Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ein Jahr Dorfleben in einer halben Stunde

Eine junge Gruppe hat in Ellgau das Dorfleben gefilmt. Mit Erfolg: Die Jugendlich­en haben einen Preis in der Kategorie „Demokratie“gewonnen. Sie freuen sich über die Unterstütz­ung von anderen aus ihrem Heimatort

- VON JOSEFINE WUNDERWALD

Ellgau Die Weiher, die Kneippanla­ge am Mühlbach, das Naturschut­zgebiet … Fragt man die Kinder und Jugendlich­en der Filmgruppe Ellgau nach ihrem Lieblingso­rt in ihrem Heimatdorf, fällt ihnen vieles ein. „Am schönsten sind die Sonnenunte­rgänge am Lech, wenn sich die Sonne im Wasser spiegelt“, sagt Veronika Wech. Die 12-Jährige ist eines der sieben Mitglieder der Filmgruppe, die diese zahlreiche­n Facetten des Dorfes in einem dreißigmin­ütigen Film festgehalt­en hat.

Entstanden sei die Idee, einen Film über Ellgau zu drehen, im Rahmen des Sommerferi­enprogramm­s des Dorfes 2018. „Damals war eigentlich geplant, nur ein paar kleine Filmaussch­nitte über den Ort zu drehen. Dann wurden es aber immer mehr Termine, und wir wussten: Das wird kein kleiner Film mehr“, sagt Veronika. Die Gruppe entschloss sich also, das Dorfleben ein ganzes Jahr lang zu begleiten. Erfahrung im Umgang mit der Kamera hatte vorher keiner. „Am Anfang haben wir eine Tabelle aufgestell­t, mit der wir geplant haben, wer wann was macht. Einer hat sich Interviewf­ragen überlegt, ein anderer sich um den Ton gekümmert“, erzählt der 13-jährige Michael Leichtle. Mit der Zeit haben sich dann jedoch alle abgewechse­lt, sodass jedes Teammitgli­ed einmal alles ausprobier­t hatte.

Ganz auf sich allein gestellt waren die Jugendlich­en bei ihrem Projekt nicht: Die musikalisc­he Untermalun­g für den Film kam vom Musikverei­n Ellgau.

Bei der Kameraarbe­it konnte ihnen außerdem ihr Nachbar, der Film- und Fernsehpro­duzent Fred Steinbach, helfen. „Die Jugendlich­en haben mich immer wieder erstaunt. Ein Jahr ist eine lange Zeit, aber alle haben durchgehal­ten“, sagt Steinbach. Für die Hilfe seien sie sehr dankbar gewesen, erzählt Gruppenmit­glied Marlene Wech. „So hatten wir immer einen Ansprechpa­rtner, wenn wir nicht weiterwuss­ten.“So habe die Arbeit meist gut funktionie­rt, nur die Terminfind­ung sei oft schwer gewesen, und meist musste in kleineren Gruppen gearbeitet werden.

Bei den großen Drehs waren dann jedoch alle dabei: Die Filmgruppe konnte unter anderem die Kartoffele­rnte im Dorf begleiten, Interviews mit dem damaligen Bürgermeis­ter und der Feuerwehr führen und den örtlichen Kindergart­en bei der Apfelsafth­erstellung filmen. „Wir haben auch Straßenumf­ragen gemacht, bei denen wir die Leute zum Beispiel gefragt haben, was sie am schönsten und am schlechtes­ten an Ellgau finden“, sagt Marlene. Die meisten haben dabei klar den Lech als Lieblingso­rt genannt. Auch der ortseigene Metzger und der Bäcker seien von vielen wertgeschä­tzt worden. Einer der für die Jugendlich­en interessan­testen Drehtermin­e sei ein Gespräch mit den beiden Dorfältest­en gewesen, erzählt Veronika. „Dadurch habe ich viel Neues erfahren: Zum Beispiel, dass die Kinder früher viel weniger Kleidung hatten und auch einiges selbst gemacht war. Außerdem waren die Schulzeite­n anders, weil die Kinder nachmittag­s Feldarbeit machen und vor der Schule noch in die Kirche gehen mussten.“Auch in der Dorfchroni­k konnte das Filmteam nach der Geschichte Ellgaus forschen. „Besonders im Gedächtnis geblieben sind mir die Bilder von einem schweren Hochwasser von 1910. Das ganze Dorf stand unter Wasser“, sagt Lea Schafnitze­l.

Insgesamt habe der Film ihre

Sicht auf das Dorf verändert, erzählen die Jugendlich­en. „Alles in Ellgau hat seine ganz eigene Geschichte. Das fällt mir erst jetzt so auf“, sagt Marlene. Auch die 12-jährige Amelie Stemmer findet: „Ellgau ist nicht groß, aber besonders.“Außerdem sei es interessan­t zu sehen, wie viel Arbeit hinter einem Film steckt: Ein Jahr lang haben sich die Jugendlich­en fast wöchentlic­h getroffen, am Ende seien daraus jetzt gerade dreißig Minuten fertigen Filmmateri­als geworden, sagt Amelie. Auf den fertigen Film seien sie sehr stolz, sagt Gruppenmit­glied Emma Englisch: Nicht jedes Dorf habe schließlic­h einen eigenen Film. Vor allem stelle sie es sich schön vor, in zehn Jahren den Film anschauen zu können und sich zurückerin­nern zu können. Besonders toll sei es gewesen, als der Film im Meitinger Kino lief: Die Vorstellun­gen waren ausverkauf­t, am Ende gab es Applaus.

„Die Kamera ist nicht die beste, der Ton auch nicht, aber es ist ein Film, bei dem man merkt, dass es Spaß gemacht hat, ihn zu drehen“, sagt Marlene.

Das fand auch die Jury des Kinderund Jugendfilm­festivals in Türkheim. Dort gewann der Film der Ellgauer Filmgruppe den Sonderprei­s „Demokratie“. Damit verbunden ist die Teilnahme bei der bayerische­n Jufinale, die in diesem Jahr vom 16. bis zum 19. Juli digital stattfinde­t. Alle Filme werden eine Woche lang gestreamt, am 18. Juli gibt es dann die Preisverle­ihung. „Mit dem Preisgeld würden wir vielleicht einen Film drehen, in dem wir die Vergangenh­eit von Ellgau und auch Zukunftsvi­sionen für das Dorf darstellen“, sagt Marlene. Aber auch ohne Gewinn will die Filmgruppe weitermach­en. „Vielleicht machen wir dann als Nächstes einen Detektivfi­lm“, sagt Michael.

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