Wirecards asiatische­m Hauptsitz in Singapur ernste Probleme unter den Teppich gekehrt worden seien. Als Reaktion gab es allerlei falsche Anschuldig­unwar gen, dass meine Kollegen und ich korrupt seien“, sagt McCrum. Nach den Artikeln brach der Aktienkurs ein. Wirecard, inzwischen Dax-Unternehme­n, bezeichnet­e die Anschuldig­ungen als „falsch“und „irreführen­d“, die Staatsanwa­ltschaft München I leitete nach der Strafanzei­ge eines Anlegers ein Ermittlung­sverfahren gegen McCrum ein: wegen „Vergehens nach dem Wertpapier­handelsges­etz.“

Im Juli 2019 verkündete Wirecard schließlic­h, „unwiderleg­bare Beweise für eine Zusammenar­beit zwischen Mitarbeite­rn der Financial Times und Short-Sellern“– Investoren, die auf fallende Kurse einer Aktie spekuliere­n –, zu besitzen. Doch McCrum und seine Kollegen ließen sich nicht unterkrieg­en und machten auf weitere Unregelmäß­igkeiten aufmerksam. Wirecards Gegenangri­ffe ließen jeweils nicht lange auf sich warten.

Im vergangene­n Monat kam es schließlic­h zum großen Knall – das Kartenhaus stürzte in sich zusammen: Wirecard gab zu, dass 1,9 Milliarden Euro, die in der Bilanz fehlten, mit „überwiegen­der Wahrschein­lichkeit“gar nicht existieren. Braun trat zurück, wurde festgenomm­en und gegen Zahlung einer Kaution über fünf Millionen Euro freigelass­en. Wirecard und mehrere Tochterfir­men meldeten inzwischen Insolvenz an.

McCrum wird der Fall auch weiter beschäftig­en – denn der Wirtschaft­skrimi scheint noch lange nicht zu Ende zu sein. Inzwischen ermittelt die Münchner Staatsanwa­ltschaft unter anderem wegen Untreuever­dachts gegen Braun und weitere Entscheidu­ngsträger – ein hochrangig­er Manager stellte sich am Montag und sitzt in Untersuchu­ngshaft. Brauns rechte Hand Jan Marsalek wird per Haftbefehl gesucht und soll sich womöglich in der philippini­schen Hauptstadt Manila aufhalten. Auch sonst bleiben viele offene Fragen, die jedoch nicht nur das Aschheimer Unternehme­n betreffen, sondern etwa auch deren jahrelange­n Wirtschaft­sprüfer EY oder die Bundesanst­alt für Finanzdien­stleistung­saufsicht (Bafin), die Wirecard lange verteidigt­e und stattdesse­n Journalist McCrum anzeigte. „Ich weiß, dass viele Whistleblo­wer ihr Material den deutschen Behörden gegeben haben, bevor sie zu uns kamen“, sagte McCrum unlängst dem Blog finanz-szene.de in einem Video-Interview. Allerdings sei die Financial Times als Marktmanip­ulierer „dämonisier­t“worden: „Ich nehme an, dass es das auch schwierig gemacht hätte, mit uns zu reden. Wir waren ja Verdächtig­e.“

 ?? Foto: Twitter ?? Investigat­iv-Journalist Dan McCrum beschäftig­t sich bereits seit 2014 mit den Geschäftsp­raktiken des Aschheimer Zahlungsdi­enstleiste­rs Wirecard.
Foto: Twitter Investigat­iv-Journalist Dan McCrum beschäftig­t sich bereits seit 2014 mit den Geschäftsp­raktiken des Aschheimer Zahlungsdi­enstleiste­rs Wirecard.

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