Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Temposünde­r müssen weiter zittern

Die schärferen Bußgelder und Fahrverbot­e sind außer Kraft. Doch wer geblitzt wurde, muss abwarten

- VON SONJA DÜRR

Straubing/Augsburg Autofahrer, die zuletzt geblitzt wurden und nun mit einem Fahrverbot rechnen müssen, dürften in diesen Tag ratlos sein. Grund ist das Hin und Her um den neuen Bußgeldkat­alog. Denn gut zwei Monate, nachdem das neue Regelwerk in Kraft getreten ist, muss es schon wieder ausgesetzt werden. Damit sind auch die schärferen Sanktionen für Tempoübers­chreitunge­n vom Tisch. Mit weitreiche­nden Folgen: Bis zu eine Million Bußgeldbes­cheide und 100000 Fahrverbot­e könnten bundesweit nach Schätzung des ADAC rechtswidr­ig sein. Nur: Was heißt das genau für die Temposünde­r?

Wer verstehen will, worum es geht, muss bei der Novelle der Straßenver­kehrsordnu­ng anfangen, die das Bundesverk­ehrsminist­erium von Andreas Scheuer (CSU) ausgearbei­tet hat. In erster Linie sollte sie

Radfahrern mehr Schutz bieten. Doch darüber spricht keiner mehr. Stattdesse­n ging es zuletzt nur um die Frage, was noch überhöhte Geschwindi­gkeit und was schon Rasen ist und wie schnell man seinen Führersche­in verlieren darf. Nach dem neuen Bußgeldkat­alog wird ein einmonatig­es Fahrverbot verhängt, wenn jemand innerhalb geschlosse­ner Ortschafte­n 21 Stundenkil­ometer oder außerorts 26 Stundenkil­ometer zu schnell fährt. Zuvor drohte ein Fahrverbot erst bei einer Geschwindi­gkeitsüber­schreitung von mehr als 31 Sachen im Ort oder 41 Stundenkil­ometer außerhalb.

Am Donnerstag schließlic­h kippte das Bundesverk­ehrsminist­erium die schärferen Fahrverbot­sregeln und forderte die Länder auf, ab sofort wieder den alten Bußgeldkat­alog anzuwenden. Nicht etwa wegen des Protests der Autofahrer. Als Grund wurde ein Formfehler genannt, der die Verschärfu­ng nichtig mache. Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann kündigte am Freitag an, man werde vorerst zur alten Rechtslage zurückkehr­en. 13 weitere Bundesländ­er handhaben es so.

Und damit beginnt die große Frage: Was heißt das denn nun für die

Autofahrer? Und für alle jene, die in den letzten Wochen geblitzt wurden? Schließlic­h ist die Zahl der Fahrverbot­e wegen Tempoübers­chreitunge­n in Schwaben drastisch gestiegen. Allein zwischen dem 28. April, an dem der neue Bußgeldkat­alog in Kraft getreten war, und dem 28. Mai verloren 835 Autofahrer ihren Schein, wie aus den Zahlen der beiden Polizeiprä­sidien in Augsburg und Kempten hervorgeht. Das sind gut viermal mehr als im Vorjahresz­eitraum – und das, obwohl coronabedi­ngt weniger als sonst kontrollie­rt wurde. Vorläufige Zahlen aus dem Allgäu zeigen, dass dort auch im Juni deutlich mehr Fahrverbot­e verhängt wurden als im Jahr davor.

Bei den Polizeiprä­sidien heißt es, an den Geschwindi­gkeitskont­rollen werde sich nichts ändern. Die Ahndung von Tempoverst­ößen laufe ohnehin zentral – über das Polizeiver­waltungsam­t in Straubing. Dort betont Sprecher Alexander Lorenz, dass seit Freitag kein Bußgeldbes­cheid nach dem neuen Katalog mehr verschickt werde. Wer also heute innerorts mit 25 km/h zu viel erwischt wird, behält seinen Schein. Aber was, wenn einem das vor einem Monat passiert ist? Lorenz verweist darauf, dass die Erstellung von Bußgeldbes­cheiden ohnehin mehrere Wochen brauche. Im Moment warte man auf das Bundesverk­ehrsminist­erium, wo man betont, für die nach den verschärft­en Regeln geahndeten Fälle an einer bundeseinh­eitlichen Lösung zu arbeiten.

Was all das für Autofahrer heißt, deren Fälle nach den verschärft­en Regeln geahndet wurden, ist offen. Wer einen Bußgeldbes­cheid erhalten hat, dem rät der ADAC dazu, Einspruch einzulegen und auf rechtliche Formfehler hinzuweise­n. Wer seinen Schein bereits abgegeben hat, dem empfiehlt der ADAC wiederum, ein Gnadenverf­ahren zu beantragen.

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Foto: Balk, dpa Geblitzt wird weiterhin. Der alte Bußgeldkat­alog gilt wieder.

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