Augsburger Allgemeine (Land Nord)
IHK: „Es wird hart“
Online-Konkurrenz und Corona-Krise setzen den Einzelhändlern in den Orten zu. Das zeigt jetzt ein aktuelles Gutachten am Beispiel Gersthofen. Doch es gibt Rezepte für die Zukunft
Online-Konkurrenz und CoronaKrise setzen den Einzelhändlern in den Orten zu. Das zeigt jetzt ein aktuelles Gutachten am Beispiel Gersthofen.
Landkreis Augsburg/Gersthofen In Graben investiert der Online-Riese Amazon in die Verdreifachung seines Versandlagers 150 Millionen Euro. In Untermeitingen steht im Lechpark ein ganzes Einkaufszentrum leer. Und in Gersthofen kreist die Diskussion über eine bessere Innenstadt seit einem Jahrzehnt um ein Loch, das dabei immerhin beträchtlich an Wert gewonnen hat.
Drei Beispiele, ein
Thema: Der Handel steckt mitten in einem tief greifenden Wandel, und das hat Folgen für die Zentren von Märkten und Städten im Augsburger Land.
Die Faktoren, die den alteingesessenen Händlern das Leben schwer machen, seien überall ähnlich, sagt Einzelhandelsexpertin Franziska Behrenz von der Industrieund Handelskammer (IHK). Da sei einmal die Nachfolgefrage: Findet sich wer, der das Geschäft fortführen mag, bei der schon bestehenden Konkurrenz auf der grünen Wiese und der immer weiter wachsenden Wettbewerbern aus dem Internet? Behrenz: „Kaum einer geht heute noch in die Innenstadt und sucht dort, was er braucht. Jeder googelt.“Der aus dieser Entwicklung resultierende Schwund an Geschäften mache sich in kleinen Städten schneller bemerkbar als in großen Orten wie Augsburg. Vorhanden sei dieser Trend dort aber auch.
Für Gersthofen gibt es aktuelle Zahlen. Seit 2008 verlor die zweitgrößte Stadt des Landkreises trotz eines spürbaren Bevölkerungswachstums 15 Prozent der Einzelhändler und 14 Prozent der Verkaufsfläche. Die Zahl der Leerstände hat sich von drei auf neun verdreifacht, die Wettbewerbsfähigkeit der Geschäfte sei „eher mäßig“, urteilt das Münchner Beratungsunternehmen Cima in einer Untersuchung im Auftrag der Stadt Gersthofen. Die aktuelle Corona-Krise werde den Negativtrend noch verschärfen.
Anlass für diesen „Fitnesstest“für die Innenstadt sind die schon
gehegten Überlegungen, den Stadtkern gründlich aufzumöbeln. Zentraler Hebel soll dabei die Umgestaltung des Lochs zu einem Park mit Gastro-Betrieben sowie eine Verkehrsberuhigung in der Bahnhofstraße werden, die den künftigen Park und den zentralen Rathausplatz trennt.
Gersthofens Stadtkern soll einen Mix aus Einkaufsmöglichkeiten, Gastro, Dienstleistern, Kultur und Freizeit bieten und so zum Verweilen einladen. Geht es dagegen weiter wie bisher, werde der Stadtkern weiter an Bedeutung verlieren, warnen die Cima-Gutachter. Sie sprechen vom „zeitnahen Risiko eines erheblichen Funktionsverlustes“.
IHK-Expertin Behrenz drückt es direkter aus: „Es wird hart für die Innenstadt“, und das gelte nicht nur für Gersthofen. Viele Orte in Schwaben hätten ähnliche Probleme: Der Ortskern, als gute Stube der Kommune konzipiert, droht zur Problemzone zu werden. Behrenz rät deshalb zu einem aufwendigen Pflegeprogramm. Die Händler müssten den Einkauf in ihren Geschäften zum Erlebnis machen: Zur Buchvorstellung gibt es leckeren Wein, der Schuhladen erklärt, wie man die edlen Treter richtig pflegt. Klingt alles nach viel Aufwand und hat einen Zweck: sich einen Stamm treuer Kunden zu schaffen, die gerne zum Einkauf kommen. Und natürlich müsse man auch im Internet vertreten sein. Einfach die Waren ins Schaufenster zu stellen, das reiche nicht mehr, sagt Behrenz.
Genauso, wie eine lose Ansammlung von Geschäften noch keine funktionierende Innenstadt ergibt. Gastronomisches Angebot, Parkplätze, Nahverkehr, Ruhezonen und eine ansprechende Gestaltung. Alles müsse Hand in Hand gehen, und das sei unterm Strich eine „riesige Herausforderung“. Zumal es nach Ansicht der IHK-Expertin damit immer noch nicht getan ist.
Größere Städte sollten sich einen City-Manager leisten, der als Bindelange glied zwischen Gastronomen, Geschäftsleuten und Verwaltung fungiert und nicht zuletzt dafür sorgt, dass die Stadtkerne mit Veranstaltungen belebt werden. Denn in Zeiten, in denen verkaufsoffene Sonntage längst keine Selbstläufer mehr sind, seien Ideen und neue Ansätze gefragt, sagt Behrenz.
Das gilt auch für den Geschäftsmix. Galten früher einmal Kaufhäuser in zentraler Lage als Kundenmagnet, müssen die Ortskerne heute auf Anbieter bauen, die sich auch in den Fachmarktzentren auf der grünen Wiese tummeln. Gut sortierte Supermärkte und Drogeriemärkte zögen die Kundschaft noch in Scharen an, sagen die Experten. Beispiel Gersthofen: Im dortigen Einkaufszentrum City-Center hatte bei einer Befragung rund die Hälfte der Besucher die dortige Drogerie zum Ziel.
Von der guten Stube zur Problemzone
Weitere Berichte Unter dem Motto „Wandel im Handel“beleuchten wird in den kommenden Wochen in einer losen Folge die Geschäftswelt in den größeren Orten im Augsburger Land.