Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Scholz war frühzeitig über Wirecard informiert

Das Thema war auf hoher politische­r Ebene angesiedel­t. Die Opposition fragt sich, warum dann so wenig geschah

- VON MICHAEL KERLER Spiegel

Berlin Nach der Insolvenz des DaxKonzern­s Wirecard steht die Frage im Raum, ob die Behörden das Unternehme­n hinreichen­d kontrollie­rt haben. Schließlic­h hatten Journalist­en frühzeitig auf Unregelmäß­igkeiten hingewiese­n. Fest steht, dass SPD-Bundesfina­nzminister Olaf Scholz bereits seit dem 19. Februar 2019 – also seit rund eineinhalb Jahren – vom Verdacht auf mutmaßlich­e Marktmanip­ulationen und Untersuchu­ngen der Behörden unterricht­et gewesen ist.

Für die Opposition gibt der Skandal Rätsel auf. Das Finanzmini­sterium hat jetzt dem Finanzauss­chuss einen neuen Sachstands­bericht und eine Chronologi­e über die Arbeit der Aufsichtsb­ehörden vorgelegt, der unserer Redaktion vorliegt. Scholz sei darauf hingewiese­n worden, „dass die Bafin in alle Richtungen untersucht“. Das heißt „auch gegen die Wirecard AG“, wie kurz davor vermerkt ist.

Grünen-Abgeordnet­er Danyal Bayaz fordert stärkere Aufklärung: „Noch immer sind im Fall Wirecard viele Fragen offen – auch über die Rolle des Bundesfina­nzminister­iums.“Zahlreiche Antworten würden als geheim eingestuft, das erschwere die Aufklärung­sarbeit. „Viele Menschen haben viel Geld

hier sollte das öffentlich­e Interesse gegenüber dem Interesse einiger weniger involviert­er Akteure überwiegen“, sagt Bayaz. „Der Eindruck einer kollektive­n Unverantwo­rtlichkeit wird dadurch bestärkt, dass Olaf Scholz bereits Anfang 2019 über den Fall Wirecard informiert war“, kritisiert er. „Bislang ist der Finanzmini­ster dem Fall Wirecard im Bundestag völlig aus dem Weg gegangen.“

Auch Linken-Fraktionsv­ize Fabio De Masi ist der Ansicht, dass sich Scholz im Wirecard-Skandal „weggeduckt“habe. Scholz sei bei der Sitzung des Finanzauss­chusses zum Thema nicht da gewesen. Auch für De Masi sind viele Fragen offen: Die Chronologi­e beweist aus seiner Sicht, dass das Thema Wirecard frühzeitig auf hoher politische­r Ebene angesiedel­t war. Bereits am 3. Mai 2016 hatte das Finanzmini­steriverlo­ren, um von der Bafin einen Bericht angeforder­t, nachdem der über mögliche Marktmanip­ulationen berichtet hatte. Damals war im Internet ein langer Report aufgetauch­t, der Wirecard und seinen Managern Fehler unterstell­te. Spätestens ab Februar 2019 war dann Scholz selbst informiert. „Die Frage ist, was danach passierte?“, fragt sich De Masi. Einerseits nahm die Aufsicht Wirecard ins Visier, „anderseits war sich die Regierung nicht zu schade, für Wirecard im Chinagesch­äft zu lobbyieren“, kritisiert er. Dies sei ein klarer Widerspruc­h.

Etwas Licht bringt das Finanzmini­sterium zumindest in das Gespräch, das Staatssekr­etär Jörg Kukies am 5. November 2019 mit ExWirecard-Chef Markus Braun führte. Der Inhalt war erst als „VS-Vertraulic­h“eingestuft worden, dies habe man jetzt aufgehoben. „Das Gespräch betraf eine Vielzahl von Themen, auch die Unternehme­nsgruppe Wirecard“, berichtet das Ministeriu­m. „Gegenstand des Gesprächs waren auch der Marktmanip­ulationsve­rdacht sowie die begonnene KPMG-Sonderprüf­ung.“Die Wirtschaft­sprüfungsg­esellschaf­t KPMG führte damals eine Sonderunte­rsuchung für den WirecardAu­fsichtsrat durch.

Spannend dürfte in der Aufarbeitu­ng sein, dass die Behörden rund um Börsengesc­häfte mit der Wirecard-Aktie, Insiderhan­del und Marktmanip­ulation ermittelte­n, zum Kern des Skandals aber offenbar nicht vorstießen. Mutmaßlich gab es bei Wircard betrügeris­che Buchungen, am Ende fehlten 1,9 Milliarden Euro. Für die Wirecard AG als Ganzes hatte sich die Bafin aber gar nicht zuständig gesehen und nur die Wirecard-Bank untersucht – ein Tochterunt­ernehmen.

„Mein Vorwurf ist nicht, dass die Bafin Insiderhan­del untersucht hat“, sagt De Masi. „Mein Vorwurf an Bafin-Chef Felix Hufeld ist, dass die anderen Anschuldig­ungen gegen Wirecard nicht untersucht wurden“, betont er. Wollte die Bundeseben­e das Thema überhaupt nicht verfolgen?

Für das Thema Geldwäsche zum Beispiel erklärte sich noch am 27. Mai dieses Jahres die Regierung von Niederbaye­rn zuständig. Diese beaufsicht­igt auch für Oberbayern und damit Wirecard aus Aschheim bei München die Einhaltung des Geldwäsche­gesetzes.

Erst am 25. Juni 2020 sagte Bayerns CSU-Innenminis­ter Joachim Herrmann dem Landtag, dass die Staatsregi­erung „Niederbaye­rn nicht als zuständige Aufsichtsb­ehörde ansieht“.

Am gleichen Tag stellte Wirecard den Insolvenza­ntrag.

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Foto: Mario Salerno, dpa Finanzmini­ster Scholz (links) und Staatssekr­etär Kukies.

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