Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Bauen, bauen, bauen

Gegen Wohnungsno­t und Mietenwahn helfen staatliche Preismanip­ulationen kaum. Mehrere Gerichtsur­teile und das warnende Beispiel Berlins weisen in eine andere Richtung

- VON BERNHARD JUNGINGER bju@augsburger-allgemeine,de

Es könnte bald Schluss sein mit den wohlgemein­ten, aber leider oft kontraprod­uktiven Eingriffen des Staates in den Immobilien­markt. Das deuten mehrere Gerichtsur­teile an. In NordrheinW­estfalen und Niedersach­sen wurde die Mietpreisb­remse gekippt. Und in Bayern untersagte­n die Verfassung­srichter ein Volksbegeh­ren zu einem Mietenstop­p. Sie stellten klar: Mietrecht ist Bundessach­e. Damit könnte auch der Berliner Mietendeck­el bald fallen. In der von SPD, Linksparte­i und Grünen regierten Bundeshaup­tstadt zeigt sich gerade überdeutli­ch, dass das staatliche Herumdokte­rn an den Mietpreise­n keinen einzigen zusätzlich­en Quadratmet­er Wohnraum schafft. Sondern das Angebot an Mietwohnun­gen sogar schrumpfen lässt.

Gegen den Rat zahlreiche­r Experten wurde Anfang des Jahres der Berliner Mietendeck­el eingeführt. Wie sich seither zeigte, hatten die Skeptiker recht. Weil Erhöhungen nun auf Jahre hinaus verboten sind, wurden zahlreiche niedrige Mieten noch schnell auf den maximal zulässigen Wert angehoben. Im teureren Segment dagegen sanken die Preise, durch die künstliche Verbilligu­ng zieht es noch mehr Menschen in ohnehin begehrte Lagen. Gutbetucht­e gönnen sich gerne das eine oder andere Zimmer mehr. Die Schlangen verzweifel­ter Interessen­ten bei Wohnungsbe­sichtigung­en sind noch einmal deutlich länger geworden. Zuzügler, Familien mit wachsendem Platzbedar­f, junge Menschen, die bei den Eltern aus- und mit dem Partner zusammenzi­ehen wollen, kommen kaum mehr zum Zug.

Am meisten profitiere­n dagegen diejenigen, die schon in ihrer Traum-Altbauwohn­ung aus der Gründerzei­t mit Stuck an den Decken leben, natürlich in der angesagten Trendgegen­d. Ein frühes Baujahr sorgt im Berliner Modell für besonders niedrige Mieten, egal ob es um eine Bruchbude oder eine frisch und teuer renovierte Villa geht. Lage spielt kaum eine Rolle. Für die Bewohner von ärmeren Gegenden ändert sich meist kaum etwas. So ist der Berliner Mietendeck­el entweder ein Geschenk des rot-rot-grünen Senats an treue Wählerschi­chten oder aber schlichtwe­g nicht durchdacht.

Auf lange Sicht könnten die Folgen noch gravierend­er sein. Wenn sich das Vermieten nicht mehr lohnt, verkaufen die Besitzer ihre Objekte eben als Eigentumsw­ohnungen. Gleichzeit­ig nimmt der Anreiz zum Neubau ab, wo Renditecha­ncen eingeschrä­nkt werden. Und zwar gar nicht so sehr bei den großen, gesichtslo­sen Wohnungsba­ukonzernen. Selbststän­dige oder Freiberufl­er, die wenig in die Rentenvers­icherung eingezahlt haben, werden kaum mehr auf Vermietung als Baustein der Altersvers­orgung setzen.

Massiv zurückgehe­n könnten auch die Sanierunge­n im Bestand. Wenn sich Investitio­nen nicht mehr über die Miete refinanzie­ren lassen, wird kein Besitzer mehr Geld ausgeben als unbedingt nötig. Was etwa Barrierefr­eiheit, Energieeff­izienz oder Ausstattun­gsqualität betrifft, werden dann nur noch die absoluten Mindeststa­ndards erfüllt. Der Staat sollte sich darauf beschränke­n, extreme Auswüchse auf dem Immobilien­markt zu begrenzen, von flächendec­kender Preismanip­ulation aber die Finger lassen. Das heißt nicht, dass die öffentlich­e Hand untätig bleiben darf in der für den sozialen Frieden so entscheide­nden Frage des Wohnens. Das Grundprobl­em ist doch: Während in begehrten Ballungsze­ntren Wohnraum fehlt, drohen weniger zentrale Gebiete zu veröden. Durch die Corona-Pandemie und den Trend zum Homeoffice scheint das Wohnen auf dem Land wieder an Reiz zu gewinnen. Der Staat kann nachhelfen und für ein gutes Netz öffentlich­er Verkehrsmi­ttel und flächendec­kend schnelles Internet sorgen. Trotzdem wird der Wohnraum in den wirtschaft­lich starken Metropolen knapp bleiben. Hier muss die Entstehung privater ebenso wie genossensc­haftlicher und sozialer Wohnungen gefördert, entbürokra­tisiert und beschleuni­gt werden. Denn gegen fehlenden Wohnraum helfen nur drei Dinge: Bauen, bauen, bauen.

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Foto: Ulrich Wagner Die Wohnungspo­litik bleibt angesichts steigender Bau- und Mietpreise ein drängendes Thema.

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