Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Auge um Auge, Nuss um Nuss

Ringen um Ressourcen: Grauhörnch­en verdrängen in Großbritan­nien und Norditalie­n Eichhörnch­en. Experten gehen davon aus, dass das Nagetier in ein paar Jahrzehnte­n den Weg nach Süddeutsch­land schafft. Was dann?

- VON PHILIPP SCHULTE

Augsburg Wer im Wald spazieren geht, hört mit Sicherheit das ein oder andere Rascheln in Baumkronen. Der Wind? Möglich. Ein Vogel? Auch. Ein Eichhörnch­en? Ja bitte, wie putzig. Oft sind es nur Sekunden, die sich Spaziergän­ger und Nagetier schenken, einander anschauen. Das Hörnchen, oben oder unten am Baumstamm festgekral­lt, hat meist weniger Zeit. Schnell springt es weiter, sucht Nüsse, Bucheckern, Eicheln.

In europäisch­en Nadel-, Laub-, Mischwälde­rn, Parks sowie Siedlungen sind Eichhörnch­en zu Hause. Sogar bis auf Balkone wagen sich die schlanken Tierchen mit dem buschigen Schwanz vor. Doch andere Hörnchen machen dem Eichhörnch­en diesen Lebensraum in Europa immer mehr streitig: Grauhörnch­en. Sie stammen aus Nordamerik­a, ähneln Eichhörnch­en, sind aber größer und haben ein graueres Fell.

Grauhörnch­en, wissenscha­ftlich sciurus carolinens­is, kommen in Italien und auf den britischen Inseln vor. In weiten Teilen Englands, Irlands und Nordirland­s haben sie

Eichhörnch­en verdrängt. Experten rechnen damit, dass Grauhörnch­en irgendwann von Norditalie­n aus die Alpen umrunden und Eichhörnch­en den Lebensraum in Süddeutsch­land streitig machen.

Anruf bei Stefan Bosch, 58, in Sternenfel­s-Diefenbach, nordöstlic­h des badischen Pforzheim gelegen. Seit vielen Jahren fasziniere­n ihn Vögel und Kleinsäuge­r. Bosch hat an einem Buch über Eichhörnch­en mitgeschri­eben und ist beim Naturschut­zbund aktiv. Gerade ist er mit seinem Sohn im Garten. Während Bosch telefonier­t, ruft der Bub, dass er ein Eichhörnch­en sieht. Es be

einen der Eichhörnch­en-Kästen, die bei Bosch im Garten stehen. „Dass ein Eichhörnch­en vorbei kommt, sehe ich selten“, sagt Bosch.

Dass weiter Eichhörnch­en mit rotem, braunem, schwarzem Rückenfell und weißem bis gräulichem Bauchfell durch mitteleuro­päische Gärten wuseln, ist Stefan Bosch wichtig. Er plädiert dafür, Wälder so zu gestalten, dass Eichhörnch­en genug Nahrung finden. Sprich Nadelund Mischwälde­r erhalten. Das wird aufgrund zunehmende­r Trockenhei­t und höheren Temperatur­en immer schwierige­r. Dieses Klima begünstigt die Ausbreitun­g von Borkenkäfe­rn und Eichen-Prozession­sspinnern, die Bäume befallen. Die Lebensbedi­ngungen traditione­ller Baumarten wie der Fichte werden durch trockenere­s Wetter ebenfalls erschwert. „Eichhörnch­en mögen Fichten lieber als Eichen“, sagt Stefan Bosch.

Doch wie kommt es, dass graue Hörnchen Eichhörnch­en in Großbritan­nien und Italien verdrängen? „Ein Faktor ist Stress“, sagt Bosch. Eichhörnch­en spüren Druck bei der

Nahrungssu­che, wenn Grauhörnch­en in ihrer Umgebung leben. Sie fressen wie Eichhörnch­en Nüsse, Pilze, Vogeleier, Jungvögel. Bosch spricht von einer akuten Konkurrenz­situation. „Zwei Arten können nicht gleichzeit­ig die identische ökologisch­e Nische besetzen, ohne in

Konkurrenz zueinander zu treten“, sagt er. „Die besser angepasste Art wird die andere verdrängen, wobei die Unterschie­de zwischen ihnen nicht groß sein müssen.“Der Stress des Ringens um Ressourcen führt dazu, dass sich Eichhörnch­en weniger stark fortpflanz­en.

Vermutunge­n, dass Grauhörnch­en aufgrund ihrer körperlich­en Überlegenh­eit Eichhörnch­en angreifen, töten oder Eichhörnch­enjunge im Nest auffressen, gelten Experte Stefan Bosch zufolge als widerlegt. Hingegen ist ein Krankheits­erreger ein weiterer Faktor, warum die Population der Eichsucht hörnchen dort zurückgeht, wo Grauhörnch­en auftreten. Als die grauen Tierchen 1880 in Großbritan­nien ankamen, breitete sich mit ihnen ein Virus aus. Grauhörnch­en erkranken nicht, für Eichhörnch­en aber ist eine Infektion meist tödlich.

Wie mit Grauhörnch­en umgegangen werden soll, sorgt in Großbritan­nien für Diskussion­en. Die einen jagen sie und setzen sie auf Speisekart­en von Restaurant­s, andere kümmern sich um kranke Tiere. Für Stefan Bosch stellt sich eine ethische Frage: „Akzeptiere­n wir, dass sich Flora und Fauna durch die Ansiedlung neuer Tierarten verändern oder gehen wir dagegen vor?“Das Jagen von Eichhörnch­en ist hierzuland­e allerdings verboten.

Die Menschen in Großbritan­nien hätten Eichhörnch­en bereits vergessen, sagt Bosch. Das sei oft so, wenn eine Art verschwind­et. Außerdem gibt es weiter das Grauhörnch­en. Eine Ausnahme ist Schottland. Dort wird Werbung für die Orte gemacht, an denen Eichhörnch­en zu sehen sind. Sogar Verkehrssc­hilder machen auf die Tiere aufmerksam.

Eichhörnch­en leben gerne in Nadel- und Mischwälde­rn

In Schottland sind die Tierchen eine Attraktion

 ?? Fotos: Angela Merk, Ralf Lienert ?? Ein Eichhörnch­en an einer Futterkrip­pe im Wald bei Weißenhorn-Emershofen im Kreis Neu-Ulm. In ein paar Jahrzehnte­n könnten Grauhörnch­en nach Süddeutsch­land kommen und Eichhörnch­en Konkurrenz um Nahrung machen. Dieser Stress führt dazu, dass sich Eichhörnch­en weniger fortpflanz­en. Wenn Spaziergän­ger Hörnchen mit grauem Fell sehen, handelt es sich trotzdem um Eichhörnch­en.
Fotos: Angela Merk, Ralf Lienert Ein Eichhörnch­en an einer Futterkrip­pe im Wald bei Weißenhorn-Emershofen im Kreis Neu-Ulm. In ein paar Jahrzehnte­n könnten Grauhörnch­en nach Süddeutsch­land kommen und Eichhörnch­en Konkurrenz um Nahrung machen. Dieser Stress führt dazu, dass sich Eichhörnch­en weniger fortpflanz­en. Wenn Spaziergän­ger Hörnchen mit grauem Fell sehen, handelt es sich trotzdem um Eichhörnch­en.
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Grauhörnch­en

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