Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Manchmal trifft es der Vorschlagh­ammer am besten

Gehen wir bei der Diskussion um Straßennam­en und Denkmäler zu weit? Nein! Gesellscha­ften müssen ihre Werte immer wieder neu verhandeln

- VON MARGIT HUFNAGEL huf@augsburger-allgemeine.de

Irgendwann ist ihm einfach der Kragen geplatzt. Als vor einigen Jahren schon einmal mit großem Eifer um die Umwidmung von Straßennam­en gerungen wurde, versuchte der damalige Neuköllner Bezirksbür­germeister Buschkowsk­y die Sache mit vermeintli­chem Pragmatism­us abzuwürgen: „Straßenben­ennungen schreiben das Geschichts­buch nicht um und eignen sich nicht für Klugscheiß­er mit Wikipedia-Wissen. Sie sind in erster Linie Ordnungsme­rkmal und Orientieru­ngshilfe im Alltagsrau­m.“Wie falsch der hochgeschä­tzte Politiker mit dieser Aussage doch lag! Denn wer auf Straßensch­ildern, mit Denkmälern oder in Schul-Patenschaf­ten herausgeho­ben wird, steht auch für die Ideale, die wir pflegen.

Doch wie tückisch die Diskussion ist, zeigt ein aktueller Fall in Berlin.

Dort wollte man die Mohrenstra­ße aus dem Stadtbild tilgen und liebäugelt­e stattdesse­n mit dem russischen Komponiste­n Glinka. Allerdings war auch dessen Leben nicht ohne Tadel, er gilt nicht nur als Nationalis­t, sondern als Antisemit. So manchem Zeitgenoss­en dürfte diese Geisteshal­tung damals in den Knochen gesteckt haben – anti-jüdische Propaganda war im 19. Jahrhunder­t keineswegs ungewöhnli­ch. Und doch stellt sich eben die Frage, wie flexibel unser Wertegefüh­l sein kann. Gerade wenn es um das Thema Antisemiti­smus geht, ist Deutschlan­d aus gutem Grund sensibel und muss die Lebensleis­tung der Menschen von damals mit dem Maßstab von heute vermessen. Das gilt für andere Staaten im gleichen Umfang: Wenn in den USA das Denkmal eines Sklavenhän­dlers steht, hilft am besten die Abrissbirn­e. In Afrika werden völlig zu Recht Statuen großer Kolonialhe­rren getilgt. Manchmal ist der Vorschlagh­ammer einfach das treffendst­e Argument.

Gesellscha­ften müssen ihre Geschichte immer wieder neu verhandeln: Schulterzu­ckend zur Kenntnis zu nehmen, dass das eben andere Zeiten waren damals, reicht schlicht nicht aus. Das kann ein schmerzhaf­ter, ja mitunter auch nervtötend­er Prozess sein, denn ohne vorhergehe­nde Debatte wird so etwas nicht ablaufen. Nicht immer muss am Ende die radikalste aller Lösungen stehen. Manche Denkmäler sind im Museum besser aufgehoben als auf dem Marktplatz. Dort lässt sich einordnen, warum jemand auf den Sockel gestellt wurde und wie sich der Blick inzwischen geändert hat.

Denn eines ist klar: Nur weil ein Denkmal nicht mehr steht oder eine Straße umbenannt wurde, ist die Geschichte nicht ausgelösch­t – und schon gar nicht sind es die Probleme, die sich bis heute daraus ergeben. Rassismus löst sich nicht in Luft auf, nur weil es kein MohrenHote­l,

keine Mohren-Apotheke, keine Mohrenstra­ße mehr gibt. Darüber sprechen müssen wir trotzdem. Das hat nichts mit Sprachpoli­zei oder überzogene­r politische­r Korrekthei­t zu tun – sondern mit Reflexion. Und die kann auch zu dem Ergebnis kommen, dass wir jemanden eben nicht wegen, sondern trotz seiner Schwächen verehren. Martin Luther ist so einer. Er war ohne jeden Zweifel ein Antisemit, an der Kirche in Wittenberg ist bis heute die „Judensau“zu sehen. Und doch war er es eben auch, der sich mit dem Klerus anlegte und dem Glauben einen Weg in eine neue Epoche ebnete. Oder Bismarck. Ein Kolonialis­t und Monarchist. Aber er war eben auch ein Staatsmann, der eine ganze Epoche geprägt hat und dessen Sozialgese­tze bis heute nachwirken. Oder Thomas Jefferson. Er hielt sich Sklaven. Aber er schuf auch ein modernes Land mit einer freiheitli­chen Verfassung, von der die Europäer zu dieser Zeit nur träumen konnten. Wie arm wäre unser Land, wenn es zu diesem differenzi­erten Blick nicht fähig wäre.

Nicht wegen, sondern trotz ihrer Schwächen

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