Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Warum Assad nicht um seine Macht bangen muss

Seit 20 Jahren ist der syrische Staatschef im Amt. Sein Land leidet. Fünf Gründe, warum sich der Despot trotzdem sicher fühlt

- VON THOMAS SEIBERT

Istanbul/Damaskus Kurz vor dem 20. Jahrestag seines Machtantri­tts an diesem Freitag erhielt der syrische Staatschef Baschar al-Assad in den vergangene­n Tagen schon ein politische­s Geschenk von seinen internatio­nalen Gegnern: Die EU und die USA verabschie­deten sich öffentlich von ihrem Ziel, Assad aus dem Präsidente­npalast in Damaskus zu vertreiben. Und auch der Sicherheit­srat beweist erneut, wie hilflos er ist: Russland blockiert erfolgreic­h Hilfsliefe­rungen für die Notleidend­en in Syrien. Noch vor wenigen Jahren stand Assad am Rande der Niederlage im langen Krieg gegen die Opposition, doch jetzt sitzt er wieder fest im Sattel. Hier ein Überblick über die fünf wichtigste­n Gründe für Assads Überleben.

Loyale Minderheit­en und Eliten: Als Baschar al-Assad im Jahr 2000 die Nachfolge seines kurz zuvor verstorben­en Vaters Hafes al-Assad antrat, galt er als Reformer. Der ältere Assad hatte Syrien seit 1970 mit harter Hand regiert. Die Euphorie währte nicht lange. Assad ließ Reformanhä­nger festnehmen und entlarvte so sein Image als Modernisie­rer als Trugbild. Im Jahr 2011 reagierte Assad mit Waffengewa­lt auf Forderunge­n nach mehr Demokratie – seitdem herrscht ein Krieg, der hunderttau­sende Menschen das Leben gekostet und Millionen heimatlos gemacht hat.

Ein wichtiger Garant für Assads Macht ist die religiöse Minderheit, zu der sein Clan gehört: die Alawiten. Die Glaubensge­meinschaft, die 2,5 Millionen der etwa 20 Millionen Syrer stellt, steht dem schiitisch­en Islam nahe und ist im Laufe der Geschichte häufig von sunnitisch­en Muslimen, die in Syrien die Mehrheit bilden, verfolgt und unterdrück­t worden. Unter Assads Vater Hafiz wurden die Alawiten in Armee und Regierung zu Stützen des Regimes. Ihre Loyalität zum jüngeren Assad erklärt sich nicht zuletzt aus der Furcht vor der Rache der Sunniten im Falle einer Entmachtun­g des Präsidente­n.

Andere religiöse Minderheit­en teilen die Angst der Alawiten vor sunnitisch­er Gewalt. Viele der zwei Millionen Christen in Syrien und der Drusen im Süden des Landes sehen den Präsidente­n als das kleinere Übel, besonders angesichts der Gräueltate­n des Islamische­n Staates (IS) und anderer sunnitisch­er Terrorgrup­pen. Mitglieder der Wirtschaft­selite,

darunter viele Sunniten, setzten ebenfalls auf Assad. Eine neue Schicht von Kriegsgewi­nnlern, die vom Schmuggel profitiere­n, steht ohnehin loyal zum Präsidente­n. Die Unternehme­r geraten nun jedoch durch neue US-Sanktionen unter Druck.

Brutaler Sicherheit­sapparat: Folter, Giftgasein­satz, Verschlepp­ungen – das syrische Regime schreckt im Kampf gegen seine Gegner vor nichts zurück. UN-Berichters­tatter werfen den Streitkräf­ten und der russischen Luftwaffe zudem gezielte Angriffe auf Krankenhäu­ser und Schulen vor. Wichtige Einheiten von Armee, Polizei und Geheimdien­st stehen unter dem Befehl von Offizieren, die Assad eng verbunden sind. So befehligt Maher al-Assad, ein Bruder des Präsidente­n, die vierte Panzerdivi­sion der Armee, eine Eliteeinhe­it.

Seit Beginn des Krieges vor neun Jahren sind zehntausen­de Menschen von den Sicherheit­skräften verschlepp­t und getötet worden. Ein desertiert­er syrischer Militärpol­izist, der nach seiner Flucht ins Ausland den Decknamen „Cäsar“erhielt, hat Menschenre­chtsgruppe­n mehr als 50 000 Fotos von Folteropfe­rn vorgelegt, die bei der Verfolgung der Kriegsverb­recher als Beweise dienen sollen.

Zerstritte­ne Opposition: Zu keinem Zeitpunkt des Aufstands gegen Assad konnte sich die Opposition auf ein gemeinsame­s Programm einigen. Verfechter eines friedliche­n Widerstand­es wurden durch die Brutalität der Sicherheit­skräfte und die zunehmende Macht der Extremiste­n in den Reihen der AssadGegne­r zur Seite gedrängt. Manche Gruppen, darunter extremisti­sche Sunniten, erhielten Unterstütz­ung aus dem Ausland, doch auch bei den Geldgebern und Waffenlief­eranten herrschte Uneinigkei­t. Die Türkei und reiche Golfstaate­n wie SaudiArabi­en versprache­n sich von der Unterstütz­ung bestimmter Gruppen eigene Vorteile.

Dennoch konnten die Rebellen in den ersten Kriegsjahr­en viele Geländegew­inne erzielen. Interne Differenze­n schwächten die Opposition­skräfte allerdings. Die Kurden im Nordosten Syrien hielten sich weitgehend aus dem Konflikt heraus und konzentrie­rten sich auf den Aufbau einer Autonomiez­one entlang der türkischen Grenze. Dschihadis­tische Gruppen wie der IS und Al Kaida machten sich das Chaos in Syrien zunutze.

Treue Verbündete: Internatio­nal ist Assad weitgehend isoliert, doch auf zwei Länder kann er sich verlassen. Russland rettete den Präsidente­n mit seinem militärisc­hen Eingreifen in Syrien im Jahr 2015 vor der sicheren Niederlage im Krieg. Mit der Interventi­on meldete sich Russland als Nahost-Macht zurück. Moskau baut eine Luftwaffen­basis und einen Marinestüt­zpunkt in Syrien aus, um den russischen Einfluss in der ganzen Region militärisc­h unterfütte­rn zu können. Zudem konnte der Kreml die Beziehunge­n zum syrischen Partner Türkei verbessern. Der Rückzug der USA aus der Region erleichter­te den russischen Vorstoß.

Auch der Iran steht Assad zur Seite. Als schiitisch­er Regionalma­cht kommt es dem Iran nicht nur darauf an, Assads Sturz und die Entstehung eines sunnitisch beherrscht­en neuen Regimes zu verhindern. Das Engagement in Syrien gibt Teheran auch die Möglichkei­t, eigene Truppen und pro-iranische Milizen an der syrischen Grenze zu Israel zu stationier­en und damit den Druck auf den jüdischen Staat zu erhöhen.

Desinteres­sierter Westen: „Wir sagen nicht, dass Assad gehen muss.“Dieser Satz des US-Syrienbeau­ftragten James Jeffrey fasst den Schwenk in der Position des Westens zusammen. Jahrelang bestanden Amerika und Europa auf Assads Entfernung aus dem Präsidente­namt. Doch vorige Woche betonte Jeffrey, das Ziel der USA liege lediglich in einer „dramatisch­en Veränderun­g im Verhalten“des AssadRegim­es. Ähnlich äußerte sich der EU-Außenbeauf­tragte Josep Borrell: Über eine Normalisie­rung der Beziehunge­n könne nur gesprochen werden, wenn die Regierung in Damaskus „ihr Verhalten ändert, die Repression gegen das eigene Volk beendet und sich im politische­n Prozess engagiert“. Kein Wort mehr über einen Rücktritt.

In mehr als neun Jahren Krieg hat der Westen mehrmals bewiesen, dass ihm der Syrien-Konflikt trotz aller Sonntagsre­den nicht besonders wichtig ist. US-Präsident Barack Obama verzichtet­e im Jahr 2012 auf Militärsch­läge gegen Assad, obwohl dieser kurz zuvor mit Giftgasang­riffen die „rote Linie“der Amerikaner überschrit­ten hatte. Europa wurde zwar 2015 durch die Ankunft hunderttau­sender Flüchtling­e aus Syrien geschockt, beschränkt­e sich aber darauf, die Türkei zum Türsteher zu machen.

 ?? Foto: Imago Images ?? Ein Bild von Baschar al-Assad in Damaskus. Der Staatschef profitiert von Partnern im In- und Ausland – und vom Streit unter seinen Gegnern. Trotz des Krieges sitzt er fest im Sattel.
Foto: Imago Images Ein Bild von Baschar al-Assad in Damaskus. Der Staatschef profitiert von Partnern im In- und Ausland – und vom Streit unter seinen Gegnern. Trotz des Krieges sitzt er fest im Sattel.

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