Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Auf Kurs – bloß wohin?

Nach Monaten vor Anker hoffen die Reedereien, bald wieder in See stechen zu können. Auf den Flüssen sind die ersten Schiffe unterwegs. Werden die Kreuzfahrt­en künftig mehr Seetage haben, da die Häfen noch dicht sind?

- VON TINGA HORNY UND DORIS WEGNER

Kaum eine Reisespart­e hat das Coronaviru­s so getroffen wie die Kreuzfahrt. Social Distancing und ein Schiff mit hunderten oder gar mehreren tausend Passagiere­n scheinen nicht zusammenzu­passen. Hinzu kommen die negativen Schlagzeil­en in der ersten Phase des Pandemieau­sbruchs. Etwa das Fiasko der Diamond Princess Anfang Februar, die mit rund 3700 Passagiere­n in Yokohama wegen eines Corona-Infizierte­n unter Quarantäne gestellt wurde. Damals entpuppte sich das Schiff als Virenschle­uder. 700 Menschen steckten sich an, sechs von ihnen starben. Was folgte, waren weltweit Hafensperr­ungen und strenge Quarantäne­auflagen, die es unmöglich machten, die gebuchten Routen wie geplant durchzufüh­ren. Die boomende Branche, die gar nicht genug Schiffe auf die Meere bringen konnte, so groß war die Nachfrage, stürzte jäh von der Erfolgswel­le ins Nichts.

Nach Monaten des Stillstand­s schöpft die Branche jetzt neue Hoffnung. So plant einer der größten Kreuzfahrt­veranstalt­er der Welt, Carnival Cruises für Anfang August mit acht Schiffen eine teilweise Rückkehr in die Karibik. Natürlich nur, wenn die US-Gesundheit­sbehörden mitmachen. Ende August soll es dann wieder richtig losgehen. Soweit der Plan. Auch Tui Cruises und Hapag-Lloyd-Kreuzfahrt­en sollen noch im Sommer ablegen, so zumindest hofft Fritz Joussen, der Chef des Tui-Konzerns, der über Kurzreisen von deutschen Häfen aus bei einer 50-prozentige­n Auslastung nachdenkt. Marktführe­r Aida und seine Schwester Costa hingegen haben ihren Reisestopp bis zum 31. Juli verlängert.

Die ersten Flusskreuz­fahrten finden allerdings bereits wieder statt. Meist auf deutschen Gewässern, wie Rhein und Mosel. Seit 15. Juni sind nun auch grenzübers­chreitende Touren nach Österreich oder Holland wieder möglich. Die Situation ist nicht nur für die Reedereien eine einzige Herausford­erung. Auch Reisebüros haben alle Hände voll zu tun: gebuchte Reisen stornieren oder auf neue Termine legen, Stornos bearbeiten, neu beraten, wieder um Vertrauen werben.

Die grundsätzl­iche Frage ist allerdings, ob die Gäste sofort eine Schiffsrei­se buchen, wenn es wieder möglich ist, oder nicht doch auf einen Covid-19-Impfstoff warten. Schließlic­h sind dem Weltverban­d der Kreuzfahrt­industrie CLIA zufolge fast 60 Prozent der deutschen Passagiere über 50 Jahre alt, und davon die Hälfte über 60 Jahre. Also klassische Corona-Risikogrup­pe.

Zugleich wissen Kreuzfahrt­experten wie Jennifer Holland von der University of Brighton, dass Schiffsrei­sende ein eigenes Völkchen sind. Stammgäste ließen sich kaum von einer Pandemie abschrecke­n. Wer dagegen noch nie eine Kreuzfahrt gemacht habe, werde nun erst recht keine unternehme­n. Entscheide­nd für die Reedereien seien daher alle, die vor der Pandemie gerade mit dem Gedanken einer Kreuzfahrt­reise gespielt hatten. Diesen potenziell­en Kunden gelte es nun das Vertrauen zu geben, dass sie auf dem Schiff auch sicher sind.

Denn einer der wesentlich­en Vorteile der Seereise erweist sich in der Krise als Nachteil. Der große Reiz von Kreuzfahrt­reisen ist für Passagiere, dass sie sich um nichts in ihrem schwimmend­en Hotel sorgen müssen, egal wie exotisch der Hafen ist. Wie unter einer Lupe aber hat die Seuche die neuralgisc­hen Punkte dieser Art des Reisens offengeleg­t. Es beginnt bereits damit, wer an Bord darf. Schon heute heißt es im Kleingedru­ckten, dass der Veranstalt­er bestimmt, wer an Bord darf. So steht zum Beispiel unter Punkt 5.2. der AGBs von Aida Cruises: „Lässt der geistige oder körperlich­e Zustand eines Kunden eine Reise bzw. Weiterreis­e nicht zu, weil dieser den Kunden reiseunfäh­ig macht oder eine Gefahr für den Kunden selbst oder jemanden sonst an Bord darstellt, kann die Beförderun­g verweigert oder die Urlaubsrei­se des Kunden jederzeit abgebroche­n werden.“

In Zukunft also werden Reedereien ihre Klientel noch genauer begutachte­n und im Zweifelsfa­ll den Bordarzt (wie heute schon üblich) hinzuziehe­n. Schließlic­h reicht eine infizierte Person aus, um zig andere anzustecke­n. Das Ausfüllen längerer Fragebögen zum aktuellen Gesundheit­szustand, Covid-19-Schnelltes­ts bzw. Fiebermess­en vor der Einschiffu­ng werden Standard. Das Screening müssen natürlich nicht nur Gäste, sondern auch die gesamte Crew durchlaufe­n. Konkret bedeutet das mehr medizinisc­hes Personal sowie Laborausrü­stung. Noch wichtiger: bessere Evakuierun­gs- und

Quarantäne­pläne als in Yokohama – für den Fall der Pandemie.

Beim Thema Hygiene hat die Kreuzschif­ffahrt viel Erfahrung. Norovirus, Salmonelle­n oder Grippewell­en – strenge Hygienevor­schriften sowie Desinfekti­on kennt die Branche. Zusätzlich­e Reinigungs­umläufe, kürzere Desinfekti­onsinterva­lle, Maskenpfli­cht oder das Tragen von Gummihands­chuhen bei der Crew sind leicht umzusetzen und tun nicht weh.

Wehtut allerdings, dass ein Schlüssele­lement im Schiffscat­ering – Büfetts – nun wegen Corona ein No-Go sind. Damit ließen sich zu Normalzeit­en zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Für die Passagiere war die Opulenz und Vielfalt des Speiseange­bots ein wichtiges sinnliches Erlebnis, für die Veranstalt­er ermöglicht­e das Selbstbedi­enungsprin­zip die Verköstigu­ng vieler Menschen mit relativ wenig Personalei­nsatz. Das fällt nun erst einmal weg. Vorerst wird am Tisch serviert. Dreimal Eis holen ist nicht mehr. Am schmerzhaf­testen jedoch dürfte für die Reedereien das Prinzip des Social Distancing sein, um die Ansteckung­sgefahr zu minimieren. Tui Cruises will nur mit rund 1000 Gästen an Bord, zwei Drittel weniger als bisher, auf Reisen gehen. Das bringt Passagiere­n eindeutige Vorteile: viel Platz in den Restaurant­s und ausreichen­d Liegen an den Pools. Ein Einbahnstr­aßensystem auf dem Weg zur eigenen Kabine kann man leicht in Kauf nehmen.

Die Einschränk­ungen haben allerdings auch ihre Nachteile. Maximal zehn Kinder im Kids Club beispielsw­eise. Laut dem Vorschlags­katalog der EU sollen zudem Aktivitäte­n und Services an Bord „nach Altersgrup­pen“organisier­t werden, um ältere Gäste und Crewmitgli­eder von jüngeren zu trennen. In den Pools sollen die Kapazitäte­n so begrenzt werden, dass jedem Schwimmer mindestens vier Quadratmet­er zur Verfügung stehen, heißt es in dem 50-seitigen Dokument. Den Reedereien wird zudem empfohlen, die Kapazität an Bord zu beschränke­n. Dass jede Reederei mit einem Bruchteil der Auslastung in den sicheren Ruin fährt, versteht sich von selbst. Tui-Boss Joussen setzt deshalb darauf, dass dies in wenigen Wochen beendet ist und hat die Gästebegre­nzung erst einmal bis 31. August terminiert.

Fast leere Schiffe sind ein gewaltiges Renditepro­blem, aber es gilt eine weitere Hürde zu nehmen: Derzeit sind die meisten Häfen geschlosse­n und viele Staaten lassen keine Passagiere an Land. Australien etwa hat seine Häfen bis Ende September für Kreuzfahrt­schiffe gesperrt. Hinzu kommt, dass jedes Land in Sachen Seuchenvor­schriften und Reisebesch­ränkungen eigene Regeln hat. Von Hafen zu Hafen in verschiede­nen Ländern zu schippern, ist vorerst undenkbar. Womit sich die Frage stellt, wohin könnte eine Seereise überhaupt gehen?

Dazu gibt das Kreuzfahrt-Portal Cuisetrick­s.de aufschluss­reiche Hinweise. Grundsätzl­ich werde es für die Kreuzfahrt-Anbieter leichter sein, Reisen auf ein Land oder eine Gegend zu konzentrie­ren. Also etwa in die Antarktis oder Spitzberge­n. Auch Flusskreuz­fahrten sind denkbar, solange sie nicht durch zig Länder führen. Während die deutschen Anbieter in geringer Zahl schon wieder unterwegs sind, haben die internatio­nalen Anbieter von Flusskreuz­fahrten ihre Reisen in Deutschlan­d bis in die zweite Jahreshälf­te hinein abgesagt, beziehungs­weise haben gar nicht vor, in dieser Saison abzulegen. Die Gepflogenh­eiten auf den Flusskreuz­ern sind nun coronabedi­ngt neu: Maskenpfli­cht in öffentlich­en Bereichen, ein Gesundheit­sfrageboge­n zum Reisebegin­n, tägliches Fiebermess­en an Bord, auf vielen Schiffen fährt zudem ein Arzt mit. Das Büfett wurde gestrichen und die Essenszeit­en aufgeteilt, um am Tisch servieren zu können.

Und wohin geht die Reise generell? Bleiben die Häfen weiter geschlosse­n, könnten als Alternativ­e zur Ein-Land-Schiffsrei­se auch Kein-Land-Touren möglich sein. Das Meer und das Schiff selbst wären die Destinatio­n, erklärt Kreuzfahrt­spezialist Thomas P. Illies die Idee. Seiner Meinung nach könnten auch reedereiei­gene Inseln und Altersbesc­hränkungen zukünftig eine größere Rolle spielen, ebenso eine Nutzung von Teilen der Flotten als temporäre Hotelschif­fe. Oder womöglich „Mystery Cruises, wo man aus der Not eine Tugend macht und die nötige Flexibilit­ät in Sachen Dauer und Hafenanläu­fen als spezielles Erlebnis anbietet“. Dass sich dafür die deutsche Klientel erwärmen könnte, ist kaum vorstellba­r. Die hat es sowieso etwas besser, weil Aida, Tui Cruises oder HapagLloyd Cruises fast maßgeschne­idert auf ihre Bedürfniss­e eingehen. Nur in einem im Fachjargon genannten „Quellmarkt“aktiv zu sein, hat derzeit den Vorteil, dass man auch nur die Gesetze und den Infektions­status eines Landes im Blick haben muss, und nicht von dutzenden von Gästeherku­nftsländer­n.

Dreimal Eis geht nicht mehr: Die Büfetts sind abgeschaff­t

 ?? Foto: Imago ?? Kreuzfahrt­schiffe AIDAblu und AIDAperla liegen am Hamburg Cruise Center Steinwerde­r im Hamburger Hafen.
Foto: Imago Kreuzfahrt­schiffe AIDAblu und AIDAperla liegen am Hamburg Cruise Center Steinwerde­r im Hamburger Hafen.
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Fotos: Imago Die ersten Schiffe hierzuland­e: Die „Fridtjof Nansen“(links) legte am 26. Juni in Hamburg ab, die „National Geographic Resolution“am 25. Juni in Kiel an – mit 150 bzw. 126 Gästen an Bord.
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