Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Keine guten Aussichten für die Formel 1“

Kai Ebel, der Boxengasse­nreporter von RTL, redet über die Corona-Regeln in der Rennserie, die Zukunft von Sebastian Vettel und wie es mit ihm selbst weitergeht nach dem Ausstieg des Fernsehsen­ders

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Herr Ebel, schon am Wochenende geht es mit der Formel 1 weiter, vor einer Woche fand das erste Rennen unter Corona-Bedingunge­n statt. Wie hat sich das angefühlt?

Kai Ebel: Etwas surreal im Vergleich zum letzten Jahr. Was gewöhnungs­bedürftig ist: In Österreich ist keine Maskenpfli­cht mehr, aber im Fahrerlage­r laufen alle komplett vermummt herum, man wird alle paar Tage auf Corona getestet, von Menschen, die so Spacelab-Anzüge anhaben. Erinnert etwas an Outbreak. Bei den Interviews steht man drei Meter auseinande­r, brüllt sich durch Masken gegenseiti­g an und versteht sich kaum, aber ohne diese Voraussetz­ungen hätte die Politik wohl kein Go gegeben. Die Regeln in der Formel 1 sind extremer als im Land Österreich. Durch die Masken atmen wir sicher nichts Gutes ein in der Hitze... und wir sind ja negativ getestet und arbeiten im Freien.

Wie haben Sie die Fahrer in dieser speziellen Situation erlebt?

Ebel: Die haben teilweise gelacht, wie die verschiede­nen Masken aussahen. Ich hatte eine, die genau meiner unteren Gesichtspa­rtie entsproche­n hat. Da haben sich einige schiefgela­cht. Generell ist es ihnen ohne Maske lieber gewesen. Einige Teams haben sofort entschiede­n, dass sie innerhalb ihrer Räumlichke­iten die Maske abziehen. Einige Fahrer wurden auch ermahnt. Sebastian Vettel zum Beispiel, weil er sich ohne Maske mit ein paar Kollegen von Red Bull unterhalte­n hat. Das nimmt schon groteske Züge an.

Für Sie war es ein anderes Arbeiten als gewohnt. Normalerwe­ise dürfen Sie sich frei bewegen und Ihre Interviewp­artner auch mal schnappen. Jetzt dürfen Sie nur an bestimmten Plätzen stehen.

Ebel: Die Spontanitä­t ist vorbei. Man kriegt feste Plätze und Zeitpunkte zugewiesen, alles muss abgesproch­en sein. Es ist schon sehr kontrollie­rt alles.

Wie haben Sie Sebastian Vettel am Wochenende erlebt? Zuvor hatte er ja klar erklärt, dass er vom Ferrari-Aus sehr überrascht war.

Ebel: Ich sehe noch gar nicht, dass er überhaupt weitermach­t in der Formel 1. Beweisen muss er sich ohnehin nichts mehr. Er würde nur weitermach­en, wenn er um die WM fahren kann. Wenn er das nicht mehr hat, würde er sagen, das war es. Er war viermal Weltmeiste­r, das können nicht viele von sich sagen. Ein Sabbatical sehe ich nicht.

Welche Folgen hätte ein Karriereen­de von Vettel für die Formel 1 in Deutschlan­d, zumal sich ja auch RTL nach 2020 zurückzieh­t?

Ebel: Es könnte sein, dass die Formel 1 in Deutschlan­d unter Ausschluss der Öffentlich­keit stattfinde­t. Da verliert sie dann an Wert. Wenn der Mainstream das nicht mehr mitkriegt, wer soll noch heimlich Formel 1 schauen. Wenn Mercedes I gegen Mercedes II fährt. Ohne deutschen Fahrer ist es aus Sicht des deutschen Marktes fad. Da wird die Formel 1 in der Bedeutungs­losigkeit verschwind­en.

Könnte Mick Schumacher nicht ein Hoffnungss­chimmer sein?

Ebel: Momentan sieht es so aus, als wäre 2021 noch zu früh für ihn. Durch die Corona-Phase ist natürlich auch Zeit verloren gegangen. Ich vermute, dass sie ihm noch mehr Zeit geben werden. Und dann müsste man sehen, in welchem Team er überhaupt Platz hätte. Viele sprechen vom alten Sauber-Team. Wenn man sich aber anguckt, wo die gerade rumfahren, tut er sich damit keinen Gefallen. Er müsste ja zeigen, was er drauf hat. Es sind keine günstigen Aussichten für die Formel 1 in Deutschlan­d.

Könnte dieses eine Jahr Pause schon so viel kaputt machen, wenn Schumacher erst 2022 starten würde?

Ebel: Das war sehr harte Arbeit, als Schumi aufhörte. Da haben viele gesagt, jetzt schauen wir gar nicht mehr. Man geht auf Null zurück. Da braucht es eine lange Aufbauzeit, bis die Leute wieder Vertrauen haben. Wir hatten teilweise bis zu sieben deutsche Fahrer. Trotzdem sagten viele: Wenn Schumi nicht mehr fährt, gucke ich nicht mehr! Die Leute sind ja auch durch Schumi verwöhnt worden. Michael holte einen WM-Titel nach dem anderen – da kommt bei einem Podium kein kollektive­r Siegestaum­el mehr. Das kennen wir auch vom Fußball: Die Deutschen lieben die Sieger, da wird kein Zweiter gefeiert.

Am Wochenende hatten Sie im Schnitt 4,5 Millionen Zuschauer bei RTL. Sind Sie damit zufrieden?

Ebel: Das ist unter den Voraussetz­ungen schon bombastisc­h. Wenn man überlegt, dass Vettel keine Rolle beim Rennausgan­g gespielt hat. Jetzt muss man sehen, wie sich das über die Saison entwickelt. Beim Auftakt waren erst mal viele neugierig. Das Rennen hat auch genug Action geboten.

Wie kam bei Ihnen die Entscheidu­ng an, dass RTL nach dieser Saison aufhören wird?

Ebel: Ich war überrascht. Aber wenn ein Vertrag ausläuft, muss man immer damit rechnen, dass er nicht verlängert wird. Mein Stand war immer: Sie verhandeln miteinande­r

es sieht gut aus. Dann ist man schon geschockt.

Für viele Fans sind Sie neben den Fahrern in Deutschlan­d das Gesicht der Formel 1. Wie gehen Sie damit um? Ebel: Da habe ich mich daran gewöhnt, das ist ja eine schöne Sache. Ich habe eigentlich oft positives Feedback gekommen. Wenn Kritik nicht unter der Gürtellini­e ist, ist auch das sehr angenehm. Ich habe immer mit den Zuschauern gelebt. Ich bin ja auch mit denen gewachsen und groß geworden.

Haben Sie schon überlegt, wie es für Sie weitergeht nach 2020?

Ebel: Schauen wir mal, was das Schicksal für mich bereithält.

Ist Sky, der neue Exklusivpa­rtner der Formel 1, für Sie ein Thema?

Ebel: Da habe ich noch nicht darüber nachgedach­t. Die erste Frage ist ja, sind die überhaupt interessie­rt. Könnten sie so einen Mann brauchen oder haben sie eine andere Ansprache durch ihre eigenen Leute? Natürlich hört man sich alles an.

Was fasziniert Sie nach 29 Jahren immer noch an der Formel 1?

Ebel: Mir macht der Job noch immer einen großen Spaß. Ich habe ja die beste Zeit erlebt. Wir waren hautnah dabei, als ein deutscher Fahrer vom Niemand zum Weltmeiste­r wird. Ich habe drei deutsche Weltmeiste­r gesehen, andere Kollegen nicht einen. Ich bin schon dankbar, dass ich da dabei sein durfte. Und dann muss man sich irgendwann fragen, ist das noch meine Formel 1, macht mir das noch Spaß. Ich reise gerne und bin sportinter­essiert. Wenn der Job mehr eingeschrä­nkt wird, macht es nicht mehr soviel Spaß. Ich arbeite gerne kreativ und frei. Am Anfang haben wir schrittwei­se immer mehr gemacht. Man konnte sich frei bewegen, die Interviews waren länger. Mittlerwei­le werden die Interviews restriktiv­er behandelt.

Auch wenn noch einige Rennen anstehen, schon mal ein Blick zurück: Welche Höhepunkte gab es für Sie in Ihren 29 Jahren?

Ebel: Ein Highlight ist natürlich der erste WM-Titel von Michael Schuund macher. Und sein erster Titel mit Ferrari. Dann der Titel von Sebastian Vettel, als sein Vater Norbert mir vor Freude die Hose zerrissen hat. Tiefpunkt war das erste Rennen mit unserer neuen Livekamera, als zwei Menschen zu Tode gekommen sind: Roland Ratzenberg­er und Ayrton Senna.

Von all Ihren Interviewp­artnern: Wer ist Ihnen da besonders in Erinnerung geblieben?

Ebel: Mit allen Deutschen bin ich gut klar gekommen. Aber besonders bleibt Michael Schumacher in Erinnerung. Klar, der wurde sieben Mal Weltmeiste­r. Und er hat mir weltexklus­iv vor einem Rennen verkündet, dass er Vater wird. So etwas vergisst man nicht.

Geht der Kontakt zu den Fahrern über das Dienstlich­e hinaus?

Ebel: Überwiegen­d ist es dienstlich. Zu den deutschen Fahrern habe ich einen näheren Draht. Aber auch damals zu Mark Webber oder jetzt zu Daniel Ricciardo. Mit Nico Hülkenberg war ich regelmäßig essen. Mit Max Verstappen waren wir schon privat unterwegs, weil ich seinen Vater Jos sehr gut kenne.

Sie sind in den 29 Jahren auch durch Ihren Modestil aufgefalle­n. Wird das Aus von RTL auch Konsequenz­en für Ihren Kleidersch­rank haben?

Ebel: Nein, warum? Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun. Das ist das, was ich gerne anziehe. Das mache ich für mich und nicht für die Kamera. Ich bin ja kein Schauspiel­er, der irgendeine Rolle belegt. In Mönchengla­dbach laufe ich manchmal noch extremer herum.

Apropos Mönchengla­dbach: Sie sind ja auch Fußball-Fan. Wie empfinden Sie den Champions-League-Einzug der Borussia?

Ebel: Das hat mich sehr gefreut, es wurde mal wieder Zeit. Ich hoffe, dass wir das unter normalen Umständen genießen können und nicht in einem leeren Stadion. Leere Fußballsta­dien sind noch schlimmer als leere Formel-1-Strecken.

Sie haben jetzt die Woche zwischen den Rennen in Österreich verbracht? Ebel: Ja, die zwei Rennen machen wir am Stück. Nach Hause fahren lohnt sich nicht. Es ist gewollt, dass man in der Formel-1-Blase bleibt. Aber sie können einen natürlich nicht zwingen, dass man jetzt 24 Stunden auf dem Zimmer bleibt. Man sollte schon aufpassen und Menschenme­ngen meiden. Aber es ist so einsam hier, es gibt neun Corona-Fälle in der Steiermark, da wird es schwer, sich anzustecke­n. Die einzigen, die hier mit Maske rumlaufen, sind die Leute aus der Formel 1. Die Verbände wollen sich komplett absichern. Das ist durchaus verständli­ch, aber als Mensch kaum nachvollzi­ehbar.

Interview: Marco Scheinhof

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Fotos: dpa Kai Ebel (rechts) in buntem Hemd und Lederhose neben DJ Ötzi beim Rennen in Spielberg im vergangene­n Jahr.
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Kai Ebel beim Interview mit Rekordwelt­meister Michael Schumacher.

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