Augsburger Allgemeine (Land Nord)
„Zweiten Lockdown überleben wir nicht“
Welche Folgen die Wirtschaftskrise für die schwäbische Wirtschaft hat IHK-Präsident Andreas Kopton zeigt sich mit den Ergebnissen des Konjunkturpakets zufrieden. Aber ihn ärgert, dass die Politiker den Unternehmern so wenig zutrauen
Herr Kopton, Schwabens Wirtschaft befand sich nach Ihrer Einschätzung über Monate hinweg im freien Fall. Sie gelten als überzeugter Optimist. Wie geht es Ihrem Optimismus?
Andreas Kopton: Dem geht es wieder viel besser. Die Hiobsbotschaften liegen hinter uns. Sie dominierten den April und den Mai. Mit dem Konjunkturpaket der Bundesregierung drehte sich der Wind hin zur Zuversicht für die Unternehmer der Region.
Die Krise ist in allen Branchen angekommen, auch in der für unsere Region wichtigen Flug- und Raumfahrtindustrie, wie sich etwa bei Premium Aerotec zeigt. Wie schätzen Sie die Folgen für diese Hightech-Branche ein und was ist nötig, um den Unternehmen eine Perspektive zu geben?
Kopton: Die Luft- und Raumfahrtbranche hat es weltweit hart erwischt. Von den Fluglinien über die Flugzeugbauer bis hin zu den Zulieferern. Der bereits vor der CoronaKrise in Gang gesetzte Strukturwandel wird sich nochmals stark beschleunigen. Der Produktionsstandort Bayerisch-Schwaben wird nie billiger sein als seine globalen Wettbewerber. Aber besser wollen und müssen wir sein. Den Qualitätswettbewerb gewinnen wir nur mit bestens ausgebildeten Mitarbeitern. Die müssen wir durch Kurzarbeit halten und zugleich deren Kompetenzen nutzen für innovative und umweltschonende Flugzeuge. Das CoronaKonjunkturpaket bietet dafür eine Chance. Die müssen wir ergreifen.
Bringt das Konjunkturprogramm wirklich so viel? Das bisschen Mehrwertsteuersenkung ist doch eher ein Wümmschen als ein Wumms? Kopton: Für mich kommt es gar nicht so sehr darauf an, wie viel das Programm bisher materiell gebracht hat. Ebenso wichtig ist die psychologische Wirkung. Das Programm hat Zuversicht unter den Unternehmen in Schwaben gestiftet. Die Stimmung ist einfach besser geworden.
Also doch ein Wumms?
Kopton: Ja, es ist ein Wumms, weil die Politiker uns Unternehmern zugehört und fast alle unserer Vorschläge zur Ankurbelung der Wirtschaft aufgegriffen haben. Von sechs unserer Forderungen als Industrieund Handelskammern werden fünf größtenteils umgesetzt, also Reduzierung der Mehrwertsteuer, Senkung der Strompreise, staatliches Investitionsprogramm, Ausweitung des Verlustvortrages und Verlustrücktrages für Firmen sowie bessere Abschreibungsmöglichkeiten.
Und doch fehlt ein ewiger Herzenswunsch der Wirtschaft ...
Kopton: Ja, die Senkung der Unternehmenssteuern haben wir nicht durchgesetzt. Trotzdem ist die Laune der Unternehmer wieder besser. Ich bleibe Optimist. Endlich dürfen wieder Menschen in ein Flugzeug steigen. Viele Menschen wirken nun wie befreit. Das hat der Wirtschaft so lange gefehlt. Unternehmer können endlich wieder etwas tun und werden nicht mehr permanent vom Staat bevormundet.
Aber die staatlichen Maßnahmen waren doch notwendig, um die Ausbreitung der Pandemie zu stoppen. Kopton: Das ist sicher richtig, aber Unternehmer wurden während der harten Monate das Gefühl nicht los, die Politiker trauen ihnen nicht mehr zu, dass sie für sich alleine denken können. Plötzlich schlug uns einer auf die Finger und sagte: Ihr müsst dies machen, ihr müsst jenes machen. So entstand viel Unmut über Regelungen, wie dass Biergärten schon um 20 Uhr schließen mussten, während Lokale länger bis 22 Uhr öffnen durften. Solch widersinnige Bestimmungen wurden zum Glück korrigiert. Dabei ist für uns Unternehmer völlig klar, dass wir uns an Hygieneregeln halten. Das haben wir auch schon vor Corona geflissentlich getan.
Zweifeln Sie also an den doch meist sinnvollen, auf den Gesundheitsschutz abzielenden Maßnahmen?
Kopton: Nein, ich zweifle nicht an den Maßnahmen als solches, sondern mich stört, dass uns die Politik nicht mehr vertraut hat. Wir hätten auch ohne staatliche Vorgaben und Bevormundung die notwendigen Schritte eingeleitet. Wir sind Unternehmer und unternehmen etwas.
Es geht Ihnen um das Hochhalten der liberalen Fahne. Doch Liberalismus kann in Seuchenzeiten ausnahmsweise auch mal kontraproduktiv sein. Kopton: Mir geht es darum, dass der Staat lediglich Rahmenbedingungen setzt und wir als verantwortungsvolle Unternehmer in diesem Rahmen frei handeln können. Dann hätten Wirte selbst entschieden, ob sie ihre Biergärten bis 20, 21 oder bis 22 Uhr öffnen. Die Begründung hinter vorgehaltener Hand dafür lautete ja, dass Biergärten zunächst nur bis 20 Uhr öffnen dürfen, weil die Gefahr bestehe, es könne zu Verbrüderungsszenen kommen, wenn der ein oder andere schon sein zweites Bier getrunken hat. Diese Behauptung ist für mich eine Unverschämtheit. Der Staat hat die Bürger zum Teil zu stark gegängelt oder bemuttert. Es wurden ja auch vielfach Bußgelder an Bürger ausgesprochen. Ich staune über die Höhe an Bußgeldzahlungen, die hier insgesamt zusammengekommen sind.
Doch musste der Staat nicht einschreiten, wenn die Bürger sich unvernünftig verhalten haben?
Kopton: Ich fand viele Regeln einfach weltfremd, beispielsweise für Schulen. Mir fehlte da die Liberalität. Schüler müssen in ihrer Sportkleidung zum Sportunterricht gehen. Sie können sich nicht mehr in der Schule umziehen. Nach dem Sport sitzten sie also in ihren verschwitzten Klamotten im Unterricht. Da sollen sie doch den Sportunterricht gleich ganz ausfallen lassen.
Mit solchen Maßnahmen soll das Wiederaufflammen der Pandemie verhindert werden. Und waren wir nicht in Deutschland sehr erfolgreich mit der Virus-Bekämpfung, viel erfolgreicher als andere Länder?
Kopton: Wir wissen doch nicht, was passiert wäre, wenn wir nicht so viele harte Maßnahmen ergriffen hätten.
Wohin solch eine lax-liberale Haltung führt, können wir in Schweden, wo es viel mehr Tote bezogen auf die Bevölkerung gibt, beobachten.
Kopton: Das ist sicher richtig. Und dennoch hätte ich mir einen Weg gewünscht, damit Schüler nicht wie bei uns, rund drei Monate zu Hause bleiben müssen. Schüler haben keine Lobby. Sie werden nicht von der IHK vertreten. Und unsere Schüler können immer noch nicht zur Routine zurückkehren.
Was passiert, wenn uns eine zweite Corona-Welle erfasst. Können wir uns wirtschaftlich einen zweiten Lockdown überhaupt leisten?
Kopton: Einen zweiten Lockdown überleben wir wirtschaftlich in Deutschland nicht. Was wäre das für eine Botschaft etwa an Bekleidungsgeschäfte: Dann würden endgültig viele Läden dauerhaft aufgeben. Sie können nicht noch einmal auf ganzen Kollektionen sitzen bleiben. Gleiches gilt für ohnehin bisher schon hart getroffene Besitzer von Reisebüros und Restaurants.
Rollt nun trotz aller staatlichen Hilfen eine Pleitewelle in Gastronomie und Hotellerie auf uns zu?
Kopton: Davon gehe ich aus. Vielen Betrieben fehlt die Liquidität. Und viele Gastronomen werden von sich aus aufgeben, ehe ihnen die Insolvenz droht. In der Gastronomie haben wir seit Jahren ohnehin Nachwuchsprobleme. Wer soll jetzt den Mut fassen, in diese Branche kräftig zu investieren, wenn die Politik ihm nicht endlich klar sagt, dass es nie wieder einen nationalen Lockdown geben wird? Ein solches Bekenntnis der Politik brauchen wir nun. Natürlich halte ich regionale Lockdowns, wie wir sie jetzt als Folge des Falls „Tönnies“erleben, für sinnvoll. Es darf aber nie wieder das ganze Land runtergefahren werden. Und die soziale Distanz ist ohnehin problematisch.
Es macht doch medizinisch Sinn, Abstand zu Menschen in Pandemie-Zeiten zu halten.
Kopton: Trotz aller medizinischen Notwendigkeit: Mich erschreckt es immer, wenn ich auf jemanden zugehe und er geht drei Schritte zurück. Diese soziale Distanz hat längst zu einer mentalen Distanz geführt. Und die belastet nicht nur die Menschen, sondern auch die Wirtschaft.
Interview: Stefan Stahl