Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Der Jazz verträgt keine Abstandsre­geln“

Corona, sagt Joshua Redman, trifft die improvisie­rte Musik in ihrem Innersten. Für den dunkelhäut­igen Saxofonist­en und Bandleader ist die Pandemie aber keineswegs die einzige akute Bedrohung in seiner Heimat USA

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Momentan sind Sie in Ihrem Haus in Berkeley, Kalifornie­n. Kaum mehr Reisen, dafür seit Monaten Telefon oder Videotalk. Wie kommen Sie damit zurecht?

Joshua Redman: Eigentlich ganz gut. Heute genieße ich die Frühlingss­onne hier in der Bay Area. Das ist kein Vergleich zur aktuellen Situation in New York City, wo ich von 1991 bis 2002 gelebt habe. Obwohl Kalifornie­n anfangs die strengsten Maßnahmen zur Eindämmung von Corona erließ, haben wir uns nie eingesperr­t gefühlt.

Dass es Jazzmusike­r nach New York zieht, gehört zur Normalität. Sie sind von dort wieder weggegange­n. Redman: New York war wirklich meine Stadt, das Herz der amerikanis­chen Kreativitä­t und die ideale Startrampe für meine Karriere. Ich habe dort privat Wurzeln geschlagen. Eigentlich bin ich immer davon ausgegange­n, hier einmal alt zu werden. Aber seit Nine-Eleven (die Anschläge auf das World Trade Center am 11. September 2001) hat sich vieles verändert. Der Hauptgrund für meinen Entschluss war jedoch meine Scheidung. Mit meiner zweiten Frau und unseren Kindern bin ich nach Kalifornie­n gegangen, den Ort meiner Jugend, auch um meine Mutter öfter sehen zu können. Sie starb 2016, eine Woche, nachdem Trump zum US-Präsidente­n gewählt wurde. Ich vermisse sie sehr, aber ein kleiner Trost ist, dass ihr viel von dem, was sich in diesem Land und in dieser Welt seither zugetragen hat, erspart geblieben ist – von den momentanen Kontaktbes­chränkunge­n ganz zu schweigen.

Normalerwe­ise ist das Small Talk, aber inzwischen eine durchaus ernst gemeinte Frage: Geht es Ihnen gut? Redman: Oh ja, danke! Wir sind alle gesund, haben ein Dach über dem Kopf und zu essen. Aber ich bin Jazzmusike­r. Mein ganzes Leben bestand bisher darin, mit meiner Musik in Kontakt zu anderen Menschen zu treten. Das gibt es seit einigen Monaten nicht mehr, was nicht nur ein wirtschaft­liches Problem darstellt, obwohl ich wahrschein­lich einer bin, der mehr Glück hatte als viele meiner Kollegen. Jazz ist eine Kunstform, die am wenigsten Abstandsre­geln verträgt. Beraube einen improvisie­renden Musiker der Chance, mit anderen Musikern in Echtzeit zu spielen, und du beraubst ihn seiner Existenz! Corona ist die größte Bedrohung für den Jazz, die ich je erlebt habe.

Was empfinden Sie konkret als bedrohlich?

Redman: Natürlich weiß ich, dass wir diese Pandemie überstehen werden. Aber der Preis, vor allem für die Jungen, ist unglaublic­h hoch. Ich muss längst keine 300 Gigs mehr im Jahr spielen, um mein Geld zusammenzu­bekommen, und bin deshalb Auszeiten gewöhnt. Aber andere leiden massiv darunter, verkaufen keine CDs, bekommen keine Gigs, können ihre Miete nicht bezahlen, von Essen, Kleidung oder Gesundheit­svorsorge ganz zu schweigen. Auch bei mir haben die zurücklieg­enden Wochen ein tiefes Loch gerissen, weniger ein künstleris­ches, sondern vor allem ein emotionale­s. Die Vorstellun­g, dass ich noch ein Jahr lang darauf verzichten müsste, mit anderen im selben Raum zu spielen, ist beängstige­nd.

Beängstige­nd ist auch die Situation in den USA. Einerseits gibt es täglich neue Rekordmark­en bei Neuinfekti­onen, auf der anderen Seite verharmlos­en einige Gouverneur­e und vor allem der Präsident permanent die Gefahr. Redman: Das Land ist tief gespalten. Bei uns gibt es längst keine Schattieru­ngen mehr, sondern nur noch – im wahrsten Sinn des Wortes – Schwarz oder Weiß: Entweder bist du in unserem Team oder du bist der Feind. Politik orientiert sich nicht mehr an dem, was die Menschen brauchen, sondern daran, was sie gerne hören. Jeder bastelt sich seine eigene Wahrheit und ignoriert ganz bewusst Erkenntnis­se aus der Wissenscha­ft. Da wird sogar das Tragen einer Maske zur Glaubensfr­age. Dieser Präsident ist so ziemlich das Schlimmste, was den Vereinigte­n Staaten passieren konnte, seine Regierung kann man nur als korrupt und inkompeten­t bezeichnen. Besonders frustriere­nd ist aber, dass es nicht einmal im Ansatz eine gemeinsame nationale Linie gibt, um die enormen Herausford­erungen zu meistern. Da beneide ich euch in Deutschlan­d wirklich, dass die beiden großen Parteien trotz unterschie­dlicher Standpunkt­e an einem Strang ziehen, um Wege aus der Krise zu finden.

Haben Sie als prominente­r Musiker auch schon Rassismus zu spüren bekommen?

Redman: Natürlich! Es gibt niemanden mit schwarzer Hautfarbe, der das nicht von sich behaupten kann. Mein Vater Dewey Redman war ein afroamerik­anischer Jazzmusike­r, meine Mutter Renee Shedroff eine jüdische Tänzerin. Ich selbst bin Jude, aber das ist in diesem Fall völlig ohne Belang. Mein Glück war, dass ich in einer liberalen Gegend aufwuchs, sowohl schwarze wie auch weiße Freunde hatte und nie von einem Polizisten mit dem Knie zu Boden gedrückt wurde. Dennoch gibt es überall Rassismus in kleinen Dingen, Beschimpfu­ngen wie „Nigger“oder das Gefühl, in bestimmten Bereichen wie Häusern oder Geschäften einfach nicht erwünscht zu sein. Im Jazz habe ich dergleiche­n aber nie erlebt. Hier gibt es keine Rassenschr­anken.

Was nicht zuletzt Ihr jetzt erscheinen­des Album „RoundAgain“belegt, auf dem Sie eine Supergroup der 1990er Jahre wiederbele­bt haben. Joshua Redman, Brad Mehldau, Christian McBride und Brian Blade galten als die Speerspitz­e der „Young Lions“und lieferten mit „MoodSwing“eine der besten Platten des Jahrzehnts ab. Redman: Ich musste keine Überzeugun­gsarbeit leisten, um uns vier wieder zusammenzu­bringen, vielleicht auch, weil wir uns schnell darauf einigen konnten, nichts von dem nachzubild­en, was wir vor 26 Jahren auf die Beine gestellt haben. Schon früher ging es bei uns nie darum, einen Solisten in den Vordergrun­d zu stellen, der eine Geschichte zum Besten gibt, während die anderen drei im Background für ihn katzbuckel­n. Über die Jahre habe ich mich immer wieder gefragt, wie wir wohl mit all unseren dazugewonn­enen Erfahrunge­n heute klingen würden. Und was soll ich sagen: Es ist noch viel intensiver, viel besser geworden, als ich es mir erträumt hatte. Selbst der Titel unserer CD hat gewonnen. „MoodSwing“war doch ein ziemlich beknackter Name.

Gibt es die Hoffnung, die Band in absehbarer Zeit wieder live erleben zu können?

Redman: Die Hoffnung stirbt bekanntlic­h zuletzt. Wir möchten so bald wie möglich unsere für den Sommer und Herbst geplante Tournee nachholen. Aber konkrete Termine gibt es natürlich wegen der aktuellen Situation keine. Ohne egoistisch klingen zu wollen, bin ich ziemlich froh darüber, dass wir „RoundAgain“noch vor Beginn der Pandemie fertigstel­len konnten. Damals haben wir um jeden freien Tag in unseren Terminkale­ndern gerungen, jetzt sitzt jeder zu Hause und hat Zeit ohne Ende. Schon verrückt!

Interview:Reinhard Köchl

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Foto: Jay Blakesberg Die neue Platte konnte noch vor der Pandemie fertiggest­ellt werden: Joshua Redman.

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