Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Im Zweifel gegen die Angeklagten?
Wurde im Goldfinger-Prozess um Steuerhinterziehung objektiv ermittelt und alle entlastenden Umstände geprüft? Die Zeugenaussage eines jungen Steuerfahnders nährt daran Zweifel
Augsburg Die Staatsanwaltschaft rühmt sich gerne, sie sei „die objektivste Behörde der Welt“. Das liegt daran, dass sie gesetzlich verpflichtet ist, in ihren Ermittlungen nicht nur belastende Umstände zu prüfen, sondern auch die entlastenden. Soweit die Theorie. In der Praxis haben manche Menschen, die in die Mühlen einer Strafverfolgung geraten, so ihre Zweifel, ob in ihrem Fall auch entlastende Umstände ermittelt oder berücksichtigt worden sind. Das hat in den vergangenen Jahren zu einem gewissen Trend des Begriffs „Justizopfer“geführt und den Justizbehörden einen Vertrauensverlust eingebracht.
Das große Goldfinger-Verfahren um angeblich milliardenschwere Steuerhinterziehung hätte das Zeug dazu, das Vertrauen in die Justiz zu stärken. Wenn es der Staatsanwaltschaft gelänge, vermeintlich gierigen Anwälten nachzuweisen, dass sie für vermeintlich gierige Millionäre ein illegales Steuersparmodell entworfen haben, dann wäre das ein Sieg für Moral und Gerechtigkeit. Das Problem ist: So wie die Dinge derzeit stehen, ist so ein Nachweis nicht absehbar. Ja, es ist noch nicht einmal geklärt, ob das von den Münchner Anwälten Martin H. und Diethard G. aufgesetzte Goldfinger-Modell strafrechtlich relevant ist.
Immer deutlicher wird allerdings, dass sich die Augsburger Staatsanwaltschaft schon sehr früh darauf festgelegt hat, dass es sich hier um ein strafbares SteuerhinterziehungsModell handelt. Wurden dabei auch wirklich alle entlastenden Umstände zugunsten der Angeklagten ermittelt und überprüft?
Der Verhandlungstag am Montag hat wie bisher kein anderer Zweifel daran genährt. Als Zeuge sagt ein junger Augsburger Steuerfahnder aus. Er bleibt in der Sache viele Antworten schuldig, kann nicht genau erklären, worin die Strafbarkeit des Steuermodells liegen soll. Das überrascht nicht nur die Verteidigung, sondern auch das Gericht. Die Strafkammer hakt nach: Hat er überhaupt eine eigene Prüfung gemacht oder eine eigene rechtliche Würdigung? Antwort: Das Ergebnis war im Aktenvermerk der sachbearbeitenden Staatsanwältin vom 19. Juli 2017 schon dringestanden. Die Arbeitsthese der Staatsanwaltschaft stand also bereits zu einem frühen Zeitpunkt fest: Hier handelt es sich um strafbare Steuerhinterziehung. Es muss sogar noch früher gewesen sein. Der Steuerfahnder sagt klar: „Als ich zur Ermittlungsgruppe kam, war der Fokus schon gesetzt.“Das war nach seinen Angaben Ende November 2016.
Die Staatsanwaltschaft hat sich also offenbar bereits mehr als ein Jahr vor der großen Durchsuchungsaktion darauf festgelegt, dass man es mit einem Fall von Steuerhinterziehung zu tun hat. Und sie hat überdies nach der neuen Zeugenaussage auch ganz klare Vorgaben an die Steuerfahndung gemacht, wie das Ergebnis der Prüfungen sein soll. Für die Verteidigung ist das ein weiterer Skandal im Goldfinger-Prozess. Rechtsanwalt Richard Beyer sagt: „Wir reden hier nicht von Verdachtsermittlungen, sondern von einer klaren Vorfestlegung, die rechtswidrig ist.“
Der Ärger geht also unvermindert weiter in diesem an Streitpunkten so reichen Verfahren. Es geht eben um alles oder nichts: Haben die Anwälte und Steuerberater sich der Steuerhinterziehung in Milliardenhöhe schuldig gemacht, wie die Staatsanwaltschaft meint? Oder haben sie in genauer Kenntnis des Steuerrechts ein Modell ersonnen, mit dem Vermögende mittels Goldhandel im Ausland legal eine Menge Steuern sparen können, wie es Verteidigung und Angeklagte behaupten?
Der Montag bringt ein weiteres Kuriosum: Die Staatsanwaltschaft selbst stellt einen Beweisantrag, dass die ehemalige sachbearbeitende Staatsanwältin als Zeugin im Prozess aussagen soll. Sie ist inzwischen Richterin am Amtsgericht und hat mehr als zwei Jahre die Ermittlungen geleitet. Die Staatsanwaltschaft zitiert also eine Ex-Kollegin in den Zeugenstand.
Die Verteidigung kommentiert nicht nur das bissig, sondern vor allem die Tatsache, dass in dem Beweisantrag zur Begründung steht, die frühere Staatsanwältin könne aussagen, dass es sich unter anderem im Fall der Goldhandelsfirma Global Trading um Steuerhinterziehung handelt. Erst vor einer Woche hat das Finanzgericht Baden-Württemberg nach einem langen Rechtsstreit entschieden, dass die Steuererklärung der Global Trading aus dem Jahr 2010 nicht zu beanstanden ist. Wenn das Fachgericht nichts auszusetzen hat, wie will die Staatsanwaltschaft noch Straftaten nachweisen, fragen sich viele. Doch direkt Bezug auf das Urteil aus Stuttgart nimmt am Montag noch niemand im Goldfinger-Prozess. Das dürfte sich bald ändern, denn die Entscheidung im Finanzprozess kann kaum ohne Folgen für das Strafverfahren bleiben.
Es wird also weiter hart gerungen im Goldfinger-Prozess. Und das ist doch eine gute Nachricht. Denn das Vertrauen in die Justiz kann ja auch auf andere Weise gestärkt werden: Nämlich wenn ein Gericht nach intensiver Beschäftigung mit einem Fall nicht wie in den meisten Fällen üblich so urteilt, wie die Staatsanwaltschaft angeklagt hat, sondern zu einem anderen Ergebnis kommt.