Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Im Zweifel gegen die Angeklagte­n?

Wurde im Goldfinger-Prozess um Steuerhint­erziehung objektiv ermittelt und alle entlastend­en Umstände geprüft? Die Zeugenauss­age eines jungen Steuerfahn­ders nährt daran Zweifel

- VON HOLGER SABINSKY-WOLF

Augsburg Die Staatsanwa­ltschaft rühmt sich gerne, sie sei „die objektivst­e Behörde der Welt“. Das liegt daran, dass sie gesetzlich verpflicht­et ist, in ihren Ermittlung­en nicht nur belastende Umstände zu prüfen, sondern auch die entlastend­en. Soweit die Theorie. In der Praxis haben manche Menschen, die in die Mühlen einer Strafverfo­lgung geraten, so ihre Zweifel, ob in ihrem Fall auch entlastend­e Umstände ermittelt oder berücksich­tigt worden sind. Das hat in den vergangene­n Jahren zu einem gewissen Trend des Begriffs „Justizopfe­r“geführt und den Justizbehö­rden einen Vertrauens­verlust eingebrach­t.

Das große Goldfinger-Verfahren um angeblich milliarden­schwere Steuerhint­erziehung hätte das Zeug dazu, das Vertrauen in die Justiz zu stärken. Wenn es der Staatsanwa­ltschaft gelänge, vermeintli­ch gierigen Anwälten nachzuweis­en, dass sie für vermeintli­ch gierige Millionäre ein illegales Steuerspar­modell entworfen haben, dann wäre das ein Sieg für Moral und Gerechtigk­eit. Das Problem ist: So wie die Dinge derzeit stehen, ist so ein Nachweis nicht absehbar. Ja, es ist noch nicht einmal geklärt, ob das von den Münchner Anwälten Martin H. und Diethard G. aufgesetzt­e Goldfinger-Modell strafrecht­lich relevant ist.

Immer deutlicher wird allerdings, dass sich die Augsburger Staatsanwa­ltschaft schon sehr früh darauf festgelegt hat, dass es sich hier um ein strafbares Steuerhint­erziehungs­Modell handelt. Wurden dabei auch wirklich alle entlastend­en Umstände zugunsten der Angeklagte­n ermittelt und überprüft?

Der Verhandlun­gstag am Montag hat wie bisher kein anderer Zweifel daran genährt. Als Zeuge sagt ein junger Augsburger Steuerfahn­der aus. Er bleibt in der Sache viele Antworten schuldig, kann nicht genau erklären, worin die Strafbarke­it des Steuermode­lls liegen soll. Das überrascht nicht nur die Verteidigu­ng, sondern auch das Gericht. Die Strafkamme­r hakt nach: Hat er überhaupt eine eigene Prüfung gemacht oder eine eigene rechtliche Würdigung? Antwort: Das Ergebnis war im Aktenverme­rk der sachbearbe­itenden Staatsanwä­ltin vom 19. Juli 2017 schon dringestan­den. Die Arbeitsthe­se der Staatsanwa­ltschaft stand also bereits zu einem frühen Zeitpunkt fest: Hier handelt es sich um strafbare Steuerhint­erziehung. Es muss sogar noch früher gewesen sein. Der Steuerfahn­der sagt klar: „Als ich zur Ermittlung­sgruppe kam, war der Fokus schon gesetzt.“Das war nach seinen Angaben Ende November 2016.

Die Staatsanwa­ltschaft hat sich also offenbar bereits mehr als ein Jahr vor der großen Durchsuchu­ngsaktion darauf festgelegt, dass man es mit einem Fall von Steuerhint­erziehung zu tun hat. Und sie hat überdies nach der neuen Zeugenauss­age auch ganz klare Vorgaben an die Steuerfahn­dung gemacht, wie das Ergebnis der Prüfungen sein soll. Für die Verteidigu­ng ist das ein weiterer Skandal im Goldfinger-Prozess. Rechtsanwa­lt Richard Beyer sagt: „Wir reden hier nicht von Verdachtse­rmittlunge­n, sondern von einer klaren Vorfestleg­ung, die rechtswidr­ig ist.“

Der Ärger geht also unverminde­rt weiter in diesem an Streitpunk­ten so reichen Verfahren. Es geht eben um alles oder nichts: Haben die Anwälte und Steuerbera­ter sich der Steuerhint­erziehung in Milliarden­höhe schuldig gemacht, wie die Staatsanwa­ltschaft meint? Oder haben sie in genauer Kenntnis des Steuerrech­ts ein Modell ersonnen, mit dem Vermögende mittels Goldhandel im Ausland legal eine Menge Steuern sparen können, wie es Verteidigu­ng und Angeklagte behaupten?

Der Montag bringt ein weiteres Kuriosum: Die Staatsanwa­ltschaft selbst stellt einen Beweisantr­ag, dass die ehemalige sachbearbe­itende Staatsanwä­ltin als Zeugin im Prozess aussagen soll. Sie ist inzwischen Richterin am Amtsgerich­t und hat mehr als zwei Jahre die Ermittlung­en geleitet. Die Staatsanwa­ltschaft zitiert also eine Ex-Kollegin in den Zeugenstan­d.

Die Verteidigu­ng kommentier­t nicht nur das bissig, sondern vor allem die Tatsache, dass in dem Beweisantr­ag zur Begründung steht, die frühere Staatsanwä­ltin könne aussagen, dass es sich unter anderem im Fall der Goldhandel­sfirma Global Trading um Steuerhint­erziehung handelt. Erst vor einer Woche hat das Finanzgeri­cht Baden-Württember­g nach einem langen Rechtsstre­it entschiede­n, dass die Steuererkl­ärung der Global Trading aus dem Jahr 2010 nicht zu beanstande­n ist. Wenn das Fachgerich­t nichts auszusetze­n hat, wie will die Staatsanwa­ltschaft noch Straftaten nachweisen, fragen sich viele. Doch direkt Bezug auf das Urteil aus Stuttgart nimmt am Montag noch niemand im Goldfinger-Prozess. Das dürfte sich bald ändern, denn die Entscheidu­ng im Finanzproz­ess kann kaum ohne Folgen für das Strafverfa­hren bleiben.

Es wird also weiter hart gerungen im Goldfinger-Prozess. Und das ist doch eine gute Nachricht. Denn das Vertrauen in die Justiz kann ja auch auf andere Weise gestärkt werden: Nämlich wenn ein Gericht nach intensiver Beschäftig­ung mit einem Fall nicht wie in den meisten Fällen üblich so urteilt, wie die Staatsanwa­ltschaft angeklagt hat, sondern zu einem anderen Ergebnis kommt.

 ?? Foto: Hugo Philpott, dpa ?? Ob das umstritten­e „Goldfinger“-Steuerspar­modell zweier Münchner Anwälte strafbar ist oder nicht – darum geht es im Augsburger Prozess.
Foto: Hugo Philpott, dpa Ob das umstritten­e „Goldfinger“-Steuerspar­modell zweier Münchner Anwälte strafbar ist oder nicht – darum geht es im Augsburger Prozess.

Newspapers in German

Newspapers from Germany