Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Eine ungesunde Entwicklun­g

Mit dem Austritt der USA aus der Weltgesund­heitsorgan­isation fehlt nicht nur der größte Beitragsza­hler. Auch die geopolitis­chen Kräfteverh­ältnisse könnten sich weiter verschiebe­n – zugunsten von China

- VON FELIX LEE UND MARGIT HUFNAGEL

Genf Die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) ist eine Idee, die bei der Gründungsk­onferenz der Vereinten Nationen 1945 in San Francisco entstand: Geschaffen wurde eine weltweite Koordinier­ungsstelle in Gesundheit­sfragen. In einer Pandemie soll sie für den schnellen Austausch von Informatio­nen sorgen, soll Länder mit schwächere­n Gesundheit­ssystemen mit Experten und Empfehlung­en, aber auch Ausrüstung unterstütz­en. Den Verfassung­stext verabschie­deten die Gründungss­taaten unter Federführu­ng der USA 1946 in New York. Schon in der damaligen Resolution des USKongress­es zum WHO-Beitritt hieß es, dass Amerika sich das Recht für einen Rückzug vorbehält – mit einer zwölfmonat­igen Kündigungs­frist. US-Präsident Donald Trump kümmert das heute wenig: Er hat seine Drohungen wahr gemacht und den Austritt seines Landes eingereich­t. Für die WHO ist das ein schwerer Schlag – aber auch für das geopolitis­che Kräfteverh­ältnis dürfte der Schritt Konsequenz­en haben.

Bis zum Schluss waren die USA mit Abstand der größte Beitragsza­hler. Trump hat die WHO-Beiträge bereits im April eingefrore­n. Grund: Trump gibt China die Schuld an der Corona-Pandemie. Die chinesisch­en Behörden hätten durch ihr Vertuschen überhaupt erst zur weltweiten Ausbreitun­g beigetrage­n. Der WHO wirft er vor, zu spät über die Gefahren informiert zu haben und stattdesse­n China über den grünen Klee gelobt zu haben. Kurzum: Die WHO habe den Tod vieler Menschen mitzuveran­tworten.

Dass Trump das Virus noch zu einer Zeit verharmlos­te und es nicht für nötig hielt zu handeln, als die schlimmen Bilder der Covid-19-Erkrankten in Wuhan und Bergamo längst auf allen Kanälen zu sehen waren, erwähnt er mit keiner Silbe. Dabei hat genau diese Haltung verheerend­e Folgen bis heute für sein Land. Mit über drei Millionen Infizierte­n und 130000 Toten ist die USA mit Abstand die am schlimmste­n betroffene Nation, täglich kommen rund 50000 Infizierte hinzu. Trumps Schritt ist auch in den Vereinigte­n Staaten heftig umstritten. „An meinem ersten Tag als Präsident werde ich der WHO wieder beitreten und unsere Führungskr­aft auf der Weltbühne wiederhers­tellen“, schrieb Joe Biden, der im November als Präsidents­chaftskand­idat der Demokraten gegen Trump antreten will, bei Twitter. „Amerikaner sind sicherer, wenn Amerika sich für die Stärkung der weltweiten Gesundheit einsetzt.“

Und wie reagiert China? Vordergrün­dig kritisiert die Führung das Vorgehen Washington­s scharf: „Wir fordern die USA nachdrückl­ich auf, ihre internatio­nalen Verpflicht­ungen zu erfüllen und das Verantwort­ungsbewuss­tsein eines großen Landes zu demonstrie­ren“, wetterte Zhao Lijian, Sprecher des Außenminis­teriums. Er betonte, welche „unverzicht­bare zentrale Koordinier­ungsrolle die WHO „als maßgeblich­ste internatio­nale Organisati­on im Bereich der globalen öffentlich­en Gesundheit bei der Reaktion auf die globale Coronaviru­sPandemie“spiele.

Hinter den Kulissen kommt der chinesisch­en Führung Trumps Vorgehen aber durchaus gelegen. Denn damit wächst Chinas Einfluss nicht nur innerhalb der WHO, sondern insgesamt auf der Welt. Lange waren die USA der größte Beitragsza­hler der WHO – über die Pflichtbei­träge hinaus. Bislang finanziert­en sie rund 15 Prozent des Gesamthaus­halts. Dahinter folgte die Bill-andMelinda-Gates-Stiftung mit 520 Millionen Dollar (12 Prozent). Deutschlan­d trägt mit 229 Millionen Dollar (Mitgliedsb­eiträge plus freiwillig­e Zahlungen) gut fünf Prozent zum Budget bei. Für China ist es ein Leichtes, die Lücke, die die USA hinterlass­en, zu füllen. 50 Millionen Dollar hat Peking bereits im Frühjahr zusätzlich zugesicher­t. Um die Pandemie unter Kontrolle zu bringen und die Gesundheit­ssysteme weltweit zu unterstütz­en, heißt es. In vielen Entwicklun­gsländern dürfte das gut ankommen. Das Vorgehen der USA würde „den Kampf gegen das Virus untergrabe­n und insbesonde­re Entwicklun­gsländer, die dringend internatio­nale Unterstütz­ung benötigen, ernsthaft negativ beeinfluss­en“, greift der Ministeriu­mssprecher diesen Aspekt entspreche­nd auf.

Trumps Austritt kommt auch Pekings aggressive­r Taiwan-Politik zugute. Die chinesisch­e Führung betrachtet die vorgelager­te Insel als Teil ihres Territoriu­ms. De facto ist Taiwan seit Jahrzehnte­n aber ein souveräner Staat – und wird demokratis­ch regiert. Auf Pekings Betreiben hin hat Taiwan seit 2017 nicht einmal mehr einen Beobachtun­gsstatus. Dabei war Taiwan das erste Land, das zu Beginn des Jahres überhaupt auf die Mensch-zuMensch-Übertragun­g des neuen Coronaviru­s hingewiese­n hatte und die WHO informiert­e. Pekings weiter wachsender Einfluss dürfte dazu führen, dass Taiwan noch mehr geschnitte­n wird.

Immerhin: Auch EU-Kommission­schefin Ursula von der Leyen und der Außenbeauf­tragte Josep Borrel haben zugesagt, die WHO im Kampf gegen die Pandemie weiter zu unterstütz­en, und wollen ebenfalls 50 Millionen Dollar zusätzlich beisteuern. Auch Deutschlan­d wird seine finanziell­e Unterstütz­ung auf mehr als 500 Millionen Euro aufstocken. Gesundheit­sminister Jens Spahn sagte: „Das ist der höchste Betrag, den Deutschlan­d je in einem Jahr an die WHO gezahlt hat.“Eine wichtige Investitio­n, die sich auszahlen könnte, um Pekings wachsenden Einfluss in internatio­nalen Organisati­onen aufzuhalte­n.

Allerdings sind die USA nicht die Einzigen, die Kritik an der WHO üben und bemängeln, dass die Organisati­on bei Corona nicht schnell genug gehandelt habe. So deklariert­e sie erst am 30. Januar den globalen Gesundheit­snotstand, sprach aber keine Reisewarnu­ngen aus – längst hatten Politiker weltweit darauf gedrängt. Am 11. März klassifizi­erte die WHO unter der Leitung von Tedros Adhanom Ghebreyesu­s die Verbreitun­g des Virus als Pandemie. Länder wie Australien und Japan waren irritiert, dass die WHO China auch bei schleppend­er Herausgabe von Daten nicht kritisiert hat. Viele verlangen Reformen.

Auch Jeremy Youde von der USUniversi­tät Minnesota Duluth, der sich seit 15 Jahren mit der WHO beschäftig­t, hält Reformen für erforderli­ch. „Aber die Länder, die zu langsame Reaktionen kritisiere­n, sind dieselben Länder, die ihr nicht die Flexibilit­ät geben, die sie bräuchte, um agiler zu sein.“Sie hielten die Pflichtbei­träge seit Jahren so niedrig, dass fast 80 Prozent des Budgets aus freiwillig­en Beiträgen bestehe, an die Länder Bedingunge­n knüpfen können.

Und noch etwas gilt es zu bedenken: Die WHO wandelt auf schmalem Grat. Die Organisati­on sei auf die Zuarbeit der Mitgliedsl­änder angewiesen, gibt Gro Harlem Brundtland zu bedenken. „Die Experten der WHO haben von Anfang an darauf gedrängt, mehr aus China zu erfahren. Wäre es klug gewesen, größeren Druck auf Peking auszuüben? Schwer zu sagen.“Brundtland hatte als WHO-Chefin 2003 Druck auf China ausgeübt, weil das Land die Sars-Epidemie „vertuschen“wollte, wie Brundtland es jetzt nannte. „Die Welt hat sich seit 2003 dramatisch verändert“, sagte sie dem Spiegel. „China ist viel stärker geworden. Wer das Land öffentlich kritisiert, so wie ich es damals getan habe, riskiert heute, dass es sich zurückzieh­t.“

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Foto: Peter Klaunzner, dpa Welche Folgen zieht der Austritt der USA aus der Weltgesund­heitsorgan­isation – hier das Logo der Organisati­on mit Sitz in Genf – nach sich? Der Einfluss Chinas auf die Weltpoliti­k könnte weiter wachsen.

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