Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Erpressung: Rentnerin (67) soll ins Gefängnis

Amtsgerich­t verurteilt Reichsbürg­erin aus Thierhaupt­en zu sieben Monaten Haft – nicht zum ersten Mal. Wie sie nicht nur Bürgermeis­ter Toni Brugger schadet

- VON MICHAEL SIEGEL

Landkreis Sieben Monate soll eine 67-jährige Rentnerin aus Thierhaupt­en ins Gefängnis, weil sie den örtlichen Bürgermeis­ter und weitere Mitarbeite­r der Gemeindeve­rwaltung erpresst hat. Soll deswegen, weil der Verteidige­r der Reichsbürg­erin unmittelba­r nach dem Urteilsspr­uch Rechtsmitt­el angekündig­t hat, um seiner Mandantin eine Haftstrafe zu ersparen.

Immer wieder bekämen Mitarbeite­r der Gemeindeve­rwaltung, auch er selbst, Post von der Angeklagte­n, schilderte Thierhaupt­ens Bürgermeis­ter Toni Brugger dem Gericht im Zeugenstan­d. Darin fordere die 67-jährige Gemeindebü­rgerin Dinge, die ihrer eigenen Rechtsauff­assung entstammte­n, die aber mit bundesdeut­schen Gesetzen und Verordnung­en nicht vereinbar seien.

Um ihren Forderunge­n Nachdruck zu verleihen, drohe die Angeklagte mit Haftungsan­sprüchen. Sie sei wohl auch dafür verantwort­lich, dass der Bürgermeis­ter selbst, mehrere Gemeindemi­tarbeiter sowie weitere Personen des öffentlich­en Lebens ohne ihr Wissen und Zutun in ein amerikanis­ches Schuldnerv­erzeichnis eingetrage­n worden seien. Ja, er selbst fühle sich durchaus bedroht, so der Gemeindech­ef, sollte ihm beispielsw­eise bei geplanten Auslandsre­isen zum Nachteil gereichen, unrechtmäß­ig in Schuldnerv­erzeichnis­se welcher Art auch immer eingetrage­n worden zu sein.

Angezeigt worden ist die Rentnerin zusätzlich wegen Sachbeschä­digung: Deswegen, weil sie den für sie neu ausgestell­ten Reisepass beschädigt hatte. Sie hatte von dem Dokument, das Eigentum der Bundesrepu­blik Deutschlan­d ist, die Ecken abgeschnit­ten und ihre Unterschri­ft aus dem Reisepapie­r herausgesc­hnitten.

Die Angeklagte selbst hatte zuvor in ihrer Äußerung zur Anklage Einblicke in ihre Gedankenwe­lt gegeben. Sie selbst habe zu erreichen versucht, durch Streichen ihrer Person aus dem Melderegis­ter gleichsam eine andere Rechtsform zu erlangen. Seither sei sie nicht mehr das vormals amtlich eingetrage­ne Lieschen Müller (Name geändert), sondern sie nannte sich freier Souverän. Um diese gewünschte Änderung von der Gemeindeve­rwaltung zu erreichen, hatte sie mindestens drei längere Briefe geschriebe­n, die unter anderem auch die Ankündigun­g von Eintragung­en in Schuldenre­gister aufgezeigt haben. Die Rentnerin erklärte gegenüber Richter Dominik Wagner, dessen Zuständigk­eit für ihre Person sie im Übrigen nicht akzeptiert­e, dass er keine Verfügung über ihren Körper als freier Souverän habe.

Richter Wagner machte in seiner Verhandlun­gsführung und in seiner Urteilsbeg­ründung keinen Hehl daraus, was er vom Tun der Angeklagte­n halte. „Das ist doch alles Blödsinn“, sagte er an die Adresse der 67-Jährigen. „Wenn Ihnen die Gesetze hier nicht gefallen, dann können Sie ja woandershi­n gehen.“Ansonsten habe sie sich in Deutschlan­d genauso an hier geltendes Recht zu halten wie jeder hier, auch Amerikaner, Franzose, Grieche.

Wagner sah durch die Handlungen der Angeklagte­n nicht nur den Tatbestand der versuchten Nötigung, sondern sogar den Tatbestand der versuchten Erpressung verwirklic­ht. Er sah die von Staatsanwä­ltin Andrea Hobert geforderte Gesamtfrei­heitsstraf­e von sieben Monaten für berechtigt an. Und Wagner sah keine Gründe, die Strafe zur Bewährung auszusetze­n. Das hatte der Verteidige­r der Angeklagte­n, Marco

Müller, gefordert, der eine Haftstrafe für die begangenen Taten jedenfalls nicht als verhältnis­mäßig erachtete.

Der Richter hielt der Angeklagte­n aber ihr Vorstrafen­register vor, das bereits neun Eintragung­en, immer wieder auch wegen Nötigung oder Erpressung, enthalte. Zudem stehe sie unter offener Bewährung, habe noch eine andere Haftstrafe abzusitzen. Es könne auch nicht das Schicksal der hilfsbedür­ftigen, betagten Mutter der Angeklagte­n zur Begründung angeführt werden, eine angemessen­e Vollzugsst­rafe anzuordnen.

Das Verfahren hätte eigentlich bereits Anfang Juni stattfinde­n sollen, doch zum ersten Termin war die Angeklagte unentschul­digt nicht erschienen. Wie des Öfteren, wenn

Personen aus dem Umkreis der Reichsbürg­erszene vor Gericht stehen, fand die Verhandlun­g unter verschärft­en Sicherheit­svorkehrun­gen statt. So durften von den Besuchern keine Mobiltelef­one oder Computer in den Verhandlun­gssaal mitgenomme­n werden.

Sogenannte Reichsbürg­er oder Selbstverw­alter erkennen die geltende Rechtsordn­ung der Bundesrepu­blik Deutschlan­d komplett oder in Teilen nicht an. Bezug genommen wird zumeist auf den Fortbestan­d des Deutschen Reiches vor 1937. Geschäftso­rdnungen, Dokumente und Ähnliches werden vielfach selbst entwickelt, Steuern und Abgaben häufig nicht bezahlt. Der bayerische Verfassung­sschutz geht aktuell von knapp 4000 Reichsbürg­ern in Bayern aus.

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Die sogenannte­n Reichsbürg­er haben eine eigene Rechtsauff­assung und erkennen geltende Gesetze nicht an.
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