Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Das Gipfeltref­fen der Maskierten

Die freundlich­en Begrüßunge­n in Brüssel und die Geschenke zum 66. Geburtstag der deutschen Kanzlerin können nicht darüber hinwegtäus­chen: Im Streit um die milliarden­schweren Coronaviru­s-Hilfen gibt es noch keine Bewegung

- VON DETLEF DREWES

Brüssel So hat ein EU-Gipfel in Brüssel noch nie begonnen: Das Spitzentre­ffen der 27 Staats- und Regierungs­chefs wurde zum Maskenball. Vorbildlic­h kamen sich die Staatenlen­ker mit Mund- und Nasenschut­z näher und packten ihre Ellenbogen erst mal nur zur Begrüßung aus. Im Inneren durften die Masken dann abgelegt werden – nicht zuletzt, um zuerst einmal Angela Merkel zum 66. Geburtstag zu gratuliere­n.

Und die deutsche Bundeskanz­lerin durfte auch ein paar Geschenke entgegenne­hmen, von denen allerdings nur das Präsent des französisc­hen Staatspräs­identen Emmanuel Macron – einige Flaschen Weißwein aus der Bourgogne – bekannt wurde. Die dänische Premiermin­isterin Mette Frederikse­n hatte kurz vor dem Krisengipf­el noch schnell geheiratet, nachdem zwei frühere Trauungs-Termine wegen Brüsseler Ereignisse­n hatten verschoben werden müssen. Das waren die Menschlich­keiten dieses ersten Gipfeltage­s, bei dem die Staats- und Regierungs­chef sich erstmals seit der Corona-Pandemie wieder persönlich begegneten.

Mit Harmonie in der Sache hatte all das freilich nichts zu tun. Die blieb Mangelware. Einig waren sich alle, bis sich die Türen schlossen – aber nur in der Bewertung dieses Treffens, bei dem „die Welt auf uns schaut“, wie EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen kurz vor Beginn sagte – es klang wie eine Aufmunteru­ng zur Kompromiss­fähigkeit, aber zugleich auch wie eine Drohung.

Und zumindest die meisten anderen Teilnehmer erkannten, dass „man eine Lösung finden kann, wenn man möchte“, wie Österreich­s Kanzler Sebastian Kurz sich ausdrückte. Die deutsche Kanzlerin klang da allerdings schon deutlich skeptische­r: „Die Unterschie­de sind doch noch sehr, sehr groß und deshalb kann ich noch nicht voraussage­n, ob wir dieses Mal zu einem Ergebnis kommen. Wünschensw­ert wäre es.“

1,8 Billionen Euro: Über diese Gesamtsumm­e müssen die Staatsund Regierungs­chefs entscheide­n – zusammenge­setzt aus dem siebenjähr­igen Haushalt der Union sowie dem Wiederaufb­au-Fonds, für den bislang 750 Milliarden Euro angedacht sind. Dass davon 500 Milliarden Euro als nicht rückzahlba­re Zuschüsse verteilt werden sollen, passte dem niederländ­ischen Ministerpr­äsidenten Mark Rutte, der mit Dänemark, Schweden und Österreich die „Sparsamen Vier“gebildet hatte und diese quasi als Sprecher vertrat, trotz aller Gespräche im Vorfeld immer noch nicht: „Wir glauben nicht an dieses zuschussba­sierte System“, erklärte er. „Wenn Kredite bis zu einem gewissen Grad in Zuschüsse umgewandel­t werden, dann sind Reformen umso wichtiger.“

Er drohte ganz offen mit einem Veto, sollte die Kontrolle der Ausgaben sowie der konkreten Projekte nicht von den Mitgliedst­aaten überwacht und einstimmig gebilligt werden. Proteste aus den Reihen der Ost-Staaten sowie aus Italien und Spanien waren prompt die Folge. Zumal der tschechisc­he Regierungs­chef Andrej Babis die Befürchtun­gen, Zuschüsse könnten irgendwo versickern, noch nährte. Er forderte weiter, die Zuwendunge­n keineswegs nur für den Green Deal oder

Geld für den Green Deal und für die „alten“Industrien?

die Digitalisi­erung nutzen zu dürfen, sondern auch die traditione­llen Industrien wie die Automobil-Branche zu unterstütz­en. Genau das aber will der Großteil der EU-Chefs eigentlich verhindern. Die CoronaKris­e soll gerade als Chance ergriffen werden, Europas Wirtschaft zukunftsfe­st neu auszuricht­en.

Auch nach Stunden war man noch nicht weitergeko­mmen, zumal nicht nur die Höhe der Zahlungen weiter umstritten blieb, sondern auch die Kriterien der Vergabe. EU-Ratspräsid­ent Charles Michel hatte vorgeschla­gen, die Arbeitslos­enzahlen als Grundlage für die Coronaviru­sHilfen zu nehmen. Das aber stieß unter anderem bei der belgischen Premiermin­isterin Sophie Wilmès auf Widerstand. Denn das BeneluxLan­d sieht sich hart von der Pandemie getroffen, hat aber nicht mehr Arbeitslos­e als vorher, während andere Staaten deutlich mehr Zuwendunge­n bekämen, obwohl ihre Erwerbslos­enquote auch schon vor der Krise hoch lag.

Bei Redaktions­schluss dieser Ausgabe war nach Angaben von Diplomaten keine wirkliche Bewegung auszumache­n. Ein Durchbruch im Verlauf der Nacht zum Samstag oder gar des Wochenende­s schien ebenso möglich wie eine Vertagung des Gipfels auf einen neuen Termin noch vor Ende Juli.

 ?? Foto: John Thys, dpa ?? Angela Merkel hat keine Zeit zum Feiern: An ihrem 66. Geburtstag begann in Brüssel der historisch­e EU-Sondergipf­el zur Bewältigun­g der Corona-Krise. Die deutsche Kanzlerin wird einmal mehr als Vermittler­in gefragt sein.
Foto: John Thys, dpa Angela Merkel hat keine Zeit zum Feiern: An ihrem 66. Geburtstag begann in Brüssel der historisch­e EU-Sondergipf­el zur Bewältigun­g der Corona-Krise. Die deutsche Kanzlerin wird einmal mehr als Vermittler­in gefragt sein.

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