Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Alles, was die Seele bewegt
Das Bach-Recital von Linus Roth
Er stand im Gegenlicht vor den hohen Fenstern im Goldenen Saal des Rathauses. Der Geiger Linus Roth wirkte darin wie ein Schattenriss. Dadurch wurde der Zauber, den er bei seinem vormittäglichen BachRecital auf der Violine entfaltete, noch um eine Nuance stärker. Eine Stunde lang enthob Linus Roth, in der laufenden Spielzeit Artist in Residence der Augsburger Philharmoniker, sein Publikum mit Sonaten für Violine solo von Johann Sebastian Bach in eine andere, magische Welt.
Zu hören waren die Sonate in g-Moll, die Sonate in a-Moll und schließlich die Chaconne, der letzte Teil aus der d-Moll-Partita – dieses so einzigartige Stück, das 15 Minuten lang tief hineintaucht in das, was eine menschliche Seele bewegt: die Klage, die Trauer, das fliehen Wollende, das Aufwühlende, Lebendigkeit und schließlich das sich Hineingeben in den Trost. Linus Roth führte kraftvoll, akzentuiert, in das Geschehen ein, steigerte die Dramatik, es eilten die auf- und absteigenden Töne nur so dahin, so leicht und präzise, als wären sie selbsttätig und nicht von der Hand des Geigers geführt.
Diese Gabe von Linus Roth, die Musik Bachs zu durchdringen, und zu beseelen, wurde auch in den beiden vorausgehenden Solo-Violinsonaten hörbar. Da eröffnete das Adagio in der g-Moll Sonate dem Zuhörer die Weite des Raums – es war, als schreite er durch den Goldenen Saal, schauend und staunend über die vielen Details seiner Ausgestaltung. Bei der Fuge mit ihren raschen Läufen und ihrer Lebendigkeit war es, als träten mehr Besucher hinzu, vermischten sich zu einem pulsierenden Ganzen. Herrlich das Presto, überquellend, schäumend, wie die Kaskaden eines Wasserfalls.
Das von Bach bekannte wunderbare Wechselspiel von Melodie- und Basslinie zeigte sich besonders intensiv beim Grave, das die Sonate a-Moll eröffnete. Gehalten und geerdet von der Basslinie, nahm sich die Melodie ihre Freiheit, hob sich empor, spielerisch in unendlichen Variationen, die sich in der Fuge noch steigerten. Das elegische Andante, in seinem Gleichmaß, ja fast schon seiner Zärtlichkeit, ließ wieder zur Ruhe kommen.