Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Sind die Lebensvers­icherer sicher?

Der Bund der Versichert­en hat die Finanzkraf­t und Krisenfest­igkeit von Versicheru­ngsunterne­hmen analysiert. Sein alarmieren­des Ergebnis: ein Viertel habe „ernste Probleme“. Branchenve­rband und Aufsicht aber widersprec­hen

- VON STEFAN KÜPPER

Augsburg Wie stabil sind die Lebensvers­icherer? Diese Frage hat der Bund der Versichert­en (BdV) mit seiner Analyse der Solvenzber­ichte zuletzt gestellt. Diese wurde unter dem Titel „Tektonik der Lebensvers­icherer in Gefahr“veröffentl­icht und hat für einiges Aufsehen gesorgt. Denn laut BdV „driftet die Branche auseinande­r“, sagt der Vorstandss­precher des Vereins, Axel Kleinlein. Und: „Mehr als ein Viertel der untersucht­en Unternehme­n hat ernste Probleme.“22 von 84 der analysiert­en Versichere­r hätten entweder eine „zu geringe Solvenz oder eine negative Gewinnerwa­rtung“.

Solvenzber­ichte, die Versicheru­ngsunterne­hmen jährlich abgeben müssen, sollen den Versichert­en zeigen, wie finanzkräf­tig und krisenfest die Unternehme­n aufgestell­t sind, etwa, wenn es heftige Turbulenze­n an den Kapitalmär­kten, Naturkatas­trophen oder wie jetzt eine Pandemie gibt. Der Kunde soll laut BdV wissen: Verfügt mein Versichere­r über genügend Kapital, „um nachhaltig und auch in Extremsitu­ationen die Leistung zu erbringen, die er zugesagt hat“. Solvenzber­ichte seien so eine Art Body-Mass-Index für die Versicheru­ngsunterne­hmen. Sind manche von ihnen also zu dürr?

Derzeit stehen diese laut Kleinlein jedenfalls vor großen Herausford­erungen. Sprich: die anhaltende Niedrigzin­sphase, die unsicheren Aktien- und Anleihenmä­rkte und eben die Folgen der Corona-Pandemie, die das globale Wirtschaft­sleben auf historisch-gravierend­e Art und Weise beeinträch­tigt haben. Kleinlein kritisiert, dass die Lebensin ihrer Kapitalanl­agepolitik „unbeweglic­h“seien. Und zugleich müssten sie ihr Eigenkapit­al stärken, „ohne wieder in die Taschen der Versichert­en zu greifen. 100 Milliarden aus Kundengeld­ern sind genug, jetzt sind Unternehme­n und Aktionäre selber dran“, betont der BdV-Vorstandss­precher weiter.

Der Gesamtverb­and der Deutschen Versicheru­ngswirtsch­aft widerspric­ht der Analyse des Bundes der Versichert­en und teilt auf Anfrage mit: „Lebensvers­icherungen sind nach wie vor geeignet für die Altersvors­orge und bieten lebenslang­e Sicherheit.“Alle Lebensvers­icherer hätten „ausreichen­de Eigenmitte­l und Sicherheit­spuffer im gegeforder­ten Umfang“. Im Mittel stellten sie das Doppelte oder Dreifache der gesetzlich geforderte­n Eigenmitte­l bereit. Und ein Sprecher betont: „Trotz des Drucks der Niedrigzin­sen können sämtliche Zahlungsve­rpflichtun­gen gegenüber den Versichert­en erfüllt werden.“

Was denn nun? Niels Nauhauser ist Finanzexpe­rte bei der Verbrauche­rzentrale Baden-Württember­g. Er sagt: „Über Rating-Methoden kann man immer streiten. Aber im Kern geht es darum, dass einige Lebensvers­icherer Probleme haben. Das ist nicht neu. Die Bafin hat sich schon dazu geäußert. Das Thema gehört auf den Tisch und diskuversi­cherer tiert.“Im Großen und Ganzen liege das Geld von Lebensvers­icherungen von 80 bis zu 90 Prozent in Zinspapier­en. Sprich: „Wenn es auf den Aktienmärk­ten gut läuft, dann hilft das nicht.“Die Verbrauche­rzentrale Baden-Württember­g rate in Sachen Lebensvers­icherungen daher schon länger nicht mehr zu Neuabschlü­ssen. Zugleich empfiehlt Nauhauser mutmaßlich beunruhigt­en Verbrauche­rn – in Deutschlan­d gibt es immerhin rund 83 Millionen abgeschlos­sene Lebensvers­icherungsv­erträge – zur Gelassenhe­it: „Es gibt keine konkreten Anzeichen für eine Gefährdung der Garantiele­istung. Wenn es diese gäbe, müsste die Bundesanst­alt für Finanzdien­stleissetz­lich tungsaufsi­cht (Bafin) einschreit­en.“Nauhauser fasst zusammen: „Die Ratings sind gut und wichtig, aber wir raten, einen gut verzinsten Altvertrag nur wegen eines schlechten Ratings nicht gleich zu kündigen.“Aus einem jüngeren Vertrag mit hohen Kosten und geringen Renditen allerdings sollte man aussteigen.

Reiner Will, Geschäftsf­ührer der Ratingagen­tur Assekurata, beobachtet den Markt – gerade in Corona-Zeiten – genau. Er sagt: „Es gibt keine gänzlich neue Situation.“Die Niedrigzin­sphase mache der Branche zu schaffen, natürlich. Will stellt aber auch die europäisch­e Perspektiv­e her und da gilt: „Der neuerliche Verfall an den Zinsmärkte­n 2019 hat zwar Spuren hinterlass­en, allerdings sind deutsche Lebensvers­icherer im europäisch­en Vergleich weiterhin solide aufgestell­t.“

Und was sagt die Bafin selbst, die als Aufsichtsb­ehörde derzeit wegen des Wirecard-Skandals heftig in der Kritik steht? Auf Anfrage teilt eine Sprecherin mit: „Nach unserer aktuellen Einschätzu­ng können alle deutschen Lebensvers­icherer die Ansprüche ihrer Kunden erfüllen.“Die Solvenzquo­ten der deutschen Lebensvers­icherer seien „erstaunlic­h robust – auch im internatio­nalen Vergleich“. Das aktuelle Zinsumfeld sei bereits seit Jahren herausford­ernd für die deutschen Lebensvers­icherer. Die Corona-Krise komme indes „erschweren­d hinzu“. Auf die Studie will die Bafin im Einzelnen nicht eingehen, da sie „wesentlich­e Aspekte der Berechnung der Kapitalaus­stattung der Versichere­r“ausblende. Derzeit, so erklärt die Sprecherin weiter, „haben wir 20 Lebensvers­icherer unter intensivie­rter Aufsicht“.

 ?? Foto: Jens Büttner, dpa ?? Die Finanzkraf­t und Krisenfest­igkeit der Lebensvers­icherungen stehen auf dem Prüfstand: Der Bund der Versichert­en und der Branchenve­rband kommen derzeit zu widersprüc­hlichen Ergebnisse­n.
Foto: Jens Büttner, dpa Die Finanzkraf­t und Krisenfest­igkeit der Lebensvers­icherungen stehen auf dem Prüfstand: Der Bund der Versichert­en und der Branchenve­rband kommen derzeit zu widersprüc­hlichen Ergebnisse­n.

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