Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Kretschmann junior will es wissen
Der Sohn des baden-württembergischen Ministerpräsidenten kandidiert für den Bundestag. Ein Grüner wie sein Vater – und wie er einer mit einem sehr eigenen Kopf
Wer Hochdeutsch spricht, wird Johannes Kretschmann niemals finden. „I wohn’ in Loiz,“sagt er am Telefon. In Loiz? Kein Navigator der Welt findet das sagenhafte Loiz, weil das Navi nur ein Laiz mit „a“kennt, das zu Sigmaringen gehört. Eben dort wohnt Kretschmann junior, 41, Sohn des Ministerpräsidenten. Vom Vater hat er nicht nur die Augen, sondern auch die Liebe zum schwäbischen Dialekt geerbt, den er ebenso breit dehnt wie sein Vater.
Nun will der Sohn für die Grünen in den Bundestag einziehen. Die erste Hürde, die Nominierungsversammlung in Meßkirch, hat er bereits genommen, als er sich unerwartet klar gegen einen Unternehmensberater durchsetzte. Kretschmann dagegen umgibt noch immer der verwegene Charme seiner studentischen Jahre, in denen er sich seltenen
Sprachen von Schwäbisch bis Rumänisch widmete – in Berlin.
Der Wahlkreis, in dem er nun kandidiert, ist tief konservativ. Seit gefühlten Ewigkeiten holen sich dort CDU-Männer die Fahrkarte nach Berlin. Ohne einen soliden Platz auf der Landesliste wird ein Grüner von hier kaum in den Bundestag einziehen können. Johannes Kretschmann aber wittert dennoch seine Chance. Im Kreistag leitet er die Grünen-Fraktion mit acht Mitgliedern. Dort erwerbe er die nötige politische Erfahrung, sagt er.
Er hat ein altes Bauernhaus gemietet, schräg gegenüber von der Kirche. Während er die Kaffeebohnen mit der Handmühle mahlt, weist er den Weg in den
Garten. Ein Bauerngarten alten Schlages, mit Schopf und frisch gesäten Sonnenblumen. Im Holzklotz steckt noch das Beil; jetzt braucht er es seltener, weil der Holzofen vor allem im Winter angefeuert wird. Unter einem Vordach steht ein altes Sofa. So geht Chillen auf Schwäbisch.
Für die Schweizer Swisscom hat Johannes F. Kretschmann, der sich selbst JFK nennt, als InternetRedakteur gearbeitet. Den Job gab er auf, er sagt: „In der analogen Welt fühle ich mich wohler.“Jetzt hat er Zeit für die letzten Seiten seines ersten Romans. Und er hätte Zeit für einen Wahlkampf mit großen politischen Zielen. Er strebe eine Europäische Konföderation an, sagt er. „Europa benötigt mehr Macht.“Die Ökologie ist für ihn so selbstverständlich, dass er sie nicht mehr eigens thematisiert. „Ich bin doch ein Feld-, Wald- und Wiesengrüner“, sagt er. Er lebt bescheiden und fühlt sich pudelwohl in seinem Gäu zwischen Donau und Alb. Mit dem Wort Heimat hat er kein Problem. Vielmehr schmerzt ihn, wie das gewohnte Leben aus einem Dorf wie Laiz immer mehr verschwindet und immer mehr Land verbaut und asphaltiert wird. „Das war früher viel schöner, als wir herzogen.“Wir – das ist die Familie, die das Elternhaus von Gerlinde Kretschmann übernahm. Die Eltern wohnen drei Minuten entfernt vom Sohn. Gelegentlich geht er zur Mutter hinüber zum Mittagessen.
Mit seinem Vater, sagt er, verbinde ihn vor allem eines: „Ich habe einen eigenen Kopf.“Ulrich Fricker